f Psychogeplauder: Das Klimt-Brennen / Mein 100. Post

Montag, 1. Januar 2018

Das Klimt-Brennen / Mein 100. Post


"Wahrheit  ist  Feuer  und  Wahrheit
reden  heißt  leuchten  und  brennen"





Interieurs im Therapieraum sind eine vielschichtige Möglichkeit, Behandlungsprozesse über subtile atmosphärische Details zu beeinflussen, Gedächtnisprobleme oder Verdrängungsvorgänge beim Patienten zu studieren … und nicht zuletzt, sich selbst als Behandler in seinen vier Wänden möglichst wohl zu fühlen. 

Als ich vor fast drei Jahrzehnten mit der selbständigen Tätigkeit begann, war meine Ausstattung einfach und möglichst neutral. Du fandest zwei schwarze (war damals modern) Ikea–Beistelltische aus Metall vor, zwei mittelbequeme mittelgroße Stühle mit türkisfarben gemustertem Samtbezug, eine ziemlich breite wuchtige Couch an der Seite und zwei Farbdrucke, türkis gerahmt, die Photographien von Bäume zeigten. Damals, in den ersten Monaten meiner Praxistätigkeit, besichtigte ein früherer Klinikkollege meinen neuen Therapieraum und meinte etwas enttäuscht: „Ah ja, ich dachte, da hängt man doch eher etwas Persönliches hin … ein Bild, mit welchem man sich ausdrückt, etwas, womit man sich zeigt…“. Ich meine, nicht nur Enttäuschung, sondern auch einen pädagogischen Zeigefinger des fast 20 Jahre älteren Kollegen herauszuhören (er hatte einen der wenigen unbefristeten Verträge in der Klinik und  genoss den Ruf, erfahren und erhaben über allem stehend zu sein). Damals habe ich mit ihm eine kurze Diskussion darüber geführt, dass das ja heikel sei … sich selbst zu zeigen berge nämlich auch die Gefahr, zu viel von sich zu zeigen, und, so fuhr ich argumentativ fort, das Augenmerk z.B. auf Plakate mit politischer Gesinnung zu lenken (Che Guevara), auf solche mit musikalischer Botschaft (Smoke on the water!) oder mit mehr oder weniger subtilen Hinweisen auf die bevorzugte persönliche Freizeitgestaltung (Kanufahrten im Amazonasgebiet). Schließlich brauche es Neutralität und die berufsethisch gebotene Abstinenz. Ich wollte nichts falsch machen.

Es steckte auch noch etwas anderes dahinter; ich hatte damals nicht die finanziellen Mittel, um Geld in Gemälde oder liebgewordene Skulpturen wichtiger Meister zu investieren. Etwas Geerbtes fand sich auch noch nicht in meinem Besitz. Außerdem war ich idealistisch gestrickt, um nicht zu sagen, naiv, und hing der Überzeugung an, dass einzig und allein meine nahe ans Genialische grenzenden Interventionen zukünftig heilsam wirken würden und nicht irgendwelche Le Corbusier-Sessel in nihilistisch schwarzem Leder. Ich wollte im Hintergrund bleiben mit meiner Person, mich nicht zeigen, so wie ich es in unzähligen Seminaren zur therapeutischen Haltung gelernt hatte -am besten unsichtbar!

Mit den Jahren wurde ich interieurbezogen ein bisschen mutiger; denn es fiel mir auf, dass viele Patienten, vor allem wenn es ihnen sehr schlecht ging und sie durch ihre belastenden Konflikte unter Druck waren, gar nichts zu bemerken schienen von meiner Einrichtung. Es kam vor, dass ich ein großes Bild im Eingangsbereich, da, wo sie Woche für Woche und Monat für Monat ein paar Minuten sitzend warteten, bevor die Stunde begann, auswechselte und sie bemerkten es nicht. Oder dass plötzlich der Teppich drei Wochen fehlte, weil er in der Reinigung  war. Sie waren mit ihren inneren Vorgängen beschäftigt und so kam es, dass mich so mancher Patient nach über einem Jahr unvermittelt fragte: „Hing das Bild immer schon da?“ Dieses Gewahrwerden der Umgebung schien mir stets ein untrügliches Zeichen zu sein für seelische Besserungsvorgänge, die wieder einen geweiteten Horizont erlaubten, die Beendigung der notwendigen Nabelschau einläuteten und einen ersten zaghaften Blick über den Tellerrand.

Anfang der Neunziger erhielt ich mal eine Kongressankündigung per Brief, damals gab es noch keine emails und es war noch wirklich spannend, jeden Tag zum Briefkasten zu gehen. Es handelte sich um die Jubiläumstagung einer angesehenen psychoanalytischen Vereinigung, die in Paris stattfinden sollte. In einem transparenten Umschlag befindlich, der an Butterbrotpapier erinnerte, fand ich, auf einfachem tonfarbenem Papier, einen viermal zum normalen Briefformat A6 gefalteten zweifarbigen Druck, der Gustav Klimts Gemälde aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert Nuda veritas darstellte. Darüber stand in wunderbar stilisierten Art-Deco-Schrifttypen „WAHRHEIT IST FEUER UND WAHRHEIT REDEN HEIßT LEUCHTEN UND BRENNEN“. Auf der Rückseite war die Kongressankündigung aufgedruckt, mit den üblichen Details wie Hotelempfehlungen, Deadline der Anmeldung, Gebührenhinweisen für Frühbucher und Bankverbindung.
Zum Kongress fuhr ich nicht; aber ich hob den Druck auf, weil er mir so gut gefiel. Und sogar als ich nach sechs Jahren in neue, schönere Praxisräume umzog,  nahm ich ihn mit, bügelte die Knicke, die durch das Falten des Papiers entstanden waren, so gut wie möglich heraus und ließ den Druck professionell und sündhaft teuer rahmen. Heraus kam mein Lieblingsbild, eine unbekleidete Frau, die dem Betrachter einen Spiegel hinhält und, so kann man´s lesen in kunstgeschichtlichen Abhandlungen, dies in eine Pose "ungeschützter Frontalität" tue. Mit der Zeit innenarchitektonisch unternehmungslustiger geworden, hing ich es in der Praxis auf, allerdings versteckt in einer hinteren Ecke, die man beim Warten nicht direkt sah, am Eingang zur Teeküche. Im Gegensatz zum über zwei Meter hohen imposanten Original handelte es sich um ein schmales kleines Bild, weniger als 50 cm hoch, von dem ich dachte, soviel „Persönliches“ dürfe nun doch sein in meiner Praxis. Dass das Motiv im Grunde eine nackte Frau zeigte, machte die Sache ein bisschen verwegen. Aber ich hoffte, dies durch den wahrhaft edlen goldschwarzen Rahmen und die zugleich etwas versteckte Anbringung ausreichend auszugleichen. Ich wollte keinesfalls Fehler begehen.
Angesprochen hat mich in den seither vergangenen Jahren nie jemand darauf – im Gegensatz zu den regelmäßig erneuerten frischen Blumen im Therapieraum, zu dem Bild im Eingangsbereich, zu dem marokkanischen Teppich und … zu den Blumen, wenn sie fehlten, was stets bemängelnd vermerkt wurde, aber an einigen Montagvormittagen  nicht vermeidbar war.

Neulich stattete mir eine Patientin einen Besuch ab, nur für eine einzelne Sitzung, sie war schon vor längerer Zeit ins Ausland gegangen und wollte, nachdem ihre Therapie abgeschlossen war, nochmal rückblickend Resumee ziehen und berichten. Es war eine kurzweilige Sitzung, deren roten Faden ich zwar nicht gleich fand, die aber zeigte, dass sie immer noch mit den gemeinsam bearbeiteten Themen beschäftigt war: sie hatte mit ihrem Vater offene Worte gewechselt, hatte in ihrem Freundeskreis dafür gesorgt, sich nicht mehr an den rituellen Besäufnissen zu beteiligen, und genoss einen fremden Kontinent. Als ich sie zum Schluss dieser Stunde fragte, was genau sie bewogen habe, jetzt nocheinmal vorbei zu schauen, sagte sie „Es war das Klimt-Brennen“.

Ich schätze, mein Bild hat mittlerweile sein zwanzigjähriges Jubiläum; nicht das noch ältere zusammengefaltete Papier, sondern seine spätere Würdigung im goldschwarzen Rahmen. Und zu diesem Anlass habe ich nun die Geschichte seines Originals noch einmal studiert. Es gab tatsächlich zwei Versionen. Ich besaß die erste Fassung aus 1898, eine 41 cm hohe Reinzeichnung mit schwarzer Kreide, die oben das erwähnte Zitat des Dichters Leopold Schefer trug: „WAHRHEIT IST FEUER UND WAHRHEIT REDEN HEIßT LEUCHTEN UND BRENNEN“. Im Jahr 1900, ein Jahr nach der Entstehung der zweiten Fassung, kaufte der Dichter Hermann Bahr, glühender Verteidiger des damals heftig attackierten Klimt, das über mannshohe Gemälde in seiner zweiten, oben neu beschrifteten und unten mit einer sündigen Schlange ergänzten Version von 1899. Das Bild zierte nun ein Zitat des deutsch-britischen Philosophen Ferdinand C.S. Schiller: „KANNST DU ALLEN NICHT GEFALLEN DURCH DEINE THAT UND DEIN KUNSTWERK. MACH ES WENIGEN RECHT. VIELEN GEFALLEN IST SCHLIMM“. 


Gustav Klimt: Nuda veritas (1899)
Öl auf Leinwand
Wien, Theatermuseum



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