f Psychogeplauder: Geschenkte Gäule

Mittwoch, 2. Dezember 2015

Geschenkte Gäule




Um diesen Beitrag, der das Thema Geschenke in der Psychotherapie abhandeln soll, drücke ich mich seit langem. Denn einem geschenkten Gaul …
sieht man nicht in´s Maul, eine Weisheit, die schon seit fast zwei Jahrtausenden mahnend weitergegeben wird. Nun tue ich´s höchstabsichtlich im folgenden doch, und da beginnt vermutlich schon das ganze Unheil, gekrönt von naheliegenden, kaum unterdrückbaren Assoziationen zum Trojaner, der ja ursprünglich kein Computervirus, sondern ein Pferd war, das mit angriffslustigen, in seinem hölzernen Bauch versteckten griechischen Soldaten bestückt war. Malware im Gewand des kostbaren Geschenks, eine der fiesesten menschlichen Schweinereien überhaupt. Man denke nur an Antifalten-kosmetik, üppig gebundene Pfingstrosen-sträusse vom Samstagsmarkt mit dem Marktschrei „Die gehen noch auf !“ oder Liebesschwüre unter Alkoholeinfluss - niemand braucht das, aber alle fallen drauf rein.

Was die Geschenke betrifft, die mir meine Patienten im Laufe der Jahre überreichten, habe ich ein Kaleidoskop von dankbaren, gerührten, irritierten, amusierten, schuldbewussten, überforderten und nachdenklichen Gefühlen zu verdauen, welches mich nun dazu verführt, trotz der ganzen Trojaner-Virus-Griechen-Sache mich des Themas umfassend schriftlich anzunehmen, in der vagen Hoffnung, die innerseelische Verarbeitung dieser Geschenke, die ja weit komplexer ist als deren pure Entgegennahme, mit diesem Post ein für alle Mal abschließen zu können. Laut Berufsordnung dürfen wir Heilberufler ja durchaus Geschenke von Patienten annehmen, ohne dafür gleich ins Kitchen zu wandern oder eine Geldbuße aufgebrummt zu bekommen – vorausgesetzt, es handelt sich dabei um Geschenke, die „den Charakter kleiner Aufmerksamkeiten“ nicht überschreiten. Aber was ist das eigentlich: eine kleine Aufmerksamkeit? 




Hohle Nüsse 
aus Schokolade, die komplett zerbröselten, wenn man reinbiss, da sie innen … aus Luft bestanden. Die bekam ich von einer Beamtin geschenkt zum Abschied. Ich weiß nicht genau, was das bedeuten sollte. Üppige, glänzende, schön oberflächenstrukturierte Vollmilch-schokoladennüsse in Walnussform, sogar ein bisschen größer als echte Walnüsse… man stellte sich den traumhaft-sündigen Inhalt vor, eine weiche Füllung voller Verführungen … und dann solch ein Reinfall!




Faule Äpfel 
mindestens 20, in einer alten Plastiktüte, mit der Bemerkung, es könnten auch gegebenenfalls ein paar faulige Exemplare dabei sein. Die erhielt ich an einem Herbsttag von einer älteren ärztlichen Kollegin, die neben der Psychotherapie auch naturheilkundlich praktizierte und alle paar Monate zur Supervision hereinschneite; neben dem bereits zitierten verbalen Warnhinweis bekam ich auch die Empfehlung, sie zeitnah aufzuessen, da sie gesund seien. Aus Angst vor einer ungebetenen Würmerinvasion in meinem Therapieraum entsorgte ich die biologische Pracht stante pede und hatte bis zum Rest der Woche ein schlechtes Gewissen.




Blumenstrauß von Fleurop
Jahrelang pünktlich am 22. Juni von einem Kurier abgegeben, weil mal zufällig ein Blumenstrauss während einer Therapiesitzung bei mir geliefert wurde und die Patientin daraus schloss, ich hätte wohl Geburtstag. Dieses blühende Murmeltier grüßte mich, glaube ich, sechs oder sieben Mal, die Therapie war längst zu Ende, und irgendwann rief ich an, bedankte mich und bat, keinen Strauß mehr zu schicken, was die Patientin ziemlich gekränkt haben dürfte. Die Sache ist: der Kurier klingelte und störte jedesmal während einer Sitzung. Geburtstag hatte ich auch keinen. Aber ein schlechtes Gewissen. Außerdem ertappte ich mich dabei zu überlegen, was ich machen sollte, wenn dieser Tag auf einen Sonntag fiele, und was, wenn ich irgendwann in Rente ginge oder umzöge. Noch schlimmer: was sollte ich denken, wenn die Sträuße plötzlich nicht mehr kamen? Todesfall oder einfach nur anders überlegt. Das Ganze war mir dann entschieden too much.



Adventsteller
Den hat mir eine mehrfache Mutter, als Fussballkneipenköchin und Putzfrau dazuverdienende Patientin mitgebracht, weil ihre Therapiestunde auf den Nikolaustag fiel. Stolz überreicht, die ganze Anfahrt über im Bus aufrecht vor sich gehalten, in Folie. Sie gehörte zu den Ärmsten, die bei mir ein- und ausgingen, aber sie war freigiebig. Der Teller hat mich sehr gerührt, Frau H.! Überhaupt bleibt hier festzuhalten, dass diejenigen, die wenig haben, eher etwas schenken. Ob das bloß am unterstellten Geiz der Wohlhabenden liegt, halte ich für zu kurz gedacht; ich vermute, reichere Leute haben nicht mehr den natürlichen Instinkt des Schenkens zur Verfügung; sie überlegen zuviel, was angebracht wäre, worüber andere sich überhaupt freuen könnten, und welcher Artikel wohl genug hermachen würde (man hat ja selber alles, und denkt das über den Therapeuten im Zweifelsfalle auch) – schon wird der Gedanke an ein Geschenk zu kompliziert und es unterbleibt tendenziell.


Porzellan – Vase
Dieses Geschenk hätte ich eigentlich zurückgeben müssen. Aber da es eingepackt übergeben wurde und ich es erst nach dem Abschied auswickelte, konnte ich den materiellen Wert des Designwunders edler Herkunft nicht erahnen. Die Liebe zu Markenprodukten allerdings hätte mir bei dieser Patientin bewusst sein müssen – sie ging jeden Freitag nachmittag mit ihrer alten Mutter, die ihr das Leben zur Hölle machte, im Ort einkaufen. Man setzte auf Tradition. Ehrlich gesagt hat mir diese Patientin sogar noch einen Seidenschal dazu geschenkt, geschickt getarnt, der war in die Vase reingelegt. Kann ich dafür noch in den Knast wandern oder ist das verjährt? Apropos Knast. Ihr Exmann war ein Knasti, mit dem hatte sie sich vertan und seither ihr mittlerweile über 40 jähriges Leben vollends der Mutter überlassen, mit der sie zusammenlebte und unter der sie litt. Wahrscheinlich dachte sie, sie müsse sich anstrengen mit dem Abschiedsgeschenk. Das bedaure ich noch heute, dass wir mit diesem Gefühl auseinander gegangen sind. Es wäre nicht nötig gewesen, Frau D.! Aber, so hoffe ich, vielleicht haben sie auch ihre kleine Freude dran gehabt. War ja fast ein kriminelles Ding, was sie da mit meiner unwissenden Hilfe gedreht haben. Gegenwert locker 300 Euro, der halbseidene Höhepunkt meiner therapeu-tischen Laufbahn und vermutlich einer schriftlichen Mahnung durch die Psycho-therapeutenkammer nur knapp entkommen. 


Drei Flaschen Tokajer Wein 
Ja, ich hätte es mir denken sollen. So viel Wein auf einmal. Ein Dreier-Präsent-Karton, das bedeutet meistens nicht nur Dankbarkeit. Sondern bei der Multiplizität des Abschiedsgeschenks in der Psychotherapie ist stets daran zu denken, dass einige Zeit später noch ein Anschreiben kommt (siehe auch mein früherer Post "Ferrero Küsschen"). Briefe vom Versorgungsamt oder so. Wegen der Prozente. Ich hab´s wahrheitsgemäß beantwortet. Auch wenn der Wein neben seinen darin enthaltenen Prozenten arg süß war, ist dabei wohl am Schluss doch keine Schwerbehinderungs-bescheinigung zum Erhalt von mehr Urlaubstagen im Jahr und verbessertem Kündigungsschutz herausgesprungen.


Brisante Lektüre
Diese hoch interessante Idee in Form eines Buches hat mich dauerhaft beeindruckt. Kam von einer Patientin, die mir durch ihre entspannte Art, was das Ableben, die Sterblichkeit und das Altern an sich angeht, während der langen Therapie, die sie bei mir absolvierte, immer mal wieder positiv aufgefallen war. Vielleicht hat sie das gemerkt, auch meinen Bedarf, da von ihr beraten zu werden. Das Buch "Tod durch Vorstellungskraft" war vom Thema her hot, und ich hab´s tatsächlich gelesen. Nicht gleich, sondern als ich dazu bereit war. Eine derartige Erfüllung des mitgeschenkten Auftrages widerfährt nicht allen Büchern, die ich geschenkt bekomme. Das kennst Du sicherlich aus Deiner eigenen Erfahrung; Buchgeschenke sind heikel und leicht vergreift man sich im Geschmack bzw. in der Einschätzung des Interesses des Beschenkten. Den Krimi Denn am Sabbat sollst du ruhen, in welchem einer der Protagonisten ein Psychotherapeut ist, habe ich geschätzte fünf oder sechs Mal im Laufe meines Lebens – überwiegend von Bekannten und nur zweimal von Patienten – zugedacht bekommen. Trotzdem nie gelesen, aus Trotz.



Goldenes Notizbuch
Ein herrlich aufgemachtes DIN A 5 -Buch zum Reinschreiben, alte sawidische Bindekunst. Dieses Geschenk erfreute mich besonders, da es mir a) ästhetisch sehr gut gefiel und b) es mich anrührte, dass die Patientin irgendwann während der Therapie durch die Thematisierung von Hobbies und Lieb-habereien herausgehört haben muss, dass ich gerne schreibe. Monate später erhielt ich´s, zum Abschied, mit der wissenden Bemerkung, „ich dachte mir, sie schreiben doch gerne“.



Glas-Etagére 
Das Teil hat mich sofort genervt, schon beim Überreichtbekommen des unübersichtlichen Gesamtwerks. So etwas nannte man früher in meiner Familie ein „Trumm“. Die Etagere hatte eine Art Sollbruchstelle, also einen kleinen zwei Zentimeter langen Sprung im mittleren Stockwerk, da wo die Lochbohrung für die Halterung sich befindet. Was ich bemerkenswert fand: dass die Patientin es in einer Tüte eines Edel-Möbelhauses einer Edel-Stadt transportiert hatte, was natürlich gewisse begier- und begehrliche Phantasien in mir auslöste, aber es wurde mir später klar, dass es dort nicht gekauft worden sein konnte. Es war mit Sicherheit gut gemeint. Sie shoppte gerne, hatte genügend Geld dafür und war, glaube ich, der frustranen Kunst der Selbstwertregulierung durch Äußerlichkeiten etwas verfallen. Ich sah das Teil später mal für ´nen ziemlichen Dumpingpreis in einer Billigladenkette. Es gibt doch das Spiel mit dem Schrottwichteln, dafür habe ich es vorgesehen, weil allzu oft habe ich keine Gelegenheiten, Konfekt in drei Stockwerken zu präsentieren. Sie sagte in einer aufgeräumten Tonlage, so wie eine dieser Frauen in den Fernsehverkaufs-sendungen, man könne das auch als Frühstückstürmchen benutzen. Phhh.



Zwei Apfeltaschen
Sie waren nicht schlecht, aber auch nicht super genial, denn die Füllung war zwar gut, aber in Relation zum Teigmantel etwas spärlich. Note zwei komma fünf, würde ich sagen. Sie kamen von einer sehr netten, etwas zu freundlich und devot mit ihren Mitmenschen umgehenden Patientin. Was den Genuss (trotz des intuitiven Volltreffers: ich bin Kuchenfreundin) mir persönlich erschwerte, war, dass ich während des Essens dazu die ganze Geschichte erinnerte, und diese Geschichte verdarb dann doch etwas die kulinarische Freude, welche quasi ihre süsse Unschuld verloren hatte. Die Schenkerin war wegen einer ausgeprägten Depression mit erheblicher Gewichtsabnahme (!) zu mir in Behandlung gekommen. Das Ganze hatte sich im Rahmen eines fiesen Mobbings am Arbeitsplatz entwickelt. Da sie Sorge hatte, ich könne ihr nicht glauben, oder auch nur, um´s zu illustrieren, hatte sie mir erzählt, sie habe, vor ihrer Krankschreibung, die Angewohnheit gehabt, mindestens einmal pro Woche auf dem Weg zur Arbeit bei einer bestimmten Bäckerei Halt zu machen, um dort Apfeltaschen für die Bürokollegen zu erstehen. Sie habe auch ihrem Chef mal eine Tüte mit zwei Apfeltaschen  drin mitgebracht, er habe sie zwar entgegen genommen, aber sich nicht bedankt. Sie habe an dem Tag nochmal unter einem Vorwand den Kopf in sein Büro gesteckt und gefragt, „und, hat´s geschmeckt?“ und er habe nur gebrummelt und keine richtige Antwort gegeben. Nun erhielt ich diese Frucht des Anstoßes Monate später, zur Abschieds-therapiesitzung. Ich weiß nicht, ob sie beim Überreichen noch dran dachte, dass wir die Apfeltaschengeschichte psychotherapeutisch hin- und hergewendet hatten. Zur Sicherheit habe ich mich doppelt bedankt. Vor und nach dem Handschlag. Mobbing in der Psychotherapie, das wäre ja wohl das Letzte gewesen!


Holzvogel
Den Original-Holzvogel, einen brasilianischen Kanarienvogel, besitze ich wegen Überlastung meines Praxisregals nicht mehr (Stichwort: Schrottwichteln), daher habe ich hier einen Ersatzvogel in Form des Verkaufsschlagers "Singvogel Ruth" abgebildet. Er kam von einer Brasilianerin, die sich in einer Ehe mit einem ansprüchlichen schwäbischen Ehemann gefangen fühlte. Der Käfig bestand aus sexueller Dauerbereitschaft ihm gegenüber, krankenpflegerischer Dauerbereitschaft den ebenfalls schwäbischen Schwiegereltern gegenüber und einem großen Haus mit Einliegerwohnung. Wer in letzerer wohnte, kannst du dir denken. Wie sehr hätte ich ihr gewünscht, dass sie sich aus ihrem deutschen Käfig befreien und wieder losfliegen würde!



Nachtcreme mit 5 % Urea
Die habe ich von Melanie, deren Geschichte ich im Post „U-Bahn fahren“ (Juni 2014) erzählt habe, geschenkt bekommen zum Therapieabschied nach 80 Sitzungen. Sie hat sich geniert beim Überreichen, und um ihre Scham zu überspielen, erklärte sie mir wortreich, wie sie auf die Idee für dieses (nur etwa 3 Euro teure) Geschenk gekommen sei. Sie hatte mir mal in einer  Sitzung erzählt, was es mit ihrer Schwäche, dem Schuldenmachen, so auf sich habe. Also, es war nicht ihre einzige Schwäche, aber vielleicht die problematischste, da Melanie bei der Schufa gemeldet war und Privatinsolvenz hatte anmelden müssen. Melanie träumte von einem anderen Leben, in welchem man nicht im Drogeriemarkt, sondern bei Douglas einkaufen ging. So war sie wieder mal schwach geworden und hatte sich von der monatlichen Stütze einen Mascara für 32 Euro bei Douglas gekauft. Ich hielt ihr einen Vortrag, dass das Glück, so einen Mascara zu besitzen, eine sehr kurze Halbwertszeit besäße, und dass es durchaus gute Kosmetik für wenig Geld gäbe. Und dass Kaufräusche kurzfristige Ausweitungen des Ego´s versprächen, die nur so lange anhielten, wie man die Trophäe zu hause ausgepackt und verstaut hat. Das sei wissenschaftlich bewiesen. Und das mit der Kosmetik auch. Als ich nach dem Abschlussgespräch das Päckchen auswickelte, musste ich lächeln. Danke für die Nachtcreme mit 5 % Urea. Ich war sehr zufrieden.



Nicht selbstgemachte Pralinen, die stattdessen von Kati selbstgemacht wurden
Eine interessante Variante des Patientengeschenks ist das Geschenk, das zwar der Patient überreicht, aber von einer wichtigen Bezugsperson des Patienten stammt. So war es bei Gregor. Gregor, ein schüchterner Elektromarktverkäufer, der mit knapp 30 Jahren noch nie eine Freundin gehabt hatte, hatte mir über viele Sitzungen Details aus seiner unglücklichen und bislang platonisch bleibenden Liebe zu seiner noch schüchterneren WG-Mitbewohnerin Kati zuteil werden lassen. Kati wusste das. Und sie wusste offensichtlich auch, dass ihre tiefsitzende Angst vor Sexualität nicht nur Gregor, sondern auch mir viele trübe Stunden beschert hatte. Als Abschiedsgeschenk für mich hatte Kati Gregor den Vorschlag gemacht, mir eine Auswahl ihrer selbstgemachten Pralinen mitzubringen. Quasi als Entschuldigung für die Unannehm-lichkeiten, die sie mir bereitet hatte, unbekannterweise. Gregor grinste glücklich, als er mir die Pralinen übergab. Er meinte, die ausführliche Diskussion der beiden über das geeignete Abschiedsgeschenk für mich habe in ihm die berechtigte Hoffnung aufkeimen lassen, dass sich Kati selbst bald in Therapie begeben würde. Sie nähere sich über die Edelbitterpralinen der Vorstellung an, bald nicht nur in Form ihres süßen Hobbies, sondern leibhaftig in einer Psychotherapiepraxis zu erscheinen. 

    ***

Es ist ehrlich gesagt nicht so, dass Geschenke immer nur in eine Richtung flossen: von Patienten zu mir. Ich muss gestehen, dass ich in einigen seltenen Fällen, wenngleich etwas unsicher, ob das methodisch astrein und abstinenzmäßig unanstößig sei, auch ein Geschenk gemacht habe. Das war dann zum Abschied. Wenn Du jetzt denkst, rück´ raus, Margarethe, dann muss ich Dich enttäuschen. Denn einem geschenkten Gaul … schaut man vor allem dann nicht in´s Maul, wenn er vom Therapeuten losgeschickt wurde. Profund eingesetzte Symbolik kann nicht ohne Wirkverluste weiter entschlüsselt werden.

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