f Psychogeplauder: Dezember 2020

Mittwoch, 30. Dezember 2020

Verirrt im analogen Leben (lost)


Abbildung. Check24
Abbildung: Check24

 


Die ersten jungen Menschen der Generation Z sind angekommen. In meiner Praxis. Neulich gleich zwei innerhalb eines Monats. Einer ist 18 Jahre alt, eine andere ist gerade 19 Jahre geworden. Mir wird klamm. Eindenken ist das Gebot der Stunde. Wohltuend: total höflich, sie kommen pünktlich, haben gute Manieren und keiner sagt "ooops". Denn es gibt nichts, was zu ooopsen wäre; sie sind politisch und zwischenmenschlich sehr  korrekt. Gut angezogen, alles sitzt. Sie haben gerade ein Vierteljahr digital detoxing hinter sich gebracht. Wollten mal raus aus dem Sichvergleichen. Ist so anstrengend, wer bin ich, wie will ich sein, wie wirke ich, bin ich authentisch, ist meine Suche nach Authentischsein gerade das Unauthentische. Wie kann ich einen Job annehmen, wenn gerade die Welt zu retten ist. Beim Reaktorunglück in Fukushima waren sie 10 Jahre alt, beim ersten friday für future waren sie 17. Ein Jahr zuvor lasen sie, dass Trump das Klimaabkommen aufkündigt, in den sozialen Netzwerken. Sie lasen schon mit 5 Jahren auf ihren Spielzeughandys oder auf dem ausrangierten Laptop des Vaters. Sie wissen so viel und doch zu wenig. Wie trete ich auf einer analogen Partie auf. Wie spreche ich ein Mädchen an (wenn ich ein Junge bin). Wie spreche ich ein Mädchen an (wenn ich nicht genau weiß, ob ich trans, queer oder Junge bin). Welchen Job soll ich machen. Die Welt steht ihnen offen und viele ArbeitgeberInnen reißen sich um sie, um die Jungen, weil es immer weniger Junge gibt. Aber wie sollen sie sich entscheiden. Was ist sinnvoll, was ist sinnlos. Was stimmt, was stimmt nicht. Was ist fake. Die Welt ist so verschlossen. So ohne Sinn. Erstmal ein freiwilliges soziales Jahr. Am besten im Ausland. Allerdings sind Flugreisen ökologisch schlecht; kann man mit dem Zug nach Georgien reisen? Und kommt man dort allein zurecht? Die Eltern sind finanziell großzügig. Und ansonsten reden die Eltern zu viel Oberflächliches. Sie ereifern sich über Nichtigkeiten. Es ist nett zuhause, ja. Die Eltern machen sich Sorgen, denn sie merken schon eine Weile, dass das Kind depressiv ist. - Mal darüber geredet mit ihnen? - Nein, nicht direkt. Es war unklar, was das bringt. Karriere machen oder viel Geld verdienen ist nicht ihr Ziel. Bis zum Schulabschluss lief es ganz gut. Aber jetzt? Sie wissen, sie finden sowieso einen Job. Aber sie wollen keinen. Die Welt ist so verschlossen. So ohne Sinn. Und jetzt, mit Corona. Was hat es gebracht, dass die Eltern viel Arbeit hatten, sich bildeten, ins Fitnesstudio liefen und ihre Work-Life-Balance beherzigten. Nichts hat es gebracht. Die Welt ist so verschlossen. Wenn sie heute anfangen zu studieren, oder eine Schreinerausbildung beginnen, dann ist das nur vorübergehend. Work-Life-Blending klingt so mühevoll, und die Inhalte kommen immer mehr unter die kritischen Wahrnehmungsräder. Raus wollen sie. Vielleicht aus ihrem ganzen Leben. Oder, am liebsten, zurück. Nach hause. Sie haben Angst. Ob sie Borderline sind? Sie wissen alle Differentialdiagnosen und Behandlungsoptionen, bevor sie zur ersten Sitzung erscheinen. Bin ich krank? Nur weil ich alles sinnlos finde? An Silvester wollte ich in Berlin feiern gehen, aber meine beiden FreundInnen dort hatten keine Lust. Da bin ich zwei Stunden lang ausgerastet und hab´ geheult. - Warum?, frage ich nach - Ich hatte keine story.

Epilog:
Als "Jugendwort 2020" wurde das Wort LOST gewählt.


Donnerstag, 17. Dezember 2020

Pronto?!



well prepared



Die Italiener melden sich am Telefon, wenn sie angerufen werden, mit „pronto“ – was in etwa so viel heißt wie „ich bin bereit“, „ich bin fertig zuzuhören…“, insgesamt betrachtet eine sehr dienstleistungsnahe Art, sich zu melden. Der Name des Angerufenen dagegen zählt gar nicht so viel, wenn man sich meldet; schließlich sollte der Anrufende ja wissen, warum er angerufen hat und auch, wen er sprechen wollte. Eigentlich wäre „Pronto“ auch ein sehr passendes Gesprächseinleitungswort, wenn Therapeuten angerufen werden. Was selten vorkommt. Der Hilfesuchende spricht lieber auf den Anrufbeantworter und geht dann davon aus, dass er zurückgerufen wird.