f Psychogeplauder: Das Wesen der Zünfte I

Sonntag, 6. August 2017

Das Wesen der Zünfte I


Die  Vielfalt  der  Zünfte
am  Beispiel  von  Basel *



Die Geschichte der Entstehung der unterschiedlichen psychotherapeutischen Behandlungsmethoden beherbergt eine nicht enden wollende Reihe professionsbezogener Trennungen, biographischer Brüche, unerwarteter Illoyalitäten, schwerer Kränkungen und, denken wir nur an FREUD und seinen fast 20 Jahre jüngeren Schüler JUNG, bitterer persönlicher Feindschaften.
Um sich und die eigene Kontur zu finden, ist man ja gerade in der Welt der Psychotherapie, bei der die eigene Person und, sofern man eine solche hat, auch die eigene Persönlichkeit entscheidenden Anteil am Gelingen der Arbeit haben sollen, darauf angewiesen, seine vielstrapazierte Identität zunächst zu formen und, sobald geformt, im weiteren zu pflegen. Man legt sich also zur Festigung des ohnehin sensiblen Ego´s  Vereine zu, deren Mitglied man wird, und anstelle des im Mittelalter üblichen Wappens handelt es sich bei der Aussendarstellung der zeitgenössischen Zunftzugehörigkeiten meistens um vielsagende Abkürzungen des Vereinsnamens, in denen statistisch die Buchstaben D (deutsch), P (Psychologie, Psychoanalyse, Psychosomatik, Psychotherapie) und G (Gesellschaft), gelegentlich bei kesseren, wenngleich in weiten Kreisen weniger angesehenen Varianten auch das T (Tiefenpsychologie) überrepräsentiert sind. In Zeiten des unvermeidlichen Webauftritts gibt es neuerdings zusätzlich noch mehr oder weniger einprägsame Logos, die die Einzigartigkeit, Attraktivität, Modernität und Identität des Vereins und seiner Mitglieder weiter festigen sollen. Ganz oben im Olymp der Seelenreife und inmitten der intellektuellen Cremeschicht ist man angelangt, wenn der abgekürzte Vereinsname auch noch ein I enthält, denn dieses steht für international und ist meistens ein Beleg dafür, dass man sich mit einigen interessanten Geistesgrößen aus dem angelsächsischen Sprachraum austauscht und sich nicht nur im miefigen, während der Hitlerdiktatur analysefeindlich gewordenen Deutschland mitsamt seiner in psychoanalytischen Gefilden als höchst zweifelhaft betrachteten duckmäuserischen Nachkriegskultur bewegt. Angeblich konnte man, jedenfalls in den 70er und 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts, zumindest bei weiblichen Mitgliedern auch an der Tracht erkennen, ob sie beispielsweise zum Collegium mit den zwei „P“ oder zu jenem mit dem einen „P“ im Namen gehörten, wobei, anders als der unbefangen hereingeschneite Betrachter, bei Zunfttagungen gerne mit einem kennzeichnenden Namensschild als „Gast“ tituliert und beschämt, intuitiv vermuten würde, in diesem Falle das solitäre „P“ mehr Klasse zu versprechen scheint. Es war, um auf den dress code zurückzukommen, angeblich das Material der Bluse, welches, sofern aus reine Seide, auf die Zugehörigkeit zu etablierteren Gilden verwies; doch als Quelle dieser Einteilung kann ich dir leider nur mündliche Mitteilungen einer meiner ehemaligen Supervisorinnen benennen, da in den Zeiten, über die hier die Rede ist, ich nur Gymnasiastin und später farb- und rechtelose Gesellin war, so dass eine Beobachtung aus erster Hand mir diesbezüglich leider aus physiologischen Gründen nicht möglich war. Du ahnst, lieber Leser, dass das Leben des einzelnen Mitgliedes durchaus stark von seiner Zunft bestimmt werden kann, nicht nur sein Briefpapier. Der Festigung der eigenen Würde dient bei der Zunftzugehörigkeit stets auch die Tatsache, dass Lehrlingen und Gesellen in Ermangelung einer ordnungsgemäßen Mitgliedschaft in der Zunft sowie in Anbetracht ihrer aus Konkurrenzgründen oft lange hingezogenen Lehrzeit nur die horizontale Vernetzung mit Ihresgleichen verbleibt, mittels derer man sich häufig mit Imitationen des Gehabes der Meister die karg bemessene freie Zeit vertreibt. Doch selbst wer, trotz der hohen Anforderungen der Zunftordnung, schließlich ein Meister seines Faches geworden ist, darf sich seiner automatischen Aufnahme nicht sicher sein, werden doch durch Begrenzung der jährlichen Zahl zuzulassender Meister und durch eine gefürchtete, strenge Beurteilung ihrer abzugebenden Meisterstücke weitere Hürden bis zur Vervollkommnung eingebaut.


Auch über den analytischen Tellerrand hinaus soll es ja noch gewisse Psychotherapiemethoden geben. Man denke nur an die Körpertherapeuten, die systemischen Therapeuten, die Gestalttherapeuten und die Urschreier. Oft in anderen Zünften organisiert, werden sie ergänzt durch jene Pfuscher, Stümper und Flickschuster, die gar keiner Zunft angehören und so etwas wie gemeines, ethisch betrachtet illegal gewerbetreibendes Fußvolk bilden, dessen Arbeitsqualität unter Diskussionswürde gelagert ist. Das ausgemachte Feindesland der analytischen Zünfte stellt jedoch zweifelsohne die Verhaltenstherapie dar, wobei vermutlich bei der jahrzehntelangen Rivalität, die ein humorvoller leider verstorbener Meister seines Faches einmal Pferderennen-Mentalität nannte, auch materielle Pfründe mitspielen. Als einzige von den Krankenkassen anerkannte Schwester der analytischen Verfahren macht die Gilde der Verhaltenstherapeuten den Psychoanalytikern zuweilen das Leben schwer, auch wenn letztere es geschickt verstehen, so zu wirken, als fühlten sie sich unbedroht, da sie Verhaltenstherapie gar nicht als Psychotherapie ansehen, eher als so eine Art pädagogische Erstklässlerbetreuung mit Hausaufgaben.

Und doch, selbst dieser kleingartenvereinsassoziierten Streitkultur winkt ein tröstlicher wissenschaftlicher Blick in die überindividuellen Hintergründe: Ob die in beinahe allen Regionen zu verzeichnende Auflösung des Zunftwesens als Niedergang oder eher gesellschaftlich notwendiger, einer Neuorientierung ihre Wege ebnender Fortschritt zu bewerten sei, hierüber streiten sich laut eigener umfangreicher Recherchen angeblich noch immer die forschenden soziologischen Geister.

*(Das farbenfrohe Titelbild ist entnommen aus:  Max Pusterla: Die Basler Zünfte, Spalentor Verlag, 2008)



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