f Psychogeplauder: 2019

Sonntag, 22. Dezember 2019

Weihnachten über Kreuz





Nach vielen recherchereichen Jahren… habe ich begriffen, was hinter den etwas betulichen Formulierungen der Weihnachtskarten, -briefe und E-Mails steckt: Es sind die Wünsche für das Eintreten dessen, was über die sogenannten Feiertage am unwahrscheinlichsten eintreten wird. Logo. Da hätte ich eigentlich schon früher drauf kommen können: Das, was sowieso erwartbar ist, braucht man ja auch niemandem extra zu wünschen. Da haben wir folgende Wunsch-Attribute für Weihnachten: besinnlich, geruhsam, ruhig, angenehm, im Familienkreis, im Kreise der Lieben, gesegnet oder einfach… schön! „Joyeux“ ist schon eher etwas von den Franzosen Bemühtes, also jedenfalls ist mir aufgefallen, dass das Wort „fröhlich“ im weihnachtlichen Deutschland eher bei netten Spielfilmen oder in Kirchenliedern vorkommt. Aber das Glück wird spätestens bei den – praktischerweise – im Doppelpack gleich mitgelieferten Neujahrswünschen dann bemüht.

Realiter beginnt die unschlagbare Hetze schon Ende November. Und was danach kommt… ist eher die Erfahrung des Fehlenden (dessen, was uns in diesen Tagen immerzu gewünscht wird). In der Weihnachtszeit – und ganz besonders an den Feiertagen – wird uns all das bewusst, was wir noch nie hatten oder was wir nicht mehr haben. Zeit, Gemeinsamkeit, Harmonie ohne familiäre Hintergrundkonflikte. Das Unausgesprochene bedrängt uns, das während des Jahres erfolgreich Verdrängte. Es ist das Gegenteil von Besinnlich. Besinnlichkeit meint einen aktiven, höchst bewussten und gesteuerten Vorgang. Eine Haltung, um die wir uns bemühen, um aus ihr Kraft zu beziehen. Dagegen ist die nachdenkliche Sentimentalität eine vor allem emotionale Verfasstheit, die uns gegen unseren Willen ereilt, an die Oberfläche drängt, ohne uns zu fragen, uns oft nicht besinnlich, sondern bedrückt und bedrängt zurücklässt.

Immer häufiger höre ich in der Praxis von meinen Patienten den Satz: „Ich bin froh, wenn´s rum ist“. Früher schrieb ich ihn denen zu, die keine oder eine zerstrittene Familie haben. Oder den Atheisten, die mit dem Festrummel zu Recht wenig anzufangen wissen. Heute sehe ich klarer: Der Herausforderung des Gewahrwerdens des Fehlenden müssen wir uns alle stellen. Und es scheint mir, als wüchse die Kluft zwischen medial getriggerter Erwartung und dem Fehlenden immer mehr. Gen Himmel.



                                     

Montag, 9. Dezember 2019

Deppen im Dienst


Vorsicht,  Bluff!


Neulich saß ich wieder einmal in einem öffentlichen Verkehrsmittel. Normalerweise mache ich da Milieustudien und peile darüberhinaus die gesamtgesellschaftliche Lage. Diesmal wollte ich aber bloß im Zug von A nach B fahren, genauer gesagt, ich habe meine Patentante besucht und das ohne Auto, denn draußen waren die Straßen glatt und eisig. Aber es wurde dann trotzdem eine Milieustudie draus. Was willste machen, die Trigger waren derart stark, dass ich gar nicht anders konnte.


Bei der zweiten Haltestelle meiner Reise stiegen zwei ausgebildete Fachkräfte der DB Sicherheit zu.

Freitag, 8. November 2019

Zu kurze Röcke


Geht  doch  noch...
oder ?


Ein außerordentlich sensibles Thema ist die Frage des richtigen Zeitpunktes. Diese Frage betrifft nicht nur Anfänge oder Premieren (Wann wagt ein Sekundarstufe-Zwei-Schüler den ersten Kuss? Wann ist der richtige Moment, den jahrelang schweigenden Chef um eine Gehaltserhöhung zu bitten?).
Genauso wichtig und somit von mindestens ebenbürtiger Relevanz ist die Frage des Aufhörens.

Freitag, 11. Oktober 2019

Travel & work




Circa jede vierte Arbeitswoche des gewissenhaften Therapeuten endet mit einem Pendlertag. Man trifft sich zur Besprechung.

Mittwoch, 11. September 2019

Apothekerfragen


Zu  Risiken  und  Nebenwirkungen  fragen
Sie  Ihren  Partner  oder  ihren  Therapeuten!



Vor allem bei jenen Behandlungsmethoden, die man gelegentlich weich nennt, gibt es ja immer wieder mal, in unregelmäßigen Abständen, Wirkungsdiskussionen. Die Homöopathen, Marketingkünstler seit über 200 Jahren, sind schon früh drauf gekommen, dass es ziemlich unwahrscheinlich ist, dass etwas wirkt, wenn es so gar keine Nebenwirkungen hat.

Samstag, 17. August 2019

Das Rouge der Marquise



Make Up - Trend  mit
Deutungspotential


Wenn Du als Therapeut arbeitest, insbesondere mit der Spezialität der Psychoanalyse oder Tiefenpsychologie, ist es Dein Job zu interpretieren. Du passt also auf, was Dein Patient Dir via Symptombeschreibung, Träumen, seiner Beziehungsgestaltung Dir gegenüber, Versprechern und sonstiger sogenannter Produktionen des Unbewussten nun mitteilen will – und zwar: eigentlich mitteilen will. Der Job ist in den Augen der Umwelt oft interessant (Hellseher-Qualitäten werden Dir zugedacht) bis hin zu gemein (fieser Entlarver, Kripo-Allüren). Abgesehen davon, ist er vor allem eines: gar nicht so einfach.

Samstag, 20. Juli 2019

Edith entdeckt die theory of mind (Empathie 3)


Stolperstein für Edmund Husserl
vor dem Haupteingang des Kollegiengebäudes I
der Universität Freiburg




Neben der Neurobiologie haben wir noch eine weitere Erkenntnisdisziplin für das zwischenmenschliche Verstehen, die Philosophie, zu berücksichtigen. Edith STEIN, eine Schülerin Edmund HUSSERL´s, des berühmten Begründers der Phänomenologie, hat diesen anderen Teil des Verstehens, der sich nicht auf die Entdeckung der Spiegelneuronen gründet, vertieft und in ihrer Doktorarbeit erläutert.

Samstag, 22. Juni 2019

Spieglein Spieglein (Empathie 2)



Zuverlässig,  aber  nicht  sehr  kreativ





Einer Arbeitsgruppe der Universität Parma war es vor Jahren gelungen, unseren emotionalen Resonanzboden für körperliche oder körpernahe Vorgänge in unserem Gegenüber zu erklären. Genauer gesagt, man fand in Form der sogenannten mirror neurons, der Spiegelnervenzellen, ein stoffliches, den Regel der neuronalen Erregung unterworfenes System unserer Wahrnehmung heraus, das immer dann aktiviert wird, wenn der Körper einer anderen Person, sei es durch Motorik, Mimik oder Schmerzanzeichen, Signale aussendet, die wir mit unseren fünf Sinnen aufnehmen können.

Dienstag, 21. Mai 2019

Verständnisvolle Zwillingsschwestern (Empathie 1)


Sympa  und  Empa  teilen  sich
die  Aufmerksamkeit  des  Betrachters



Nicht immer ist der Therapeut mit seiner persönlichen Verfassung ein Modell für seelische Gesundheit. Das Phänomen des Helfers, der selbst nicht aus dem Vollen schöpfen kann, ist in der gesamten Medizin, wie auch in den sozialen und den geisteswissenschaftlichen Disziplinen bekannt

Sonntag, 21. April 2019

Epigonen-Probleme





So richtig heiß wird es dann, wenn du als Therapeut nicht der one and only bist. Sowas kommt ja vor, also du redest mit einem Patienten im Erstgespräch so ahnungslos vor dich hin, fühlst dich irgendwie wohlig eingehüllt vom Psychoslang des Patienten und angenehm angetan von den total selbstreflexiv wirkenden Überlegungen dieses neuen Hilfesuchers, und merkst erst gegen Ende, dass derjenige schon bei Frau Kollegin Krötenschreier oder Herrn Doktor Sabbelphillip eine Therapie gemacht hat.

Samstag, 23. März 2019

Wisch und Weg




Ohne diese weißen Rollen könnte man vermutlich leben, aber schlechter. Meine Mutter hatte die Angewohnheit, wenn sie Papiertücher für irgendetwas benötigte, kein ganzes Blatt von der perforierten Rolle abzureißen, sondern ein halbes,

Samstag, 23. Februar 2019

Das Ende vom Schwein


Das  Mini-Schwein  Polly  war  im  September 2006  
zu  Gast  in  einem  Fernsehstudio.

Photo: Sendung „Planet Wissen“ (ARD)


Es ist meistens ein Zeichen der Besserung, wenn depressive Patienten mir spontan ihr Lebensmotto verkünden – oder besser gesagt, dieses wiederfinden, zum Beispiel weil es im Morast grüblerischer Melancholie länger verschollen war und im Laufe der Therapie wieder hervortritt. Das war neulich ein wahrer Durchbruch. Helmut, so möchte ich ihn nennen, weil er, wie der große Helmut Zacharias, ein begnadeter Musiker war, hatte sich anderthalb Jahre zuvor an mich gewandt mit der schlimmsten Trauerreaktion, die ich je bei einem Patienten diagnostiziert hatte. Er war tatsächlich dreieinhalb Jahre nicht zum Friseur und nicht zum Arzt gegangen, hatte seine Wohnung gekündigt und war, über 50 jährig, zu seiner ältesten  Schwester gezogen, wo er dahinvegetierte, das einzige Gewaschene an ihm waren seine Hosen, die die Schwester ihm hinlegte, und ansonsten hatte er in gewisser Weise aufgehört zu leben. Er sagte ein Engagement nach dem anderen ab, hatte dadurch bedingt immer weniger Geld, seine Sachen waren in einen Container eingelagert und die Sachen seiner verstorbenen Frau ebenfalls. Beide Container trennten 400 Meter Luftlinie, er hatte sie bisher nicht betreten können, als er schließlich im dritten Jahr nach dem Tod seiner Gefährtin bei mir vorsprach, weil ein Freund ihm sagte, so geht es nicht weiter. Wir erarbeiteten schrittchenweise die Einsicht, dass er seit dem Todesfall lebte, als sei sein Leben vorbei. Er sah keine Zukunft für sich und keine Gegenwart – alles war im wahrsten Sinne des Wortes „eingelagert“, nicht nur seine  Sachen und die der toten Frau, auch seine Eigenschaften, Wünsche, Hoffnungen. Von warmen Hosen ganz zu schweigen. Der Abschied war ein riesen Thema, er brauchte unendlich lange, den Verlust zu akzeptieren. Wenn während der Zeit seiner Behandlung jemand in der Umgebung starb, brach alles wieder aus ihm heraus, und wir mussten geduldig von neuem anfangen, die Verluste zu ordnen, die Frage der Beerdigungsteilnahme zu überlegen (ja  - nein – nur Friedhof, kein Leichenschmaus) und den Blick, zaghaft, wieder in seine Zukunft lenken.
Neulich brachte Helmut mich, das will was heißen, zum Lachen. Um es milde auszudrücken. Ich hatte einen Lach-Anfall. Helmut geht es besser. Er berichtete, dass er derzeit viel Energie darauf verwende, einem Freund beizustehen, der von seiner Ehefrau abrupt betrogen und dann verlassen worden sei. Er kümmerte sich rührend, schleifte ihn zum Therapeuten (!), redete ihm gut zu, dass nicht alles Gold gewesen sei, was da seitens der Gattin geglänzt hatte. Es könne doch auch ein neuer Anfang sein! Das Gute im scheinbar Schlechten! - Ich atmete flacher. - Und er habe dem Freund sein Lebensmotto mitgeteilt. - Ich japste. - Ihr Lebensmotto? - Ich hechelte. - Sie haben ein Lebensmotto? Das will ich hören! Helmut, der mehrjährig Scheintote, verkündete stolz: Das Ende vom Schwein ist der Anfang der Wurst!




Samstag, 26. Januar 2019

Voll die Spirale!



Rasantes Vorgehen,
nahe am Unmöglichen
           



"Voll die Spirale!" sagte neulich eine Patientin zu mir, sich selbst kommentierend, weil sie wieder einmal nicht zu ihrer eigenen Meinung gestanden war, sondern sich angepasst hatte in einer Diskussion unter Freunden. Immer wieder hatte sie in ihrem jungen 21jährigen Leben feststellen müssen,

Mittwoch, 2. Januar 2019

Normal dull people





Schon FREUD´s Tochter Anna resumierte einmal ziemlich ernüchtert: es sei der späteren, nach dem aktiven Wirken ihres Vaters einsetzenden Entwicklung der Psychoanalyse nicht gelungen, die existierenden mehr oder weniger liebenswerten Normvarianten seelischen Gepräges zu behüten, geschweige denn zu fördern.