well prepared |
Die Italiener melden sich am Telefon, wenn sie angerufen werden, mit „pronto“ – was in etwa so viel heißt wie „ich bin bereit“, „ich bin fertig zuzuhören…“, insgesamt betrachtet eine sehr dienstleistungsnahe Art, sich zu melden. Der Name des Angerufenen dagegen zählt gar nicht so viel, wenn man sich meldet; schließlich sollte der Anrufende ja wissen, warum er angerufen hat und auch, wen er sprechen wollte. Eigentlich wäre „Pronto“ auch ein sehr passendes Gesprächseinleitungswort, wenn Therapeuten angerufen werden. Was selten vorkommt. Der Hilfesuchende spricht lieber auf den Anrufbeantworter und geht dann davon aus, dass er zurückgerufen wird.
Nun mag es ja sein, dass diese Anrufer nicht aus Bequemlichkeit, sondern aus Rücksichtnahme handeln. Sie möchten nicht stören, etwa durch das Klingeln des Telefons in einer Sitzung. Vielleicht denken sie sogar, es sei dem Therapeuten lieber so, also in Ruhe nach und nach die Anrufer zurückrufen, mit einem Glas sizilianischem Merlot, am frühen Abend nach absolviertem Arbeitsalltag, und der anderslautende Text auf seinem Anrufbeantworter sei nur… ein Versehen. Oder sie haben bei diesem nicht genau zugehört. Schwieriges Prognostikum für Psychotherapie. Aber was offenbar gar nicht in ihrem Bewusstsein Platz findet, ist, dass Psychotherapie etwas mit Sprechen (miteinander) und persönlichem Bezug zu tun hat. Und Psychotherapeuten liiieben es, schon am Telefon, im ersten akustischen Dialog, ein bisschen Diagnostik zu betreiben. Das hat zwei Gründe; erstens liefert es wichtige Erkenntnisse, wie sich Patienten melden. Und zweitens entschädigt genau diese Erkenntnisfindung für den leider organisatorisch und finanziell fast nie realisierten Wunsch, doch lieber eine Sekretärin zu haben (noch besser, als weibliche Therapeutin: einen jungen Sekretär) oder eine medizinische Fachgehilfin, die sich mit „Praxis Doktor Irgendwas“ meldet, oder, noch viel besser, mit „Vorzimmer Doktor Soundso“. Auf diesen Spoiler moderner Großpraxen müssen wir Therapeuten meistens verzichten und umso mehr wollen wir wenigstens diagnostisches Kapital schlagen aus der nahe an der Demütigung angesiedelten Pflicht, selber schnöde Alltagstelefonate abwickeln zu müssen.
Naja, den Anrufbeantworterflirtern und -Innen sei versichert, dass auch dann noch, wenn gar kein Gespräch zustande kam, sich wertvolle Hinweise ergeben können. In 30 Jahren habe ich hier zwei Gruppen herausfiltern können: erstens die Lehrer, die können nicht zu meinen Telefonzeiten anrufen, wenn sie in einer staatlichen Schule tätig sind und nicht gerade krank, weil zu meinen Zeiten immer gerade die dritte Schulstunde begonnen hat. Die sagen das meistens, entschuldigend, und ich rufe zurück. Und die zweite Gruppe sind Patienten, die der „Mir-geht’s-schlecht-tun-sie-was!-Fraktion angehörig sind und Psychotherapie eher verstehen als Bemühen eines im übrigen beliebigen Therapeuten und nicht als ein beiderseitiges. Nun ist unschwer zu erraten, welche Gruppe die größere ist. In Zukunft werde ich das italienische „Pronto!“ beherzigen, als Belohnung für diejenigen, die meine Telefonzeiten sich angehört, sich gemerkt und diese sodann beherzigt haben. Das sind bestimmt total liebe.
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