f Psychogeplauder: Pronto?!

Donnerstag, 17. Dezember 2020

Pronto?!



well prepared



Die Italiener melden sich am Telefon, wenn sie angerufen werden, mit „pronto“ – was in etwa so viel heißt wie „ich bin bereit“, „ich bin fertig zuzuhören…“, insgesamt betrachtet eine sehr dienstleistungsnahe Art, sich zu melden. Der Name des Angerufenen dagegen zählt gar nicht so viel, wenn man sich meldet; schließlich sollte der Anrufende ja wissen, warum er angerufen hat und auch, wen er sprechen wollte. Eigentlich wäre „Pronto“ auch ein sehr passendes Gesprächseinleitungswort, wenn Therapeuten angerufen werden. Was selten vorkommt. Der Hilfesuchende spricht lieber auf den Anrufbeantworter und geht dann davon aus, dass er zurückgerufen wird.

Zwar hat die Kassenärztliche Vereinigung schon vor längerer Zeit feste wöchentliche (unbezahlte) Telefonzeiten für alle Praxen, auch die psychotherapeutischen, durchgesetzt. Und die meisten Therapeuten, die ich kenne, bitten auch in ihrem telefonischen Ansagetext darum, sich an diese Zeiten zu halten, insbesondere wenn man ein bis dahin der Praxis unbekannter Patient ist; dann lassen sich ganz nebensächliche Fragen nämlich gleich klären, zum Beispiel ob die Beschwerdelage eine Psychotherapie impliziert, ob der Anrufende nur bestimmte Zeiten für seine benötigten Psychotherapiesitzungen realisieren kann oder von wem er die Empfehlung erhalten hat oder ob er vielleicht etwas ganz anderes sucht, als der Therapeut ihm anbieten kann. Aber die Erfahrung zeigt, dass viele Patienten offenbar so beschäftigt sind, oder auch so wenig deutsche Ansagetexte vom Band verstehen (Beschäftigte des diplomatischen Dienstes von Neu-Guinea?), dass sie trotzdem auf Band sprechen. Mit einer etwas militärisch hinterlassenen Handynummer und der Zusatzbemerkung: Es wäre total lieb von Ihnen, wenn sie zurückrufen.“ Heißt das eigentlich im Umkehrschluss, dass man böse ist, wenn man nicht zurückruft? Naja, jedenfalls wird man offenbar so erlebt und als potentieller zukünftiger Therapeut mit aller Härte ausgemustert, wenn man es nicht tut; es ist jedenfalls extrem selten, dass nach einer solchen Anrufbeantworternachricht tatsächlich nochmal ein zweiter, und noch weniger, ein Live-Anruf erfolgt. Das spräche für die Böser-Therapeut-These. Ein Therapeut, der sich nicht bemüht, ist raus. Rufst Du dagegen doch noch zurück, dann ergeben sich zuweilen solch unangenehme Dialoge wie „Wer ist dran?“ – „Ach so, ooops, ich wusste gar nicht mehr, wen ich alles angerufen hatte, hat sich erledigt“. Oder auch „Im Moment ist es gerade ganz schlecht, sorry!“. Wenn Du sofort zurückrufst, auch das gibt es, weil Du während des Anrufs gerade nicht im Zimmer warst und diese wenig dienstleister-like daherkommende sträfliche Absenz wiedergutmachen möchtest, dann… kommt meistens die Mailbox.

Nun mag es ja sein, dass diese Anrufer nicht aus Bequemlichkeit, sondern aus Rücksichtnahme handeln. Sie möchten nicht stören, etwa durch das Klingeln des Telefons in einer Sitzung. Vielleicht denken sie sogar, es sei dem Therapeuten lieber so, also in Ruhe nach und nach die Anrufer zurückrufen, mit einem Glas sizilianischem Merlot, am frühen Abend nach absolviertem Arbeitsalltag, und der anderslautende Text auf seinem Anrufbeantworter sei nur… ein Versehen. Oder sie haben bei diesem nicht genau zugehört. Schwieriges Prognostikum für Psychotherapie. Aber was offenbar gar nicht in ihrem Bewusstsein Platz findet, ist, dass Psychotherapie etwas mit Sprechen (miteinander) und persönlichem Bezug zu tun hat. Und Psychotherapeuten liiieben es, schon am Telefon, im ersten akustischen Dialog, ein bisschen Diagnostik zu betreiben. Das hat zwei Gründe;  erstens liefert es wichtige Erkenntnisse, wie sich Patienten melden. Und zweitens entschädigt genau diese Erkenntnisfindung für den leider organisatorisch und finanziell fast nie realisierten Wunsch, doch lieber eine Sekretärin zu haben (noch besser, als weibliche Therapeutin: einen jungen Sekretär) oder eine medizinische Fachgehilfin, die sich mit „Praxis Doktor Irgendwas“ meldet, oder, noch viel besser, mit „Vorzimmer Doktor Soundso“. Auf diesen Spoiler moderner Großpraxen müssen wir Therapeuten meistens verzichten und umso mehr wollen wir wenigstens diagnostisches Kapital schlagen aus der nahe an der Demütigung angesiedelten Pflicht, selber schnöde Alltagstelefonate abwickeln zu müssen.

Naja, den Anrufbeantworterflirtern und -Innen sei versichert, dass auch dann noch, wenn gar kein Gespräch zustande kam, sich wertvolle Hinweise ergeben können. In 30 Jahren habe ich hier zwei Gruppen herausfiltern können: erstens die Lehrer, die können nicht zu meinen Telefonzeiten anrufen, wenn sie in einer staatlichen Schule tätig sind und nicht gerade krank, weil zu meinen Zeiten immer gerade die dritte Schulstunde begonnen hat. Die sagen das meistens, entschuldigend, und ich rufe zurück. Und die zweite Gruppe sind Patienten, die der „Mir-geht’s-schlecht-tun-sie-was!-Fraktion angehörig sind und Psychotherapie eher verstehen als Bemühen eines im übrigen beliebigen Therapeuten und nicht als ein beiderseitiges. Nun ist unschwer zu erraten, welche Gruppe die größere ist. In Zukunft werde ich das italienische „Pronto!“ beherzigen, als Belohnung für diejenigen, die meine Telefonzeiten sich angehört, sich gemerkt und diese sodann beherzigt haben. Das sind bestimmt total liebe.




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