f Psychogeplauder: Los Wochos

Donnerstag, 16. Oktober 2014

Los Wochos






Meiner Meinung nach wird viel zu häufig über diejenigen empörenden Probleme gesprochen, die durch den nationalen Psychotherapeutenmangel und die daraus resultierenden langen Wartezeiten auf einen Therapieplatz entstehen.
Aufgrund des Gesetzes des Goldenen Mittelweges, auch als Schriftzug über dem Ausgang des Delphi´schen Orakels zu bewundern („TU´ NICHTS IM ÜBERMAß“), besteht die Gefahr einer Vereinseitigung der gesundheitspolitischen Diskussion, die durch zahlreiche „kleine Anfragen“ insbesondere der vermutlich selbst überdurchschnittlich häufig therapiebedürftigen oder nebenerwerblich therapeutisch tätigen Grünen-Politiker am Köcheln gehalten wird. Denn es gibt wenig Zweifel, dass auch das Gegenteil, nämlich die Überversorgung, zum Problem wird, und zwar nicht nur für die durch die Qual der Therapeutenwahl gepeinigten Patienten, die ja hierdurch bedingt noch mehr Zeit verlieren, bevor es endlich losgeht, sondern auch für die Therapeuten, die in überversorgten Gebieten unter Aufbietung von Geduld und Finesse ihre Ware an den Verbraucher bringen müssen, um wenigstens halbwegs würdig von ihrer Arbeit leben zu können. In Tübingen zum Beispiel hast du es mit einem Versorgungsgrad von über 500 % zu tun, da erkennst du Therapeuten an ihrem alten klapprigen Auto, geparkt im Hinterhof ihrer schäbigen mit acht anderen Berufskollegen geteilten Praxis, und an einer subtilen Überalterung ihrer beige- oder olivfarbenen Cordhosen, und in Garmisch-Partenkirchen beträgt der Grad der Überversorgung immerhin noch etwa 400 %. Überhaupt scheinen Universitätsstädte mit langer geistesgeschichtlicher Tradition beliebt, ebenso wie offenbar die alpine Bergwelt. Das ist kein Wunder. Über ihre Seelenverwandtschaft mit NIETZSCHE grübelnde depressiv eingebrochene Philosophieprofessoren auf der Couch liegen zu haben oder auch an akuter Kuhglockenphobie leidende Sennerinnen wieder mit verhaltenstherapeutischen Kniffs auf den langen landschaftlich reizvollen Weg zurück zu ihrer Berghütte zu begleiten, das ist irgendwie hot. Auch sogenannte Kernstädte wie Hamburg, Berlin und München versprechen eine interessante Klientel. Nichts ist schöner für das gebeutelte Therapeutenego, als mal tief innen drin zu spüren, wie das ist, wenn man einen Prominenten „in Therapie“ hat, der abends für Millionen eine Fernsehshow moderiert und von dem nur du weißt: er denkt während der Werbepause dankbar und heimlich an mich! Aber die bittere Seite dieser trotzigen Ich-will-an-einem-attraktiven-Ort-praktizieren-Medaille ist zweifellos, dass du dir als Therapeut marketingmäßig was einfallen lassen musst.

Es ist längst an der Zeit, dass die scheue, seit den Siebzigern des letzten Jahrhunderts vom Gutmenschentum befallene Therapeutenzunft sich aus ihrer mit Ikea eingerichteten Höhle traut und offensiv am Markt positioniert. Gerade in den Sommermonaten, die klassischerweise durch Mangel an Patientenanfragen gekennzeichnet sind (man möchte lieber die freie Zeit zum Grillen und Schwimmengehen nutzen und meldet sich erst Mitte September an, zumal man fälschlicherweise davon ausgeht, dass sich alle anwählbaren Therapeuten sowieso in einem luxuriösen Karibikurlaub befinden), bietet sich in Anlehnung an einschlägige Werbestrategien amerikanischer Burger-Imperien an, auch unkonventionelle Wege zu beschreiten und die eigene mit den Jahren eingerostete Verbraucherfreundlichkeit auszubauen. Ich plädiere für spezielle, so ein- oder zweimal im Jahr organisierte Psychotherapiewochen, regional veranstaltet, zum Beispiel Dritte Psychowoche Hameln oder auch Aktionen wie Woche der offenen Therapeutentür oder Präventionswoche Seele in Starnberg. Da könntest du als Therapeut dich vernetzen und mit anderen betroffenen Therapeuten deiner Region eine Art Therapeuteninitiative gründen. Es wäre zum Beispiel denkbar, dass eine Woche lang ein Spezialangebot geschnürt wird: „Testen sie in Ruhe nacheinander drei Therapeuten, bevor sie entscheiden, und nutzen sie hierfür das kostenlos zur Verfügung gestellte 24-Stunden-Ticket der städtischen Verkehrsbetriebe. In einer entspannten Atmosphäre geniessen Sie in jeder Praxis ein Heissgetränk ihrer Wahl, bevor sie an ihrem persönlichen Wunschtermin mit einem langjährig erfahrenen einfühlsamen Therapeuten sprechen. Auch kleinere Arbeiten werden gerne übernommen. Und für ganztags Berufstätige bieten wir unsere Samstags-gerne-Aktion an; Sie profitieren nicht nur von individuell mit Ihnen vereinbarten Wochenendsprechstunden, sondern können auf Anfrage auch ein ganzheitlich geschnürtes, auf Ihre Problematik zugeschnittenes Rundum-sorglos-Paket erhalten. Die Analyse Ihrer Psyche übernehmen dann wir, Sie erhalten binnen 24 Stunden per Eilboten einen zusammenfassenden Bericht mit 12 do-it-now- Ratschlägen in Form griffig aufbereiteter Tipps in einer Broschüre aus recyclebarem Papier, die Ihnen das lästige Selbstdenken ersparen und Sie in kurzer Zeit wieder leistungsfähig machen.“

In gewisser Weise sind wir ja schon lange, wenn auch noch vorsichtig, dran, uns zeitgemäßer zu vermarkten, man denke nur an den Segen der websites, deren Zur-Person-Abteilung auffallend häufig mit dem verführerischen Hinweis endet: „Ich freue mich auf Sie“. Darf man so lügen? Abgebildet werden auch gerne in anthroposophischen Farben gehaltene lichtdurchflutete Altbauflure und solche schicken Logos, die an den weisheitsreichen asiatischen Raum erinnern. Und dann die Praxisschwerpunkte! Zum Glück sind die meisten Therapeuten auf 90 % aller vorkommenden seelischen Störungen spezialisiert. Da scheint es eine gewisse ethisch begründete Furcht zu geben, ein bedürftiger Seelenkranker könne durch die psychoklempnerisch gewebten Maschen fallen. Ich finde, man könnte auch den Trend zur Zweit- oder Dritt-Therapie ausbauen. Ein package schnüren, das innerhalb von zehn Jahren eine um 80 % preisreduzierte zweite Behandlung anbietet. So ähnlich wie beim Dauer-Make up. Kommst du innerhalb eines festgelegten Zeitraums zum Auffrischen, gilt das nicht als Neuzeichnung. 

Irgendwie hat mir dieser post Hunger gemacht. Ich werde mal Ausschau halten, was Mc Donalds zur Zeit im Programm hat. Da fällt mir ein: Essen und Therapie. Warum nicht. Es gibt Schlemmerkino, Menüs zu Mozart, da wäre es doch angebracht, sich kulinarisch ein kleines bisschen mehr Mühe zu geben; wir laut vorwurfsvoller Statistik der kassenärztlichen Bundesvereinigung besonders stark überalterungsbedrohten Psychotherapeuten kleben zu sehr an unserer längst antiquierten Ausbildung fest und finden es höchst interessant und persönlichkeitsstrukturell bemerkenswert, wenn Patienten im Hochsommer um ein Glas Leitungswasser bitten. Wir bringen es ja dann, meistens, mit zusammengebissenen Zähnen tatsächlich aus unserer kleinen schäbigen Teeküche an den Tisch. Aber kein Wunder, dass Erstgespräche immer häufiger der Weltklimakonferenz ähneln und ohne konkretes Ergebnis enden:  „Vielen Dank. Sie hören von mir spätestens in zwei Wochen, bitte haben Sie Verständnis, dass ich mir noch einige Ihrer Kollegen anschauen möchte“. Ich glaube, ich nehme den Mc Chicken TS mit Iced frappé coffee choc im Aktions-Kombipack. Da weiss man, was man hat. Und tschüss!



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