f Psychogeplauder: Aufbauen

Dienstag, 7. Oktober 2014

Aufbauen

Übersicht  klassischer  Interventionsformen
des  psychodynamisch  arbeitenden  Therapeuten




Die Psychologisierung unserer Gesellschaft ist fortgeschritten, und fast immer wird das komplizierte Psycho-Wort mittlerweile auch richtig geschrieben
(nicht, wie in den Anfängen meiner Berufstätigkeit, als „Fysoteraphie“, wie es die Arzthelferin eines Orthopäden auf einem Überweisungsschein verewigte). Im Fernsehen, unserem Bildungsmedium Nummer eins, ist die Therapie ebenfalls längst angekommen; wenngleich eher in Form solcher Aufräumer - Sendungen. Ein berühmter Koch, eine nette, aber kompromisslose Innenarchitektin, ein gnadenloser Entrümpler, eine beflissene Stylistin und so weiter, schauen nach dem rechten bei besonders krassen Fällen und sagen dann, so geht das nicht weiter, und geben dem Protagonisten konkrete Hilfestellung. Manchmal sind auch noch finanzielle Wunder eingebaut, da hat dann jemand im Umfeld gesammelt, und das Opfer wird von der kompetenten Fachberatung, dem Geldsegen und der medialen Veröffentlichung gleichermaßen wieder aufgebaut. Psychotherapie ist das natürlich nicht, aber im Einzelfall bestimmt ein Segen.

Aufgebaut werden ist nichtsdestotrotz eines der am meisten benutzten Wörter, wenn Patienten ihren Wunsch an die Therapie, ihr persönliches Behandlungsziel, auf einen Punkt bringen sollen. Es erinnert doch irgendwie an „Vita-Sprint“, diese in Flammendrot eingefärbten Trinkampullen für älter gewordene Frauen, die sich wieder so richtig fit fühlen wollen und nach Genuss der Wunderwaffe in jugendlichen Turnschuhen durch frühlingshafte weiß oder rosa blühende Gärten springen.  Aufgepäppeltwerden habe ich auch manchmal als Zielsetzung gehört, aber eigentlich passt das nicht richtig, da doch auffallend häufig weibliche Therapeuten gewünscht werden, so dass es eigentlich aufmämmeln heißen müsste, und das wäre dann doch zu peinlich, würde es doch den Wunsch, endlich mal bedingungslos geliebt, mit dem Lieblingsessen verwöhnt und hinterher ein bisschen geschaukelt zu werden, während Mutti einem die Bügelwäsche abnimmt, allzu durchsichtig verraten. Häufig wird einem als Psychotherapeut die Aufbauarbeit – in Ermangelung echter, leitliniengeprüfter methodischer Ansätze muss man sagen, gottlob ! - von einem Hausarzt abgenommen, der „Aufbauspritzen“ verabreicht. Gelegentlich ist auch ein Psychiater beteiligt, es gibt hier bei Patienten und Behandlern gleichermaßen beliebte Spritzen, deren Namen ich nicht weitergeben möchte, damit nicht versehentlich das Ganze noch als Empfehlung missverstanden und dann noch mehr Imap® verabreicht wird. Diese Injektionen sind als Klagehemmer vielseitig einsetzbar, der Patient ist friedlich, verlässt dankbar die Praxis und meldet sich erst wieder (pünktlich, denn die Wirkung lässt nach!), wenn er seinen nächsten Aufbau benötigt, um sodann erneut klaglos und zufrieden sich davon zu trollen. So baust du dir jedenfalls eine treue Klientel auf, die wenig Arbeit macht, nicht so lange quatscht und zuverlässig wiederkommt. Wahrscheinlich ist das die eigentliche Etymologie der sogenannten Aufbauspritze, das wird mir jetzt gerade klar.

Als die Psychotherapie so richtig in Fahrt kam, in den 70er und 80er Jahren, da ging es um Selbsterfahrung, encounter groups, eine große Kleenexbox stand in der Mitte des Stuhlkreises, die sich die Mitglieder im Verlauf einer Sitzung voll empathisch mit der Schuhspitze zukickten, wenn es für den jeweils Betroffenen emotional hart auf hart ging; später sollte die Therapie dagegen vor allem der Selbstoptimierung dienen, man wollte fit werden, mehr „Selbstwertgefühl“ entwickeln, sich nicht mehr unterkriegen lassen und aufgebaut werden. Da ist therapeutische Finesse gefragt. Und spätestens seit Mitte der 90 er Jahre in einer deutschen Frauenzeitschrift schwarz auf weiß in einer Zehn-Punkte-to-do-Liste dafür geworben wurde, im Falle einer Trennung sich therapeutische Hilfe zu holen, um sich wieder aufbauen zu lassen (dort als Punkt 7, gleich nach Punkt 6: Spontaner Wochenendtrip mit Freundinnen in ein Wellness-Hotel und noch vor Punkt 8: Schlafzimmerwände mal neu streichen, in einer frischen peppigen Pastellfarbe, die wieder Leben bringt), mussten sich die Therapeuten was einfallen lassen.

Hiltrud war ein mir besonders lange in plastischer Erinnerung gebliebener Aufbaufall. Sie kam von sich aus, ohne dass da jemand ärztlicherseits oder im sonstigen Bekanntenkreis ihr das empfohlen hätte. Therapeutenregel: Wer auf eigene Faust kommt, hat meistens schon das Behandlungskonzept im Kopf parat. So war das auch bei Hiltrud. Sie war bei der Stadt angestellt, sicher ist sicher. Und verheiratet war sie mit einem verbeamteten Studienrat für Latein und Geschichte, das ist was für´s Leben. Überdies unterhielt sie einen guten Draht zum Pfarrer und zum Pfarrbüro, wo ihre jüngere Schwester als Sekretärin arbeitete, denn wer weiß, wofür es gut war. Hiltrud hatte sich im Vorfeld über ihren Mann so geärgert, dass sie eine Art Dauerkloss im Hals hatte, und sie wusste selber, dass das „psychologisch“ bedingt war, aber nicht ohne sämtliche in Frage und auch weniger in Frage kommenden Fachärzte dennoch abzuklappern, bevor sie bei mir den ersten Termin machte. Sicherheit ist die Mutter der Hiltrud. Diese enorm vitale, tüchtige und sympathisch rüberkommende Doppelt-hält-besser-Strategin wusste schon, bevor ich etwas sagen konnte, was sie brauchte: sie wolle „aufgebaut“ werden, da sie sich in den letzten Jahren von ihrem Mann vernachlässigt fühlte. Erst konnte ich ihn verstehen, diese Frau war einfach too much. Aber im Laufe der Zeit fand ich dann doch noch zur gebotenen Einfühlung in Hiltruds Schicksal, als klar wurde, dass ihr Gatte wegen nächtlicher Schnarch- und Atemprobleme seit Jahren unruhig und unter Ausstoßung von manchem Psychothriller gut zu Gesichte stehenden Geräuschen schlief, am Wochenende sich stundenlang alte Schwarzweiss-Dokumentationen über den II. Weltkrieg auf DVD anschaute und ansonsten keinerlei Interessen hatte. Hiltrud gab vor, was ich abzunicken hatte. Ein gewisser Psychoanalytiker sprach ja mal von einem Blechaffen, aber das wäre jetzt wirklich untertrieben. Blechaffen wackeln gelegentlich, wohingegen ich eher erstarrte, da Hiltrud mich einschläferte. Sie hatte im Grunde mit allem recht und hielt ihre Vorträge. Dass sie sich jetzt was gönnen würde, und dass sie am Wochenende auf einem Fest war, und dass sie da mal mehr getrunken habe als üblich, das stehe ihr zu, das sei wichtig, mal locker zu werden und nicht immer so streng mit sich! Die Ich-hab-mir-was-gegönnt-das-werden-sie-sicher-gut-finden-Aktionen rissen nicht ab und der zufriedene Bericht darüber wurde zum festen Ritual in unseren Stunden. Fast immer hatten sie mit Kaffeetrinken gehen, einem Extragläschen Alkohol unterschiedlicher Sorten oder auch mit Einkaufen zu tun, wobei sie sich stets, zum Rückenstärkung, mit einer Freundin umgab (ich konnte ja, aus Gründen therapeutischer Abstinenz, nicht mit). Manchmal waren es vier neue Hosen auf einmal (gleicher Schnitt, vier verschiedene Farben), die sie in immer demselben outlet günstig kaufte und dazu sich einen Prosecco gönnte (den gab dort im Obergeschoss gratis dazu, wenn man pro Einkauf mehr als 100 Euro  springen ließ).

Wenn ich was sagte, war das in der Regel nur eine lästige Unterbrechung für Hiltrud, da sie gerade dabei war, sich kontinuierlich aufzubauen. Überhaupt, vielleicht wäre das die Lösung: der Therapeut schweigt. Ich habe mal gelesen, dass ein guter Therapeut seine Patienten nicht allzu sehr bei ihrer Therapie stören solle. Und wenn du dich bemühst, möglichst kleine, feine und schmerzlos gleitende Nadeln zu benutzen, dann tut die Aufbauspritze auch gar nicht weh! Hiltrud jedenfalls war zufrieden, sie schickte mir nämlich zum Beweis einige Jahre später ihre Nachbarin zum Aufbau, weil ich ihr damals so gut geholfen hätte. Die Nachbarin litt unter Schlaflosigkeit und wollte von etlichen diesbezüglich bereits erfolgten Behandlungsversuchen loskommen. Übrigens, ihr Problem war, dass sie mit einem Mann verheiratet war, der sie in den letzten Jahren vernachlässigt hatte.



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