Über die zwischenmenschlichen Abgründe sich gegenseitig ver- und angetrauter Paare habe ich, wie der aufmerksame Leser weiß, schon öfters nachgedacht. Aber ich kann keinen anderen mir berichteten ehelichen Zweikampf so intensiv
und, vor allem, bildgewaltig erinnern, als den zwischen Lieselotte und Erich.
Man benutzt im deutschsprachigen Raum, um den Zustand des Totseins schwarzhumorig zu beschreiben, ja gerne den Ausdruck sich die Radieschen von unten anschauen. Ich fände es irgendwie cool, wenn mal jemand auf die Idee kommen würde, auf dem Grab des Verblichenen Radieschen zu pflanzen, habe es aber noch nirgends gesehen. Vielleicht auch deswegen, weil es zumindest unter ästhetischen Gesichtspunkten doch sehr ungerecht wäre; Radieschen von oben sind im Grunde ja nur eine ungeordnete Ansammlung grüner, meistens etwas dürr bis verdörrt aussehender, oft teilweise abgeknickter hässlicher grüner Blätter, mit Sand verdreckt, und der Lebende hat sie zwar im Schweiße seines Angesichts gepflanzt, aber er hat ansonsten beim trauernden Blick auf´ s Grab daran wenig Spaß. Dagegen dürfen in jener besagten Redewendung die Toten, und das ist wirklich absurd, sich der roten, prallen, exakt kugelförmigen Köpfchen erfreuen, also jedenfalls theoretisch.
Lieselotte war auf Erich jahrelang sauer gewesen, weil er ein hartnäckiger Geizkragen war und zugleich im Haushalt sowie bei der Kindererziehung derart faul und unkooperativ, dass sie, so ihre Theorie, keine Kraft und Zeit fand, auch noch einen Job zu suchen und eigenes Geld dazu zuverdienen. Sie fühlte sich abhängig und dieses essentielle Gefühl fand in Nichts so sehr seinen metaphorischen Ausdruck wie bei den ehelichen Radieschenkämpfen. Erich, wie bereits subtil angedeutet, gehörte gar nicht zu den Typen, die ihrer Frau mal von sich aus das Kochen, Einkaufen oder gar Staubsaugen abnehmen, und wenn sie es doch einmal taten, dann nur als unzuverlässig einplanbares Resultat erbitterter Streitgespräche und Vorwurfsgebirge. Mit einer Ausnahme: er liebte Radieschen und betätigte sich ungefragt als deren Hoflieferant. Nicht dass seine Geschmacksknospen mit congenitaler Rettichzuneigung gesegnet waren, sondern – hier war er ganz und gar Erich, wie er leibt und lebt – weil sie nicht schwer zu tragen waren, angeblich die Fettverbrennung förderten und, jetzt kommt´s, er sie aufgrund beruflicher Kontakte Freitags nach Dienstschluss kostenlos bei einem Bekannten, der Landwirt war, absahnen konnte. Bei der Gelegenheit hob er dort ein, zwei Schnäpse mit seinem Radieschenspender und kam dann entsprechend entspannt und in Wochenendlaune mit einem Sack voller Radieschen zuhause an, die bereits beim stolzen machoesken Transport von der Haustür bis zur Küche trocken herunter rieselnden Sand absonderten. Lieselotte machte diese Freitagsschmutzorgie jedesmal auf´s Neue wild und sie verlangte von ihm, dass er wenigstens die sandbedeckten Blätter abschneiden möge, bevor er sie in den Kühlschrank legte. Er machte das aber nicht. Sie argumentierte monatelang mit der Verschmutzung des Kühlschranks und als das nichts half, setzte sie clever auf seine eigenen Waffen, um ihn zu schlagen, und verkündete, dass Radieschen länger prall und saftig blieben, wenn man das Grün früh abschneide, da dann das Wasser sich nicht in die Blätter verkrieche. Das hatte keine Wirkung, vermutlich, weil Erich von sich und der kostenlosen wöchentlichen Radieschenaktion so überzeugt war, dass es ihm geradezu eine Lust war, die Dinger wieder und wieder mitsamt dem grünlichem Besatz in den Kühlschrank zu legen. Erich schöpfte quasi kostenlos aus dem Vollen, der wunderbare Spross der Natur war ja gratis und die Produktion ging nie zur Neige. Lieselotte ging zum Frontalangriff über und nahm den ordinären Schmuddelkram immer wieder raus, legte ihn breit und demonstrativ auf´s Holzbrett. Das nennt man in der Psychoanalyse Ungeschehenmachen, könnte darüberhinaus aber auch eine ungewollte sexuelle Anspielung gewesen sein. Dann wartete sie stundenlang drauf, dass er das große dicke Messer in die Hand nahm und sich die Blätter zurechtlegte, um sie abzuschneiden. Er aber legte sie jedes Mal in voller, ungestutzter Pracht, und hier nähern wir uns auch schon der mutmaßlichen tiefenpsychologischen Bedeutung, wieder zurück in den Kühlschrank. Das nennt man ebenfalls Ungeschehenmachen. So ging das bei dem gemüsegeplagten Pärchen seit Jahren. Er ordnete die Radieschen im Kühlfach immer so exhibitionistisch und provokativ an, dass man sofort auf die abzuschneidenden Blätter schaute, selbst wenn man sich nur ein Stückchen Schinken rausholen wollte, und dass sich Lieselotte so richtig erregte. Und sie legte die prallen runden Köpfe auf dem Brett nach vorne gerichtet, angeblich, weil „er dann nur noch einen Handgriff“ brauche, um das Messer anzusetzen.
Sollte Erich früher als Lieselotte sterben, dann ist das statistisch betrachtet zwar durchaus wahrscheinlich, aber derjenige Arzt, der zur Leichenschau gerufen wird, sollte doch lieber genauer nachforschen, ob da nicht ganz und gar unnatürliche Todesumstände am letalen Werke waren. Ich sage nur: Messer. Man kann sie jemandem reinrammen, aber auch Radieschen enthaupten und Geizkrägen abmurksen.
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