f Psychogeplauder: Nestbeschmutzer

Sonntag, 14. März 2021

Nestbeschmutzer


Wiedehopf,  eigentlich  unschuldig,  als  Symbol
der  Nestbeschmutzung  seit Jahrhunderten
geduldig   herhaltend




Prolog
Ein bisschen gewagt, dieses Unterfangen: Kritik an der eigenen Berufsgruppe. Ein Jeder kehre vor seiner eigenen Türe, solange, bis kein Schlamm mehr ins psychotherapeutische Haus getragen wird. Anderseits gibt es das ja schon lange, angeblich kannte man´s schon im Mittelalter: dass Leute den Sozialrahmen, in dem sie selber leben, beginnen schlecht zu machen. Verräter? Illoyale Schmarotzer? Hellsichtige Unbestechliche? Später kam das Phänomen zu einem Ehrenplatz in den Riege der deutschen Sprichwörter, wie etwa der Schriftsteller Sebastian FRANCK im Jahre 1541 resumiert: Sein eygen schand nit moegen verschweigen. Wie auch immer. Was raus will, muss raus.

Auf den ersten Blick sieht es mit der Selbstkritik bei den professionellen Psychotherapeuten (und das sind sie im Grunde alle, denn die Berufsbezeichnung ist mittlerweile geschützt und von einer langen und anstrengenden Ausbildung unterfüttert) ausgesprochen gut aus. Die Selbstreflektion gehört ja sowieso zur Methode und damit zum täglichen Einmaleins, und darüber hinaus müssen wir ja jede Therapie auch noch einem kritischen bösen Gutachter vorstellen und den Anlass, unsere Behandlungskonzeption und die vermutliche Erfolgsaussicht mit gewählten Worten, die zuweilen eher an Deutschaufsätze erinnern, ausführlich darlegen. Letzteres nennt man einen Bericht schreiben und ist mühsam, dafür aber zu 95 % von Erfolg gekrönt. Was weiterhin auffällt, vergleichen wir uns etwa mit Pferdezüchtern, Fliesenlegern oder Tuchhändlern, ist unsere zwar nicht berufsrechtlich vorgeschriebene, aber doch außerordentlich häufig und konstant zu beobachtende Neigung, uns im Rahmen von kollegialen Intervisionsgruppen auf die Finger schauen zu lassen und „schwierige Fragestellungen“ des Berufsalltages mit Zunftgleichen durchzusprechen. Jene Zusammenkünfte, oft jahrzehntelang in gleicher Besetzung, erinnern zuweilen an Beichtstuhlrituale, gelegentlich auch an gemeinschaftliches Wundenlecken zwecks beruflicher Psychohygiene, je nach dem, ob die beteiligten Überiche eher rigide oder eher gnädig gestimmt sind. Also Selbsthinterfragung, wohin man schaut. Und doch beschleicht einen bei Einschaltung des gesunden Menschenverstandes der Verdacht, dass diese Form der Qualitätssicherung gewisse systematische Mängel aufweisen könnte: sie bleibt innerhalb des Systems, und wir schauen uns ständig gegenseitig zu und an, aber stets unter Verwendung unserer eigenen Sprache und Methode. Außenstehende dürfen – pardon – da nicht rein, das verbietet schon mal die oft bemühte Diskretions- und Schweigepflicht; und diesen herz- und gemütlosen Mathematikern und Statistikern, die manchmal unseren Therapien auf den nicht vorhandenen Leib schauen möchten, dafür auf Video- oder Tonbänder oder wenigstens auf Transskripte zurückgreifen möchten … denen erklären wir seit Jahrzehnten den weltanschaulichen Krieg, indem wir behaupten, was wir machen, können die sowieso nicht messen. Sollte sich jemand dennoch bemühen, solche objektivierbaren Dokumentationen in einer Mission einer wissenschaftliche Evaluation einfließen zu lassen, muss er quer durch Deutschland touren, um wenigstens zehn Therapeuten zu finden, die bereit sind, selbstverständlich anonym und unerkannt, mitzumachen. Plötzlich wurde es aber, so etwa 30 Jahre nach der Einführung der Psychotherapie als Kassenleistung in Deutschland, welches einen weltweiten Vorreiterstatus in Sachen psychotherapeutische Versorgung hatte, dann doch etwas eng mit der wissenschaftlichen Existenzrechtfertigung, denn seit die grande dame der Psychoanalyse, Annemarie D., bahnbrechende Studien vorgelegt hatte zur Wirksamkeit der Redekur, war erstmal jahrzehntelang nix passiert und wir Therapeuten konnten im siebten Wir-sind-auch-wer-Himmel schweben.

Angesichts unserer seither wieder lauter verkündeten Erfolgsmeldungen sollten wir uns gelegentlich die Frage stellen, ob der Erfolg überhaupt auf unsere Arbeit zurückführbar ist. Manchmal ist ja einfach die Zeit am Werke, die bekanntlich viele Wunden heilt. Bei den sogenannten depressiven Episoden ist ja auch bekannt, dass sie sowieso irgendwann enden (sofern sich der Patient nicht vorher suicidiert) und bei den sogenannten Anpassungsstörungen sowieso. Wie es ohne uns gelaufen wäre, wenn sich Patient X an Tante Frieda,  den örtlichen Pfarrer, eine Selbsthilfegruppe oder an gar niemand gewandt hätte … wissen wir eigentlich nicht wirklich, und wissenschaftlich ausgewertete katamnestische Rückblicke sind leider immer noch Mangelware. Ich fände es spannend zu erfahren, was aus meinen Patienten ein, zwei oder zehn Jahre nach unserem letzten Handschlag geworden ist. Manche gehen zum nächsten Therapeuten, aber das kriegst du ja nicht mit. Wegen der Diskretions- und der Schweigepflicht, du weißt schon. Seit 50 Jahren gibt es Therapie auf Kasse, aber minutiös geregelt ist nur deine Ausbildung und dein Behandlungsplan … das Ergebnis wird nicht weiter kontrolliert. Bist du als Supervisor tätig, und bist du es lange genug, dann fällt dir auf, dass sich Patienten immer wieder an einen Therapeuten wenden, oft an den gleichen, da gibt es dann im Laufe der Jahre die zweite, die dritte, die vierte Therapie – immer wichtig, klar, und dass man vielleicht mal einen anderen Therapeuten oder eine andere Methode empfehlen bzw. aufsuchen könnte – das scheint doch oft angesichts der Bequemlichkeit, die ein schon bekannter Patient für seinen Therapeuten und ein schon bekannter Therapeut für seinen Patienten verspricht, eher abwegig. 

Und wie sieht das bei Klinikaufenthalten aus? Dort wird in 99,9 % der Fälle am Ende des euphorisch gestalteten, vor lauter unterschiedlicher durchgeführter Interventionen schier nicht mehr in einen Umschlag passenden dicken Abschlussberichtes dringend ambulante psychothera-peutische Weiterbehandlung empfohlen und wie oft muss der niedergelassene Therapeut sich dann anhören, dass es in der Klinik super war, aber nach der Rückkehr nach Hause (zum Mann, der nicht ein einziges Mal in der Zwischenzeit staubgesaugt hat, zur pubertierenden Tochter, die immer noch Schimmelbrote in ihrem Zimmer beherbergt und zum Arbeitsplatz, wo man jetzt wieder als voll einsatzfähig betrachtet und mit strafenden Blicken wegen des „Urlaubs“ bedacht wird) ist bald wieder alles beim Alten. Deutschland leistet sich ja klinikmäßig den absoluten Spitzenplatz. Einzelzimmer, TV, Internetanschluss und Drei-Gang-Menü inclusive abendlicher alkoholreicher Tanzvergnügungen sowie gemeinsames Wandern gehören auch dazu. Aber, welche Überraschung: die Kliniken sind ganzheitlich orientiert: Wir nehmen uns für Sie Zeit! Dann gibt es dort auch noch die unausrottbare Unart, anhand von Selbstauskünften des Patienten zu „messen“, ob´s geholfen hat. Letzteres soll der ambulanten Psychotherapie aber auch bald blühen. Da kannst du dann alle zehn Sitzungen Listen ausfüllen, wie der Stand der Symptome ist, und der Patient auch. Möglicherweise sind die Kreuzchen nicht wirklich frei von eigenen Gelüsten: weiter sein Geld verdienen zu wollen, weiter zum Therapeuten gehen zu dürfen … Psychotherapie ist ja im Gegensatz zu Strahlentherapie, Bauchoperationen, Kernspinuntersuchungen oder Insulinspritzen nicht gar so lästig, die nimmt man schon mal eher mit. 

Vielleicht bin ich aber auch zu streng mit meiner eigenen Arbeit: immerhin beträgt der nachgewiesene Kosten-Nutzen-Koeffizient 3,26 und das soll bedeuten, dass jeder Euro, den unser Gesundheitssystem in die Psychotherapie steckt,  3 Euro 26 cent einspart an anderer Stelle; das nennt man auch den gesamtgesellschaftlichen Nutzen von Psychotherapie und bedeutet, dass es strukturell offenbar für Behandler und Patienten noch viel teurere Möglichkeiten gibt, Kosten zu produzieren, als Therapiesitzungen für 100 Euro in Anspruch zu nehmen.

Was ich seit Jahrzehnten suche, ist eine Studie, die belegt, dass in Deutschland die Leute seelisch gesünder seien als im restlichen europäischen Ausland. Immer wenn ich danach suche, kommt mir was dazwischen, das ärgert mich. Denn es muss da was Entsprechendes geben.

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