Sachen gibt´s! Neulich, am Ende einer Supervisionssitzung, hatte ich meinen Tischkalender nicht parat und konnte den nächsten Termin nicht gleich vereinbaren mit meinem Gegenüber. „Ich rufe Sie an“, hatte ich gesagt, und noch am selben Vormittag tippte ich in den „Kontakten“ meines Mobilteils den Nachnamen des Supervisanden ein. Anfangsbuchstabe R. Schon gefunden, und ich wählte ihn an.
Mailbox. Ich hänge ein, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Musste ja mit ihm live abklären, wann wir beide Zeit haben für die nächsten Supervision.Zehn Minuten später erhalte ich einen Anruf. Guten Tag, Frau Doktor Novotny, hier ist die Anneliese Reinhard. Sie haben mich angerufen? Ich nix versteh´n, aber dann dämmert es mir: In meinem 250 Namen umfassenden Telefonverzeichnis, das seit Jahren bis auf den letzten Speicherplatz belegt ist, muss ich für neue Kontakte alte opfern. Nun hatte ich offenbar irgendwann einmal den Supervisanden R. mit seinen Telefonnummern eingegeben, dafür den Namen von Frau Reinhard, die viele Jahre nicht mehr bei mir gewesen war, löschen wollen… aber vergessen, diese Löschung zu speichern. So dass Annelieses Telefonnummer unter R. s Namen lief. Ich erkenne Annelieses Stimme am Telefon sofort. Entschuldige mich für die Verwechslung, die ich versuche zu erklären. Ja wo ich Sie jetzt am Apparat habe… also, zur Erklärung, ich war mal bei Ihnen Patientin! – Ja, das weiß ich, Frau Reinhard! – Wirklich? Das wissen sie noch? – Ja, ich erinnere mich, dass sie damals nach dem Konkurs ihrer Firma versucht haben, nochmal eine neue Arbeit zu finden. – Ja, es hat geklappt! Ich war dann nochmal drei Jahre beschäftigt bis zur Rente. Sie haben mir sehr geholfen damals. Es geht mir gut. – Und dieser neue Job, war´s ihr Wunschjob? Sie wollten doch mal in einem Drogeriemarkt arbeiten in der Kosmetikabteilung… dm… nein, im Müller Markt! Die bisher auskunftsfreudige Patientin verstummt. Hallo, Frau Reinhard, sind sie noch dran? – Also, Frau Doktor Novotny, jetzt bin ich sprachlos. Dass Sie das noch wissen. – Ja, ich habe ein ganz gutes Gedächtnis. – Gedächtnis… Also ich dachte immer… sie haben doch so viele Patienten. Da ist man doch letztendlich eine Nummer. – Nein, keine Nummer, Frau Reinhard. Nur manchmal falsch abgespeichert! Dass ich auch noch wusste, dass sie ihren alten Chef immer mit Kirschplundern beschenkt hatte, sagte ich ihr vorsichtshalber nicht. Das wäre ihr vielleicht zu mystisch vorgekommen.
Eine Katamnese in fünf Minuten. Auch noch frei Haus, ohne Anschreiben, Datenschutzauflagen, Fragebögen und Krankenkassenkarte. Nicht immer fallen die Katamnesen so positiv aus. Wir Therapeuten sollten sie öfters durchführen. So wie man bei der Krebsnachsorge ja auch Kontrolltermine ansetzt – um zu schauen, ob wieder etwas gewachsen ist. Ob das Symptom zurückkommt. Ob alles umsonst, die Hilfe zu kurzlebig, oder nur erster Teil einer Kaskade weiterer Behandlungen war. Strukturell besteht für die Psychotherapeuten hierfür leider kein Konzept – sehen wir von der sogenannten Rezidivprophylaxe ab, die aber vor und nicht nach Ende der therapeutischen Beziehung terminiert ist. Stattdessen gibt es Fallstricke, sollte man als Therapeut doch zu neugierig sein, wie es weiterging: dann hat man schnell den Fall unerlaubten Katameesebegehrens des Therapeuten, mit dem man kaum vorbeischlittern kann am Verdacht einer Abstinenzverletzung, oder an der sträflichen Erschleichung einer Kassenleistung ohne Auftrag des Patienten.
Aber gegen zufällige Fehlspeicherungen im Mobilteil ist mir nichts gesetzgeberisch Bedrohliches bekannt. Insofern könnte ich das ausbauen. Auf zehn Namen schummele ich jeweils eine Nummer eines früheren Patienten dazwischen. Und überlasse dann den entscheidenden Fehlleistungsanruf dem Schicksal. Schließlich interessiere ich mich, wie es weitergeht. Auch wenn der betreffende Patient bei mir ja nur eine Nummer ist!?
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