Digitalgrafik: www.lindaspixelwelten.de mit besonderem Dank an Dr. Jutta Lindemann, Erfurt |
In den vergangenen Jahren erwies er sich als ein besonders nervendes gesundheitspolitisches Staccato: der Ruf nach einer Aufwertung der sogenannten sprechenden Medizin.
In den einschlägigen Zeitschriften erscheinen immer wieder kleinere wütende Textbeiträge oder auch umfassende Artikel, die darauf hinweisen, dass der gute Arzt mit seinem Patienten auch sprechen sollte; und die emsigen Berufsverbände der Psychotherapeuten haben eine insgesamt zwar nicht zu riskanten Immobilienanlagen verführende, aber immerhin stetig wachsende Höherbezahlung ihrer entsprechenden Gesprächsleistungen bewirken - pardon, genauer gesagt, erstreiten - können. Doch der Anteil offener Stellen im Psy - Bereich bleibt, im Gegensatz zu deren Prestige, weiterhin auf brisant hohem Niveau. Vier der fünf am meisten von vakanten Stellen betroffenen Gebiete der Medizin betreffen nach wie vor die Fächer, in denen das Gespräch mit dem Patienten und die Begegnung mit ihm im Zentrum der Arbeit stehen. Die hiesige akademische Psychiatrie war vor drei, vier Jahrzehnten noch beinahe als Kulturgut zu bezeichnen, eng mit anthropologischen, philosophischen und tiefenpsychologischen Konzepten verwoben, zu deren Ehren japanische Medizinstudenten studiumsbegleitend extra Deutschkurse belegten, um die Werke von Binswanger, Bleuler, Baeyer, Buber & Co. im Original begreifen zu können. Davon scheint bei uns allerdings wenig übrig geblieben zu sein, stattdessen versinken die entsprechenden universitären Abteilungen sowie die sich epidemisch ausbreitenden Tageskliniken langsam in einer vergröberungsgefährdeten Mischung aus Biologismus und in Schrothschußmanier abgefeuerter Polypragmasie, aufgespannt zwischen Seidenmalerei, feel-good-Unterweisung in Gruppen, Yogamatten, skill-Trainings und Gesprächen mit dem Sozialarbeiter. Wobei es im Zuge der Spezialisierung für all jene methodischen Zugänge einen "eigenen", welch euphemistische Bezeichnung, „Ansprechpartner“ gibt, wodurch sich die gefühlte Möglichkeit für den Patienten, sich während einiger Wochen stationärer Therapie auf eine Bezugsperson zu fokussieren, weiter reduziert. Nach der Entlassung erleben viele Patienten, dass von einem auf den anderen Tag Zeit für sie und Interesse an ihnen fehlen - was erst wieder besser wird, wenn sie einen Therapeuten gefunden haben. Dort können sie endlich sprechen, das heißt, mehr als den zweimal im Quartal beim Psychiater auf sieben bis acht Minuten bemessenen Sprechstundentermin wahrnehmen, bei dem sie beziehungsbereinigte essentials wie Medikamenten-, Nebenwirkungs-, Arbeitsfähigkeits- und anfallende bürokratische Fragen abklappern. Zu mehr lässt sich weder die hausärztliche noch die ambulante psychiatrische Versorgung hierzulande bewegen, kein Wunder, wenn's weder von den Fachkollegen wertgeschätzt noch von der Krankenkasse honoriert wird. So dürfen sich zukünftig nun also mit Hilfe der Politik und der derzeit neu geordneten Psychotherapierichtlinie die Psychotherapeuten, in wachsender Zahl von Psychologen repräsentiert, weil's die Ärzte in andere Fachrichtungen zieht, der psychiatrischen Versorgung mit annehmen. Die in den ministeriellen Schubladen bereitliegenden teilweise atemberaubenden Änderungen der Richtlinie werden als Fortschritt schon jetzt gefeiert, denn von nun an ist gewährleistet, dass für alle gesorgt ist. Da fällt mir ein, gibt es eigentlich fließende Übergänge zwischen Ver- und Entsorgung?
Qualitativ ist ja psychotherapeutische und psychiatrische Behandlung etwas durchaus Unterschiedliches. Und die während der Ausbildung zum psychologischen, aber oft auch bei der Weiterbildung zum ärztlichen Psychotherapeuten erlebten und erlernten psychiatriebezogenen Konzepte sind spärlich und surfacefreundlich getrimmt. Doch noch schlimmer als die Versorgung durch Halbprofis erscheint mir das Phänomen, dass diese Modernisierungswelle infektiöses Material beinhaltet – nicht nur wird versucht, Psychotherapie bei Nichtpsychotherapiepatienten anzuwenden, sondern bewährte psychotherapeutische Haltungen und Voraussetzungen werden mit psychiatrisch-phänomenologischen Brillengläsern bestückt und so kommt es zum Hereinschneien der Psychiatrie in die Behandlung von Nichtpsychiatriepatienten. Sozusagen eine methodische lose-lose-Situation. Natürlich war es ein Segen, dass seit nunmehr 20 Jahren die Interventionstechnik erweitert und von einem reinen Deutungshoheiten bewahrenden Exegeserausch sich hinentwickelte zu einer stützend, Strukturen stärkend und übend modifizierten Haltung. Aber wie überall bei der Entwicklung neuer Technologien, wird die klinische Effektivität moderner Werkzeugkästen euphorisch übertrieben und die tools werden begeistert zusammengemixt; so gerät man in die Gefahrenzone des peak of inflated expectations; das habe ich aus der Masterarbeit meines Neffen gelernt, der zu meinem Erstaunen nicht Psychologie, aber dafür Elektrotechnik studiert hat. In der Forschung und spätestens in der Lehre kommt dann die psychotherapeutische Wanne leicht ins Kippen und das mit einer standardisierten Melange aus Schaum, Öl, Puder und Lotion bearbeitete Kind droht mit dem Bade rauszufallen. Von der somatischen Medizin mit ihren modernen sogenannten personalisierten oder individualisierten Konzepten könnte sich mittlerweile die Psy-Welt was abschneiden (sic!). Was in besagter Masterarbeit aufgrund mangelnder Adhärenz zum Thema nicht drinsteht, aber mathematisch sauber belegbar sein dürfte, ist die sogenannte Novotny´sche Negativkorrelation zwischen Anzahl verwendeter Methoden und der dadurch gegen Null reduzierbaren Beziehungsarbeit, darstellbar als Wattstunde pro Kilogramm Therapeutenmasse als Energiedichte. Denkt Margarethe, die konservative Verfasserin dieser Zeilen, die sich nach dem Entwerfen dieses posts mangels internalisierbarer Nährwerte erstmal "Smoke on the water" über Kopfhörer und danach einen pulled-porc-Burger reindröhnen wird. Doch Hauptsache, die Versorgung läuft, die Wartezeiten sinken und kein Patient, der in der hausärztlichen Dienstagssprechstunde zu weinen beginnt und folgerichtig als beziehungsintensiver Fall einzustufen ist, wird zurückgelassen.
Qualitativ ist ja psychotherapeutische und psychiatrische Behandlung etwas durchaus Unterschiedliches. Und die während der Ausbildung zum psychologischen, aber oft auch bei der Weiterbildung zum ärztlichen Psychotherapeuten erlebten und erlernten psychiatriebezogenen Konzepte sind spärlich und surfacefreundlich getrimmt. Doch noch schlimmer als die Versorgung durch Halbprofis erscheint mir das Phänomen, dass diese Modernisierungswelle infektiöses Material beinhaltet – nicht nur wird versucht, Psychotherapie bei Nichtpsychotherapiepatienten anzuwenden, sondern bewährte psychotherapeutische Haltungen und Voraussetzungen werden mit psychiatrisch-phänomenologischen Brillengläsern bestückt und so kommt es zum Hereinschneien der Psychiatrie in die Behandlung von Nichtpsychiatriepatienten. Sozusagen eine methodische lose-lose-Situation. Natürlich war es ein Segen, dass seit nunmehr 20 Jahren die Interventionstechnik erweitert und von einem reinen Deutungshoheiten bewahrenden Exegeserausch sich hinentwickelte zu einer stützend, Strukturen stärkend und übend modifizierten Haltung. Aber wie überall bei der Entwicklung neuer Technologien, wird die klinische Effektivität moderner Werkzeugkästen euphorisch übertrieben und die tools werden begeistert zusammengemixt; so gerät man in die Gefahrenzone des peak of inflated expectations; das habe ich aus der Masterarbeit meines Neffen gelernt, der zu meinem Erstaunen nicht Psychologie, aber dafür Elektrotechnik studiert hat. In der Forschung und spätestens in der Lehre kommt dann die psychotherapeutische Wanne leicht ins Kippen und das mit einer standardisierten Melange aus Schaum, Öl, Puder und Lotion bearbeitete Kind droht mit dem Bade rauszufallen. Von der somatischen Medizin mit ihren modernen sogenannten personalisierten oder individualisierten Konzepten könnte sich mittlerweile die Psy-Welt was abschneiden (sic!). Was in besagter Masterarbeit aufgrund mangelnder Adhärenz zum Thema nicht drinsteht, aber mathematisch sauber belegbar sein dürfte, ist die sogenannte Novotny´sche Negativkorrelation zwischen Anzahl verwendeter Methoden und der dadurch gegen Null reduzierbaren Beziehungsarbeit, darstellbar als Wattstunde pro Kilogramm Therapeutenmasse als Energiedichte. Denkt Margarethe, die konservative Verfasserin dieser Zeilen, die sich nach dem Entwerfen dieses posts mangels internalisierbarer Nährwerte erstmal "Smoke on the water" über Kopfhörer und danach einen pulled-porc-Burger reindröhnen wird. Doch Hauptsache, die Versorgung läuft, die Wartezeiten sinken und kein Patient, der in der hausärztlichen Dienstagssprechstunde zu weinen beginnt und folgerichtig als beziehungsintensiver Fall einzustufen ist, wird zurückgelassen.
Ich überlege, meine Enkelin, sollte ich je eine haben und sollte sie je auf den Gedanken kommen, Psychiaterin zu werden, zum Auswandern nach Japan zu bewegen. Dort lesen sie, so hoffe ich, immer noch große Werke, die irgendwas mit Menschen statt mit Methoden zu tun haben, und wissen sogar, wie man "Balint" schreibt. Da bliebe ihr auch erspart, eines Tages einen Anruf eines angehenden Allgemeinarztes zu erhalten, der dringend eine Ballint-Gruppe sucht, mit Betonung auf dem "i", weil er ganz schnell noch zehn Doppelstunden brauche, um seine Facharztanerkennung abschließen zu können - bitte möglichst als Blockseminar, wegen der Fahrerei und weil´s eilt, und können Sie mir vielleicht auch gleich noch sagen, wie oft man fehlen darf und trotzdem noch seine Bescheinigung kriegt?
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