Gleich fünf vor Zwölf und noch niemand hat angefangen nachzudenken |
Möchtest du dich ernsthaft in einem Beruf etablieren, bist du aus ehrgeizigen Gründen daran interessiert, von den langjährigen Erfahrungen anderer Kollegen zu profitieren,
um diese nicht alle erst mühsam selber machen zu müssen und um in der davorliegenden langen Zeit bis zum luziden Höhepunkt des selbst erarbeiteten Erfahrungsschatzes nicht allzu naiv dazustehen. Daher passte ich in den Anfangsjahren auf wie ein hässlich bebrillter neugieriger Musterschüler, wenn ältere Hasen etwas zum Besten gaben – was du zwar nicht in einem Lehrbuch nachlesen konntest, aber die Aura eines gefühlten Geheimtipps verströmte. Da war zum Beispiel das psychosentolerante Diktum einer psychiatrischen Oberärztin, ein bisschen Hypomanie ist nicht schlecht! Desweiteren profitierte ich von einer weitsichtigen Rechenempfehlung bei Suchtkranken: Nennen sie dir auf Nachfrage bereitwillig die täglich konsumierte Alkoholmenge, nimm´ diese mal zwei und fahre ganz normal mit deiner Arbeit fort. Und auf einer Tagung für gynäkologische Psychosomatik lernte ich in der Pause zwischen Schinkenhäppchen und Visitenkarten-tausch von einem grauhaarigen, etwas großspurigen Frauenarzt: Nach 40 Jahren Geburtshilfe sage ich Euch: Alle Schwangeren sind ambivalent! Ein besonders wertvolles Erfahrungs-wissen verdanke ich aber einem niedergelassenen Nervenarzt; er erzählte, dass er sich während der 30 Jahre seiner Praxistätigkeit angewöhnt habe, bei Erstkonsultationen 55- bis 65 jähriger Frauen in beigen Popeline-Jacken, die über neuerdings schlechte Stimmung klagten, ohne Umschweife zu fragen: Und seit wann ist ihr Mann in Rente ?
Tatsächlich entpuppt sich der Zeitpunkt, an dem beide langjährigen Partner durch das Schicksal ihres gemeinsam erreichten Alters gezwungen sind, ganztägig zusammen-zuleben, als paardynamischer Krisenherd, der kaum zu toppen ist. Die Verrentung, eigentlich ersehnt, wird zur dramatischen Laufmasche einer bis dato aufgrund ein- oder auch beiderseitiger Berufstätigkeit einiger-maßen geölt laufenden Partnerschaft. Die gedankliche tunnelförmige Einengung im Vorfeld auf das, was endlich vorbei ist (Berufsverkehr, frühes Aufstehen, nervende Kollegen und neue Computerprogramme) führt zu einer sich bald rächenden Vernachlässigung der Frage, was denn nun beginnt. Derjenige, der in Rente geht, freut sich meistens drauf, ob Frau oder Mann. Anders sieht es da schon aus, wenn man denjenigen betrachtet, der bereits in Rente befindlich ist und der auf die zeitnah in Aussicht stehende Berentung des Partners warten muss. Hier sind deutliche Geschlechterunterschiede zu beobachten, die – dies muss an dieser Stelle mit verschämtem Stolz eingeräumt werden – einmal wieder belegen, dass Frauen in Krisensituationen aktiv um Verbesserung ihrer Lebensqualität bemüht sind (Literaturkreis, vegane Ernährungsumstellung, Liebesfilme), während Männer hier zumeist einfacher gestrickt sind (endlich mehr Zeit für den Garten, die Steuerklärung und den vor 36 Jahren angeschafften Oldtimer); sie merken erst nach langer Zeit absoluter Tatenlosigkeit, was sie, mit banalem Wunschdenken sehnsüchtig erwartet, da für eine unangenehme, als unabänderlich hinzunehmende Lebensphase ereilt hat.
Der Begriff der Rentendämmerung besitzt in Bezug auf den ähnlich klingenden Begriff Götterdämmerung zwar eine sprachliche, aber keine geographische Verwandtschaft. Denn während sich die Götterdämmerung auf germanische Gottheiten bezieht, verfügt die Rentendämmerung über deutlich weniger musikalische Strahlkraft, birgt aber ansonsten aufgrund ihres ubiquitären Auftretens eine weltumfassende Relevanz und hat insofern dem – übrigens bei Rentnern trotz blasenmechanischer Heraus-forderungen sehr beliebten – Besuch epischer Wagneropern schon lange den Rang echter Lebensprobleme abgelaufen.
Das Tückische ist, wie bereits ausgeführt, die immer wieder beobachtbare naive Freude im Vorfeld, die einer umso tiefer in den Abgrund stürzenden Ernüchterung Platz macht. Gab es vor der Rentendämmerung häusliche Hoheitsgebiete (die Frau kauft ein und telefoniert mit der Außenwelt, der Mann kümmert sich um die Heizungsanlage und das Entkorken von Weinflaschen), geraten Schritt für Schritt altgediente Rollenmodelle ins Wanken. Ganz schlimm ist dies vor allem in der Küche zu beobachten, wo sich plötzlich Gräben unvereinbarer hauswirtschaft-licher Kennerschaften auftun; während er der Meinung ist, sie beim Einkauf begleiten (und beraten) zu sollen, möchte sie die kurzen Freigänge in den Supermarkt nutzen, um mal zu sich zu kommen. Sie sagt, du machst ja gar nichts, triff´ dich doch mal mit Freunden! Und er sagt, er fühle sich vor dem Computerbildschirm am wohlsten und außerdem habe er keine Freunde. Auch die gesundheitliche Ebene ist selten von Einmütigkeit befallen; sie drängt ihn zu irgendwelchen Vorsorgeuntersuchungen und zur Darmreinigung und er sagt, er fühle sich so jung wie schon lange nicht mehr und sie solle ihn in Ruhe lassen. Diese Ruhe fordert das weibliche Geschlecht dagegen selten, außer im Bett. Den Anschauungsgipfel ruheständlerischer Seniorenkonflikte lieferte ein Paar, das vehement forderte, zu zweit bei mir auftauchen zu dürfen, damit der eine aufpassen konnte, ob der andere mir etwas Falsches erzählt. Es ging darum, dass Helmut, 76 und früher bestimmt ein womanizer, eines Sonntag vormittags, als sich Ingeborg, 75, die Haare machte, im Bad philosophierte und mit der dreisilbigen Bemerkung schloss, du wirst alt.
Auf Reisen gehen kann man ja auch nicht dauernd. Diese soziologisch und geographisch gegebene Ausnahme-situation birgt viele Möglichkeiten, der Rentendämmerung wenigstens auf Zeit zu entgehen. Auch stylingbezogen ist Abwechslung garantiert (beide müssen so etwas wie Kleidung tragen, da man ja nicht unter sich bleiben kann). Die gemeinsame Fokussierung des anderen Fremden eröffnet nämlich die Möglichkeit, nicht andauernd im schon etwas abgestandenen Mief des Dauerduetts miteinander zurecht kommen zu müssen.
Ein Jahr nach Bismarcks Tod hat ein emsiger Architekt eine Idee gehabt und schuf einen Entwurf für so einen Turm, den er Götterdämmerung nannte und der in zigfacher Ausführung das Land überziehen sollte und an bestimmten Gedenktagen des Kultpolitikers dann mittels einer integrierten Feuerstelle zum synchronen Leuchten gebracht werden sollte. Das stelle ich mir in etwa so vor wie eine via Facebook organisierte Party, bloß ohne Internet. Ich muss sagen, wenn auch diese kühne Idee trotz weit über 200 tatsächlich erbauter Türme dann doch abgeblasen wurde, schenkt sie uns Nachgeborenen immerhin die modellhafte Ermutigung, sich mehr zu vernetzen und die Geborgenheit der Gruppe (Herdenwärme) aufzusuchen. Jedoch, diese zur Ablenkung erfundenen Gruppenreisen, gerne als Kulturreise oder, schlimmer noch, als Exkursion getarnt, gibt es ja auch schon, ohne dass in den vergangenen Jahrzehnten anhaltende Erfolge erkennbar geworden wären. Sie enden sogar oft im Fiasko.
Günther und Ilse waren mal fünf Tage in Wien, und da sie schon während der Anreise ihre Stolperherzprobleme bekam, blieb sie im Hotelzimmer und guckte fern; er wagte sich aus der Defensive und ging am vierten Tag abends zwei Stunden raus, um mit den anderen Exkursionswissenschaftlern ein Bier zu trinken, aber das wurde ihm zum paardynamischen Verhängnis. Sie fühlte sich zu wenig wahrgenommen und, kaum zurückgekehrt, schleppte sie ihn zu einer von einem 29 jährigen Kommunikationsberater geleiteten Diakonieveranstaltung mit dem Titel Paare im Übergang, also ich kann´s verstehen, dass er dazu keinen Bock hatte, zumal er der einzige Mann dort war, die anderen Männer hatten offenbar getan, was sie tun mussten, und waren dem Termin indianergleich ferngeblieben. In der Pause jedenfalls machte er sich aus dem Staub, in dem auch er ein Stolperherz geltend machte. Ob die Veranstaltung dennoch eine nachhaltige Verbesserung der partnerschaftlichen Qualität erzielen konnte, bleibt zu bezweifeln, da Ilse daraufhin aus Sorge um ihren Mann dem zweiten Teil ebenfalls fernblieb; mit diesen Stolperherzen ist schließlich nicht zu spaßen.
Günther und Ilse waren mal fünf Tage in Wien, und da sie schon während der Anreise ihre Stolperherzprobleme bekam, blieb sie im Hotelzimmer und guckte fern; er wagte sich aus der Defensive und ging am vierten Tag abends zwei Stunden raus, um mit den anderen Exkursionswissenschaftlern ein Bier zu trinken, aber das wurde ihm zum paardynamischen Verhängnis. Sie fühlte sich zu wenig wahrgenommen und, kaum zurückgekehrt, schleppte sie ihn zu einer von einem 29 jährigen Kommunikationsberater geleiteten Diakonieveranstaltung mit dem Titel Paare im Übergang, also ich kann´s verstehen, dass er dazu keinen Bock hatte, zumal er der einzige Mann dort war, die anderen Männer hatten offenbar getan, was sie tun mussten, und waren dem Termin indianergleich ferngeblieben. In der Pause jedenfalls machte er sich aus dem Staub, in dem auch er ein Stolperherz geltend machte. Ob die Veranstaltung dennoch eine nachhaltige Verbesserung der partnerschaftlichen Qualität erzielen konnte, bleibt zu bezweifeln, da Ilse daraufhin aus Sorge um ihren Mann dem zweiten Teil ebenfalls fernblieb; mit diesen Stolperherzen ist schließlich nicht zu spaßen.
Dieser Beitrag ist nicht frei von monetären Interessen; er wurde von der Firma KLOSTERFRAU großzügig gesponsert. Wenn auch Sie in den Genuß von geistlicher Vertiefung und neuem spirituösem Schwung kommen möchten, denken sie ans Altbewährte.
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