f Psychogeplauder: Außen cool, innen heiß

Sonntag, 26. Januar 2020

Außen cool, innen heiß


Außen  cool,  innen  heiß:
seltenes  Restexemplar  einer
unverstandenen  Spezies


Auf dem Foto sieht man ein Faschingskostüm, aber der Artenschutz im Allgemeinen hat nicht nur karnevalsmäßige Bedeutung. 
Obgleich, historisch betrachtet, am Anfang nur die Psychoanalytiker da waren und erst viel später sich aus dieser brillanten Urmatrix einige tiefenpsychologische Therapeuten quasi als revoluzzerhafte unbedeutende Nebenlinie entwickelten,
hat man beim Blick in die aktuelle Therapeutenlandschaft den Eindruck, dass die Erstgeborenen, also die Analytiker, immer mehr in den Hintergrund rücken. Stattdessen feiern sich die methodischen Kinder der Psychoanalyse, von den mahnenden Vertretern der elterlichen konservativen Vorgehensweise kritisch beäugt, einfach selbst und gründen ein Ausbildungsinstitut nach dem anderen. Früher war´s klar: Eine ordentliche, um nicht zu sagen, lebensverändernde, aufdeckende Behandlung bestand in drei bis vier, ausnahmsweise auch mal zwei Wochenstunden und dauerte mehrere Jahre. Sie fand auf der Couch statt und hatte günstigenfalls ein offenes Ende, das der Analytiker einvernehmlich mit seinem Analysanden festlegte. Heute sind zwar die Analytiker trotz ihres ihnen nachgesagten angefaulten Charmes noch gerne gesehen als Vorstands- oder Gründungsmitglieder des Instituts, oder auch als Gastvortragende im wissenschaftlichen Rahmenprogramm; ein bisschen grand – seigneur – Odeur kann ja nicht schaden. Aber schon bei der Frage, ob sie als Supervisoren akzeptabel sind, scheiden sich die aufmüpfigen tiefenpsychologischen Geister. Sie gelten als „alt“. Sturköpfe sollen sie sein, reden fast nichts und sind abstinent bis zur Gefriertemperatur. So sollen schon, bevorzugt in den Wintermonaten, einige ihrer Schüler, die sich als Supervisanden oder gar Lehrtherapiesubstrate in ihre Gemächer gewagt haben, für Stunden mit dem Hintern auf dem Sessel festgefroren sein. In ihren trockenen Seminaren beginnen sie fast immer mit Literaturstellen von FREUD und enden mit dem Hinweis, dass die hochkomplexen (vom emanzipierten Zuhörer als „verschwurbelt“ verunglimpften) Ausführungen nur einen ersten Einblick geben konnten und noch lange nicht vollständig seien. Einige von ihnen tragen Anzüge. Wenn du, aus Mitleid oder weil du einen von ihnen persönlich kennst und vorm Praxisruin bewahren möchtest, in der Supervisionsgruppe eine Empfehlung zur Psychoanalyse aussprichst, dann hörst du die Wahrheit über sie: kalt seien sie, stumm wie ein Kosmetikspiegel, bereits hinsichtlich ihrer telefonischen Erreichbarkeit in einem Elfenbeinturm eingemauert, sie seien kein menschliches Gegenüber und schließlich sei der gerade besprochene Patient krank und brauche von daher Hilfe und keine arrogant darniederprasselnden Deutungskaskaden! Sie bekommen immer seltener geeignete Patienten für ihre Methode und lehnen sich so weit aus dem Fenster, dass schon erste psychische Querschnittslähmungen beobachtbar sind, erkennbar an bewusst locker dahergejodelten Durchaus-Sätzen wie Auch kurze Therapien können durchaus einmal erfolgreich sein oder auch: Sie werden es nicht glauben, aber ich habe durchaus einen beträchtlichen Anteil an sitzenden Therapien in meiner Praxis. Oft weitaus belesener als ihre tiefenpsychologischen Kollegen, haben sie das Büffeln, Schmökern und Nachdenken noch von der Pike auf gelernt, sie kriegen früher eine Lesebrille und eine Halbglatze oder Depressionen und wirken ein bisschen old-fashioned. Denn während ihre tiefenpsychologischen Kollegen so hippe Seminare wie Lach mal wieder – Humor in der Psychotherapie oder Debildialoge im Zweiersetting besuchen und dabei abends als Krawallkugeln Furore, Spesen und Seitensprünge machen, sitzen sie im Zug auf einem Zweiter-Klasse-Sitz und bereiten nervös ihren Vortrag auf der Analytikertagung vor, der dort in der Diskussion zerpflückt werden wird wie einst das Gänseblümchenorakel zur Frage „Er liebt mich – er liebt mich nicht“. Dabei sind sie eigentlich sehr sensibel und wollen im tiefsten Innern ihres Herzens akzeptiert und geliebt werden. Sie geben sich Mühe, leben für ihren Beruf, gehen noch mit 60 zur Supervision zu einem 65 jährigen Meister und lassen sich von ihren Kollegen einen Kopf kleiner machen, weil sie die negative Übertragung nicht vollständig durchgearbeitet haben sollen und angeblich die Idealisierungsfallen ihrer letzten dreihundertstündigen Analyse einer total anstrengenden schwer gestörten Kunstgeschichtsstudentin übersehen haben.

Aus Gründen inneren Anstands finde ich, die Analytiker sollten mehr Schutz und Schonung erhalten anstatt permanenter bad-boy-Zuschreibungen. Ihr im einstelligen Bereich angesiedelter Anteil an den ambulanten Therapien ist auf dem Tiefpunkt. Schon längst handelt es sich nicht mehr um irgendwelche „alten Männer“, sondern um die vereinzelten, auf sich gestellten Welpinnen und Welpen der Therapeutenszene, die es tapfer wagen, der Mittelmäßigkeit der Gruppe zu widerstehen und Nachdenklichkeit und echte Reflexion in diesem Beruf zu bewahren. Vielleicht könnte man mal anstatt eines Instituts oder einer ohnehin kaum noch im Original rezipierten Theorie ein Liegemöbel nach ihnen benennen. Diwan "FERENCZY", Recamiére "RALPH GREENSON" mit Brokatbezug für prominente Patienten oder Ausziehcouch "MITSCHERLICH". Letztere gibt es wahlweise in L-Form, und den kürzeren Schenkel des „L“ kann der Patient zum Sitzen nutzen, falls er partout nicht liegen und sich dem nahkampfbereiten Untier, in dessen Praxis er sich begeben hat, nicht ausliefern will.

Also, unter Freunden: Diese Wir-sind-die-Guten-ihr-seid-die-Schlechten-Geschichte ist ja durchaus auch anderswo verbreitet. Insofern wohl normal, die ganze Sache. Schon die alten Germanen gaben zu bedenken: Wer da leit, über den lauft jedermann.


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