f Psychogeplauder: Lotterleben

Samstag, 7. März 2020

Lotterleben



                  
Arrangement  mit  Izmir-Teppich,
Quell  wilder  Gedanken *




Wenn ein Patient zum ersten Mal meinen Behandlungsraum betritt, fragt er manchmal, so ein bisschen geniert, aber seiner Neugier auf die Psychologie oder wahlweise seiner Angst vor der Totalauslieferung dann doch erliegend: „und wo ist denn bei Ihnen die Couch?“ 

Ich komme mir dann in etwa so vor, wie es wohl den Angestellten im Wiener Freud-Museum ergehen mag, wenn sie dort zum millionsten Mal einen Besucher enttäuschen müssen, der - immer als erstes - die Couch sehen möchte, und die dann sagen, ach, die Couch, ja, die sei leider nicht mehr hier, die stehe in London. Meister Sigmund hatte das legendäre Liegemöbel mit in die Emigration genommen, vielleicht schon damals aus PR – Gründen, er musste sich ja in England wieder neu etablieren und vermarkten. Vielleicht hing er aber auch einfach nur an ihr, auch fliehende Analytiker können vermutlich sentimental werden, zumal es sich bei der Couch um das Geschenk einer dankbaren Patientin gehandelt haben soll.

Verstehen kann man´s aber, dass die Leute danach fragen. Wer an Psychoanalyse denkt, hat eine Couch vor Augen. Das Liegen soll dem Lieger den Zugang zum Unbewussten erleichtern. Man wird nicht durch die müden, schönen, strafenden oder weit aufgerissenen Augen des Therapeuten abgelenkt und beeinflusst, soll sich stattdessen quasi unzensiert in der weichen, mit einem alten Perserteppich bedeckten Couch verlieren, um sich zu finden. Der Analytiker sitzt am Kopfende und denkt sich seinen Teil. FREUD sagte einmal über das sitzende Setting in der Psychotherapie: „Ich fühle mich da immer so angeguckt“. Recht hatte er, und so vermute ich, dass er die Couch nicht nur zur Verbesserung des freien, also unzensierten Assoziationsflusses des Patienten einführte, sondern auch, um den Therapeuten zu schonen, der sich sonst ständig überlegen muss, wie er guckt, wie er wirkt und obendrein, wie er gerade aussieht oder ob ihm vor Schreck der Puder von der Backe fällt. Ich erinnere noch genau den Dialog, als ich zum ersten Mal mit einem Theaterschauspieler ein Erstgespräch führte. Mein Blick schweifte nach etwa 20 Minuten einen Bruchteil einer Sekunde, um mich zu entspannen, leicht nach unten, sagen wir, der Sehwinkel änderte sich um fünfzehn Grad, und sofort hörte der gutaussehende Akteur auf zu reden, hielt inne und fragte hochgradig irritiert:„Hören sie mir denn noch zu?“ Das ist schon stressig, das Angegucktwerden. Von Kommentaren zu deinem Nachtleben („Sie sehen heute aber müde aus!“) ganz zu schweigen. 

In den Anfangsjahren meiner Praxis hatte ich noch eine Couch im Sprechzimmer stehen, in Ermangelung eines feinen Teppichs mit einem türkisfarbenen schweren Vorhangstoff belegt, großformatig, was ein männlicher Patient einmal so süffisant und drängend kommentierte, dass mir nichts übrig blieb, als mich von ihm bald wieder zu trennen. „Was, du hast agiert statt das zu deuten?“, fragte mich ein Kollege, dem ich die Sache erzählte, „das hättest du doch deuten können und dann zusammen durcharbeiten und verstehen!“ Der Patient war Bürgermeister in einem kleinen Nachbarort gewesen, litt an zu hohem Blutdruck und Stress, der, wie sich herausstellte, aber nicht mit seinen beruflichen Aufgaben zu tun hatte, sondern mit seiner erotisch eingeschlafenen Ehe, und deuten brauchte ich das ihm nicht, das wusste er schon selber. Wenn du älter geworden bist in diesem Beruf, wirst du von derartigen Ansinnen ja in der Regel verschont, aber ich vermute, dass die kühl designten schwarzen Ledercouchen vieler meiner analytischen Kolleginnen, die eher an 65 cm breite Pritschen in der chirurgischen Notaufnahme erinnern, doch auch in solch denkbar ungünstigen Assoziationsketten (Stundenhotel) ihren ästhetisch-minimalistischen Ursprung haben. 

Die Couch meines Lehranalytikers war rückblickend betrachtet im Grunde wie eine Duplette der Freud´ schen Couch, also da hat er einrichtungstechnisch kräftig imitiert, aber das fand ich damals angenehm, es gab mir das erhebende Gefühl,  beinahe beim Meister selbst in Analyse zu sein, und außerdem wirkte der Teppich auf mich gemütlich und es quietschte nicht, wenn man sich bewegte.

Das Daliegen auf der Couch raubt dir alle Gewissheiten; wie uns die Neurophysiologen lehren, gelingt das logisch-abstrakte Denken im Liegen deutlich schlechter als im Sitzen oder gar im Stehen, stattdessen bricht ein irrationaler Denksturm in dir los, dessen Wirkung auf den Analytiker du nicht mal mitkriegst, da dieser ja nicht zu sehen ist. Du bist deinen Innenwelten ausgeliefert, siehst dich, wenn es in dir selber zu unübersichtlich hergeht, gelegentlich im Raum um, aber nach 500 Sitzungen, die ja eigentlich Liegungen heißen müssten, kennst du den Raum und viel Ablenkung kannst du dir damit auch nicht mehr ergaunern. Du hörst den Therapeuten atmen, manchmal hörst du auch, dass er sich leicht bewegt. Gelegentlich kritzelt er was auf ein Papier. Du hoffst, dass die Notizen dir gelten, aber sicher kannst du da nicht sein, vielleicht ist ihm auch nur eingefallen, dass er in der Mittagspause eine neue Glühbirne kaufen muss und noch zwei Pfund mehlig kochende Kartoffeln. Das Sitzmöbel des Therapeuten sagt dir natürlich einiges über seinen user; manche haben so ökologisch-gesundheitlich wirkende verstellbare Sessel, die orthopädisch rückengerecht konzipiert sind. Andere neigen sowieso eher zu einer Art Halbliegehaltung, weil sie ja auch mal entspannen müssen und der liegende Patient sonst in Gefahr schwebt, von ihnen beneidet zu werden. Je bequemer der Sessel am Kopfende der Couch, desto brisanter ist natürlich die Gefahr des settingbedingten Supergaus, des Einschlafens des Analytikers. Es ist eine ausgesprochen unangenehme Sache, also, für beide. Der Patient ist total traumatisiert, weil er sich die naheliegende Frage stellt, ob er zu langweilig sei. Und der Therapeut geniert sich und versucht, das ganze irgendwie elegant zu erklären. Ich muss sagen, die doofste Erklärung, die mir bisher zu Ohren kam, war die, dass ein Kollege einfach abstritt, eingeschlafen zu sein, und felsenfest behauptete, es gehöre zur Methode, dass er sich innerlich „versenke“. Spätestens wenn der Patient seinen Therapeuten schnarchen hört, wird er solchen Belehrungen gegenüber doch extrem skeptisch. Eine andere Patientin berichtete mir, ihr Therapeut sei so fest eingeschlafen, dass das Stundenende nahte und sie sich fragte, ob sie ihn, wenn schon nicht für sich, so für den nächsten Patienten, der bereits geklingelt hatte, wecken solle. Wahrscheinlich war sie ältestes Kind in der Geschwisterreihe und neurosenpsychologisch eher depressiv - altruistisch unterwegs.

Unnachahmlich charmant hat es mein Lehranalytiker gelöst; ja, auch ich habe das Drama der den Therapeuten einschläfernden Patientin er- und überlebt! Mein Analytiker erklärte mir damals, es sei die Stunde der Dämmerung gewesen (das stimmte), er habe in der Nacht zuvor fast nicht geschlafen, da er eine Herzrhythmusstörung hatte (stimmte nur vielleicht, denn ich verzichtete auf ein ärztliches Attest), und, jetzt kommt der Knaller, sein Unterbewußtsein habe sich offenbar mich ausgesucht, um in meiner mich auszeichnenden beruhigenden und geborgenheitsspendenden Gegenwart ein wenig zu schlummern (stimmt ganz sicher !!!). Ich war hingerissen.

Wie die Etymologen wissen, stammt der Sofa-Begriff aus dem orientalischen Kulturkreis, wo man noch das Lungern, Lümmeln und Lottern pflegte, als wir im Abendland schon längst streng unterschieden zwischen Sitzen und Liegen. Schade eigentlich. Die Ergebnisorientierung der westlichen Welt hat das Sofa in der Psychotherapie immer mehr in den Hintergrund gedrängt zugunsten des basisdemokratischen Zweier-Ikeastuhl-Settings. Selbst Kissen sind im modernen Psychointerieur zur Mangelware geworden.



*  Photo: www.lastminute.com (100 Dinge in London)

2 Kommentare:

  1. Vielen Dank für die wieder einmal ebenso "augenklar[e]" (Copyright Andreas Gryphius) wie augenzwinkernde Erzählung aus dem psychotherapeutischen Alltag!
    Ja, die Couch - das ist für Psychoanalyse-PatientInnen ein ganz großes Ding ... (Es gibt Internet-Foren, die davon handeln.)
    ~ ~ ~

    Nur würde ich um eine kleinwinzige Korrektur bitten wollen, zumindest künftig: "Unterbewusstsein" und "unterbewusst" gibt's nich - bei Freud et. al.
    Denn der 'Witz' am UNbewussten ist ja gerade, dass es nicht "unter" etwas liegt und wie eine Diele unterm Teppich einfach nur aufgedeckt werden müsste.
    Unbewusst ist nicht "unter" etwas, es ist (und bleibt) es selbst und als solches ernstzunehmen (wenn man der Theorie etwas abgewinnen kann; ich persönlich, die ich mein Unbewusstes herzlich gern im Hexenbackofen zu Staub zerbacken und dann zum Ofenrohr rausblasen lassen würde, halte diese Theorie der menschlichen Psyche - so rudimentär sie auch leider ist - immer noch für den aktuellen Goldstandard).

    Einen herzlichen Gruß aus dem Witwesk

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    1. Liebe(r) Anonyma (Anonymus), herzlichen Dank für Deinen wohlwollenden Kommentar. du hast Recht mit dem Begriff "Unterbewusstsein" - in der Alltagssprache ist er weit verbreitet und offenbar auch beliebter als das "Unbewusste". Ich könnte (natürlich!) s c h w ö r e n, dass mein früherer Analyiker ihn in besagter Situation benutzt hat . aber wer weiß? Vielleicht ist hier auch mein Unbewusstes (sci!) mit mir durch gegangen. Ich wünsche Dir eine gute Zeit mit dem Goldstandard der menschlichen Psychologie:-)) Margarethe

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