f Psychogeplauder: Die Milch fehlt

Sonntag, 16. Juli 2017

Die Milch fehlt




Entwicklungspsychologisches
Förderprogramm


Wenn wir den psychoanalytischen Lehrern Glauben schenken, ist ja der erste Gedanke, den der Säugling denkt, der, dass die Milch fehlt. Ein Defizit ist´s demnach,
welches der frühen Entfaltung des Denkapparats auf die Sprünge hilft. Kein Wunder. Dass sich das Ich des kleinen Erdenwesens am besten entwickelt, wenn sich in seinem Babyalltag nicht nur Highlights, sondern auch Negativerlebnisse ereignen, ist irgendwie schlüssig; es findet seinen Ausdruck in Kopf-Hoch-Sätzen wie Was uns nicht umbringt, macht uns stärker. Zusätzlich zum Geschaukeltwerden durch eine vollbusige Mama, zu feinpassiertem Vanillebrei mit Tonkabohne aus der JOHANN LAFER – Erstlingskollektion und zu jahrelangen verliebt-hirnlosen Strahleblicken von Tante Ina scheint es also der frühkindlichen Entwicklung durchaus förderlich zu sein, ab und zu Frust zu haben. Und nun, taramm taramm, mein waghalsiger bahn- und halsbrecherischer Rückschluss: wir Deutschen als Volk der Dichter und Denker haben demnach besonders viele Negativerfahrungen in unserem ontogenetischen Gepäck, die aus uns so eine Kreuzung zwischen Jammerlappen und Existenzialphilosophen machen - das kannst du dir etwa so vorstellen, als ob der in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsene superintelligente Martin HEIDEGGER, der zu seinen Jugendzeiten nur aufgrund eines wohlwollenden Stipendiums die Mittel zur höheren Ausbildung erhielt, im Ortsverein der GRÜNEN® sitzt und dort die Zahl der aufgestellten Mütterbänke auf dem Abenteuerspielplatz bemängelt. Unterdessen zieht er sich lustlos einen Tofu-Hirse-Auflauf rein und stellt fest, dass da geschmacksverstärkende Zusätze drin sind. 

Die zusätzliche Fähigkeit, zwischen einem tatsächlichen Mangel und der wahnhaften Vorstellung eines einen dauernd verfolgenden Mangels zu unterscheiden, entwickelt sich aus den denkerischen Anfängen und da ist wohl, deutsch hin, deutsch her, dann doch manch einer mitten auf der Denkautobahn steckengeblieben. BION (den ich bereits versuchte in meinem Post „Container“ zu ehren) nannte die, die routinemäßig links fahren können und dabei keine Unfälle bauen, sozusagen die Alphadenker.  

Wie auch namhafte Kabarettisten zunehmend feststellen, wird bei uns im Lande besonders konstant geklagt. Ich mache gerne meine diesbezüglichen Feldstudien in der S-Bahn. Die Deutsche Bahn eignet sich da schon weniger, weil da anteilsmäßig so eine Art echter Reisender überwiegt. Dieser ist durch den alltagsdurchkreuzenden Hype, den eine Reise von A nach B auslöst, verbunden mit gewisser extraordinärer Kulinarik in Form von Leberwurstbrötchen oder Bistrowagenerbsensuppe, irgendwie positiv abgelenkt und nicht ganz so jammerig wie üblich. Den ganz normalen Feld-Wald-Wiesen-Jammer findest du eher in den Nahverkehrsmitteln, donnerstags um 16 Uhr 45:
Letzte Woche musste ich schon wieder mit dem Hund zum Tierarzt. Und der hat wieder nix gefunden. Das Tier hat meinen Teppichboden im Flur vollgekotzt, und dann nix gefunden. Nur bezahlen durft ich´s wieder. Am Telefon haben sie gesagt, ich käme gleich dran, und dann hab´ ich fast eine Dreiviertelstunde warten müssen. Aber bei meinem Hausarzt ist es noch schlimmer. Du sitzt und sitzt. Ach! Fängt das schon wieder an zu regnen? Jetzt hab ich keinen Schirm dabei. Gott, wie lange stehen wir denn hier. Warum fahren die denn nicht weiter. Ich weiß auch nicht, ich brauch mal was anderes. Was nur für mich. Ich hab schon überlegt, einen Englischkurs in der Volkshochschule zu machen. Aber dann lassen die dich dort frei sprechen in der Klasse. Sagt Evi. Da drauf hab ich kein Bock. Evi hat jetzt einen Fitnesstrainer, das ist mir aber viel zu teuer. Die spinnt sowieso. Die hebt ab. Warst du in letzter Zeit mal am Hauptbahnhof? Ich sag dir, furchtbar. Busse über Busse, Menschenmengen. Das kann dir echt Angst machen. Dunkle Massen, überall Plastiktüten. Wahrscheinlich Flüchtlinge. Ich hab mich echt davon erst mal erholen müssen. Dann hab ich am Wochenende zu meiner Freundin gesagt, komm lass uns mal in den Park gehen, ich brauch mal was Schönes fürs Auge. Du glaubst es nicht. Die Wege ungepflegt, überall Blätter. Es ist auch jetzt so feucht-klamm, dass einem die Gelenke weh tun. Für mich ist dieses Wetter wirklich nichts. Was machst du heute abend noch? Ich bin abends so kaputt, ich hab nach der Arbeit überhaupt keine Energie mehr. Das ist doch nicht normal. Ich lieg nach dem Essen dann bloß auf der Couch, ich würd so gern mal ausgehen abends, aber ich bin zu kaputt. Ostern werd ich mal für ne Woche nach Fuerte fliegen. Bei RyanAir nehmen sie jetzt so viel extra Gebühren für den Flughafen, das ist echt ärgerlich. Ich wär gern zehn Tage geflogen, aber Henni kriegt bloß eine Woche Urlaub. Die wissen bei dem seiner Firma auch nicht, was sie wollen. Letztes Jahr Kurzarbeit, dieses Jahr machen sie ein Geschiss wegen zehn Tagen Urlaub. Mein Nagellack blättert. Endlich fährt der weiter, ich dachte schon, wir übernachten hier.   

Den Schalter umzulegen ist wirklich ein Kunststück, wenn du dich ausgerechnet in einem Berufszweig bewegst, in dem sozusagen aus methodischen Gründen geklagt werden soll. Schon die erste Begegnung mit dem Patienten beginnt ja mit der mehr oder weniger offen formulierten Frage: "Was sind ihre Beschwerden?" Da brauche ich mich ja wohl nicht zu beklagen, wenn ich die dann acht Stunden täglich zu hören bekomme. Also vergiss den Post. Unreifes Beta-Gedanken-Niveau. War ein jammeriger Ausrutscher. 


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