f Psychogeplauder: Kaltakquise

Sonntag, 25. Juni 2017

Kaltakquise



Süffiger  Gewürztraminer,
gerade  im  Angebot




Der Therapeut an sich verfügt über ein Telefon und, fast noch wichtiger, einen Anrufbeantworter. Durch letztere segensreiche Technik ist er ansprechbar, auch wenn er gerade

nicht ansprechbar ist, und der Anrufer kann (wenn er will) eine Nachricht hinterlassen, oder, falls es ein potentieller neuer Patient ist, die Stimme des Therapeuten schon mal sondieren und dann wieder auflegen, um sich eine intuitive Bedenkzeit und ggf. eine breiter angelegte Stimmen- und Therapeuten-Vergleichsaktion zu genehmigen.

Seit es die automatische Rufnummernanzeige gibt, kann es dem Stimmenprüfer allerdings passieren, dass er vom gewissenhaften Therapeuten, ohne dass er das wollte, zurückgerufen wird - gerade in Zeiten der neuen Strukturreform der Psychotherapie, die mit zuverlässiger Erreichbarkeit von Therapeuten und niederschwelligen Sprechstundenangeboten aufwarten und den Patienten da abholen sollen, wo er sich gerade befindet. Der arglose Anrufer befindet sich also gerade bei Tante Stefanies Geburtstagsfest und genehmigt sich gerade ein Stück schwäbischen Apfelkuchen, da klingelt sein Handy und der Therapeut ist dran. Er habe heute angerufen … leider nicht erreichbar … ob er einen Termin habe ausmachen wollen. Also, eigentlich schon, aber das habe Zeit, sagt der Anrufer, und hofft, dass der Therapeut die Botschaft versteht und sich klammheimlich zurückzieht. Aber nein, der Therapeut fragt, ob es sein könne, dass Suizidgedanken im Spiel seien, also dann könne er eine Notfallnummer der nächstgelegenen psychiatrischen Klinik empfehlen, schließlich sei es Freitag nachmittag und in solchen Fällen solle man einen Ansprechpartner haben. Eigentlich nicht, sagt der verfolgte Geburtstagsgast, also darum gehe es jetzt offen gesagt wirklich nicht, und hofft inständig, dass seine Cousine Cindy und Onkel Martin das Gespräch nicht zu verfolgen beginnen. Der Therapeut sagt, sie klingen ein wenig melancholisch, und bietet an, in drei Tagen den Anrufer einschieben zu können, und der Anrufer beginnt sich unbehaglich zu fühlen und sagt laut, damit es Cindy und Martin hören, nein, ich habe wirklich kein Interesse an einer Vertragsumstellung. Mehr verbale Zaunpfähle kann er auf die Schnelle nicht mobilisieren, aber die Sache geht trotzdem schief, denn der Therapeut wähnt jetzt doch eine psychotische Denkstörung, weil ihm die Sache mit der Vertragsumstellung komisch vorkommt und total inkohärent. Dem Anrufer wird es zu bunt, und er sagt ziemlich erregt, er wolle das Gespräch jetzt beenden, und legt zur Sicherheit beim Wort „beenden“ ohne weiteres Gefackel auf. Das beurteilt der Therapeut als bedenklich, er überlegt, in welchem Stadtteil sich dieses offensichtliche Familiendrama gerade abspielt und ob er mal eine Polizeistreife hinfahren lassen sollte, für alle Fälle, denn wer weiß, vielleicht endet die Sache in einem Amoklauf oder zumindest in einem psychischen Ausnahmezustand. Schließlich lässt er die Sache trotz eines gewissen mulmigen Gefühls auf sich beruhen, da er nicht weiter orten konnte, von wo die Gefahr eigentlich lauert, und außerdem hat er gleich Rückengymnastik.

Es gibt natürlich auch die Möglichkeit, dass der Patient eine Nachricht hinterlässt. Der Therapeut hat zwar in seiner Ansage darauf hingewiesen, dass neue Patienten sich, bitteschön, persönlich während der Sprechzeiten des Therapeuten melden sollen. Aber er entdeckt dann doch eine Nachricht, mit zuckersüßer Stimme: Hallo, leider habe man es schon mehrfach versucht, aber niemanden erreicht (was den Therapeuten wundert, da die Nummer noch nie vorher auf dem Display zu sehen war), und dass es „unheimlich lieb“ wäre, wenn der Therapeut zurückrufen würde. Es handelt sich mutmaßlich um eine weibliche Vegetarierin, die einen Smart fährt, aus dem angesagtesten Stadtteil, und der Therapeut ist einerseits interessiert, andererseits ein bisschen indigniert, da die Dame ihn nun springen lässt und sich nicht selbst nochmal bemüht hat. Aber er seufzt und begibt sich eine Ebene tiefer als sein übliches Würdeniveau, ruft zurück, hört zunächst im Hintergrund lachende Stimmen, die er einem Grillabend oder fortgeschrittenen Salsa-Kurs zuordnet, und dann den bedauernden Kommentar, ach, ich weiß jetzt gar nicht mehr, wer sie waren, jedenfalls habe ich schon einen Therapeuten gefunden, und vielen Dank. Der Therapeut entschuldigt sich für die Störung und nimmt sich vor, bei Rückrufen zukünftig einen Phantasienamen zu nennen, um sich nicht, wenn es ganz dumm kommt, so blöd zu fühlen. Wir Therapeuten haben nämlich auch unseren Stolz. Oder dachtest du, die Telefonpromotion von Versandweinhändlern hätte sich in letzter Zeit so stark vermehrt?



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