Zwei, die sich gerne mal was voneinander abschneiden würden *
Verhaltenstherapie versus Psychoanalyse: das kannst Du Dir in etwa so vorstellen wie den ewigen Klassiker Bayern gegen Dortmund. Die letzteren haben die, glaube ich, echteren, weil doch insgesamt über die Jahrzehnte nervlich häufiger strapazierten Fans, so dass ich den Dortmundern an dieser Stelle die Psychoanalyse zuordne.
Ich habe ja mal Einblick nehmen können, wie die Zunftwelten früher aufeinanderprallten,
*(Motive entnommen aus: Max Pusterla: Die Basler Zünfte, Spalentor Verlag, 2008)
als die angewandte Psychotherapie noch kein multidisziplinär angereichertes, pragmatisch offenes, integratives, störungsadaptiertes und -modifiziertes methodisch nicht immer noch sauber auseinanderzuhaltendes Gebilde war. Da war ich eine mit meiner zukünftigen psychoanalytischen Traumzunft vollidentifizierte Ambulanzmitarbeiterin und hatte die zweifelhafte Ehre, um nicht zu sagen, den Anfänger-müssen-auch-mal-Kaffee-machen-Job, einem therapiebedürftigen Patienten bei der Suche nach einem geeigneten niedergelassenen Therapeuten universitär behilflich zu sein - dies in Zeiten langer Wartezeiten auf ambulante Therapieplätze. Der junge Mann hatte sich zufälligerweise eine Panikstörung zugezogen wie diese allzu leicht bekleideten nylonbestrumpften jungen Frauen in einer eisigen Silvesternacht, da er von einem wohlwollenden Herzspezialisten anlässlich einer Routineuntersuchung darauf aufmerksam gemacht worden war, dass er oder sagen wir korrekter, sein Herz eine seltene Reizleitungsanomalie aufweise und ob da mal nicht irgendwann Probleme auftauchen könnten ... er, der Kardiologe (und fortan erst recht sein unschuldiger, dafür aber privatversicherter Patient) wünsche jedenfalls regelmäßige Kontrollen. Seither wurde der gutaussehende Kerl von attackenweisen Todesängsten mit Herzrasen befallen und rief, wo immer er sich gerade befand, in theatralisch aufgepimpter (sein Vater war Regisseur) Panikstimmung nach einem Notarzt und sofortiger medizinischer Versorgung. Die ganze Sache hatte beim Kardiologenberatungsopfer dazu geführt, dass er seit einigen Monaten keinen Sport mehr betrieb und sich nur noch in Begleitung seiner mittlerweile ebenfalls therapiereifen, da megaangenervten Freundin aus dem Hause wagte. Was darin gipfelte, dass die Freundin sich krankschreiben lassen musste, um ihn, wenngleich fachfremd, im Ernstfall zu betreuen, und er sich Sorgen machte nicht nur um seinen baldigen unausweichlichen und viel zu früh ihn ereilenden Tod, sondern auch um seinen nahenden Studienabschluß.
Natürlich, bedenke die in meinem vorangehenden Post "Das Wesen der Zünfte I" bereits skizzierte Unterscheidung zwischen den echten und den Verhaltens-Therapeuten, rief ich zur Ausführung meiner Mission zunächst einen analytischen Kollegen an, der sich bereits an der damals noch existierenden Telefonleitung eingehend und einschlägige termini technici sprudelnd nach der Vorgeschichte, dem Vaterintrojekt, der „vermutlich zu engen Mutterbindung“ und sonstigen verdächtigen Details des panischen Endzwanzigers („gibt es da vielleicht einen Ambivalenzkonflikt mit der Freundin?“) erkundigte; leider stellte er dem zu therapierenden hypothetisch arg seiner Mutter unterworfenen Patienten eine derart lange Wartezeit in Aussicht, dass diese dem weiteren Gedeihen und Chronifizieren seiner Störung, das war mir selbst als Anfängerin klar, voraussichtlich enormen Aufwind geben würde, so dass ich frevlerisch im Nachgang mit zitternden spitzen Fingern (Wählscheibenbewegung Richtung Feindesland) noch einen Verhaltenstherapeuten anrief und hoffte, die imponierend bezunftete Oberärztin käme nicht genau in jenem Moment in den Raum. Sie tat es nicht und ich hatte das peinliche Vergnügen, dem sich recht prosaisch meldenden Kollegen aus meinem Kurzzeitgedächtnis heraus ohne Mühe die ganze brühwarme Mutter-, Vater-, Ambivalenz- und Freundin–Geschichte gekonnt und stichwortartig zu unterbreiten. Als ich ein erstes Mal innehielt, um Luft zu holen, merkte ich, dass mein Gesprächspartner nicht gleich einstieg, er hatte sich offenbar aus Langeweile zwischenzeitlich angeschickt, seinen Schreibtisch zu entrümpeln. Was meinen sie, Herr Kollege, können sie den Patienten zur Behandlung annehmen? Er, auf irgendetwas kauend, sagte daraufhin, das coole Gesprächsende bereits vorwegnehmend: Der hat halt ein Vermeidungsverhalten. Kann anrufen.
Ich habe mich nach dem Auflegen ein bisschen geschämt, weil ich den Eindruck gewinnen musste, dass er mich für eine kreuzblöde hysterische Analyseschülerin halten musste und dass er damit möglicherweise richtig lag. Gott sei Dank hatte ich damals noch meine regelmäßigen Lehrtherapiestunden und ich sage dir, an jenem Nachmittag blieb das Papiertaschentuch, das ich aus dem stets an der Couchseite bereitliegenden Päckchen meines großen Lehrmeisters zog (er trug übrigens altertümliche Binder, nie Krawatten), nicht lange trocken.*(Motive entnommen aus: Max Pusterla: Die Basler Zünfte, Spalentor Verlag, 2008)
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