Rasantes Vorgehen, nahe am Unmöglichen |
"Voll die Spirale!" sagte neulich eine Patientin zu mir, sich selbst kommentierend, weil sie wieder einmal nicht zu ihrer eigenen Meinung gestanden war, sondern sich angepasst hatte in einer Diskussion unter Freunden. Immer wieder hatte sie in ihrem jungen 21jährigen Leben feststellen müssen,
sich anderen unterworfen zu haben – egal ob es um die Frage ging, ob man Jeans mit Löchern bei einer Hochzeit tragen könne, die Todesstrafe gutheißen oder viel (definiert als Filmrisserlebnis) Bier trinken cool finden dürfe. Und immer wieder gerieten wir in den Therapiesitzungen an diesen Punkt, bei dem sie sich selbst dann wüst als „persönlichkeitslos“ beschimpfte. Es war (wie so oft) dabei stets das gleiche Grundthema, sagen wir, ein Thema und seine Varianten. Man kennt es von Mozart, der hat ein Klavierstück geschrieben mit dem Titel Unser junger Pöbel meint und es dann x-mal in Variationen weitergeführt; anfänglich, beim naiv-kindlichen Grundthema, denkst Du als Klavierspieler, och, kein Problem, ist ja easy, das räum´ ich locker ab, doch dann kommt eine Variation nach der anderen, du denkst noch zwischendurch hochnäsig, naja, wenigstens fordert es mich ein bisschen raus und es wird nicht langweilig, bis du am Ende dann demütiger wirst und denkst, ächz, das ist die letzte Variante, gottseidank, also nun komm´ ich doch an den Rand meiner gestalterischen Möglichkeiten.
Sich-Wiederholen kann quälend sein. Denk nur beispielsweise an frische Muscheln mit Weisswein jeden Tag, eine Klasse wiederholen müssen oder auch festzustellen, dass man nach Jahren intensiver Partnersuche schon wieder auf eine Vollschlampe gestoßen ist, wie bereits beim letzten und vorletzten Mal. FREUD hat sich viele Gedanken darüber gemacht, wie es eigentlich erklärbar sei, dass der Mensch so bescheuert ist, seine Neurotizismen immer wieder zu wiederholen, obwohl er doch eindeutig darunter leidet. Manche Patienten entschuldigen sich sogar und werden der Regel untreu, das, was ihnen in der Sitzung einfällt, auch zu berichten. Gebe ich dann geduldig die Briefkastentante und frage nach, dann sagen sie, „ich wollte nicht schon wieder damit anfangen, ich hab´ das Gefühl, ich wiederhol´ mich“. „Das ist ja wie mit einer Spirale, immer dieselbe Windung …“ und doch, tröste ich dann, gehe es aufwärts, die Spirale hat eine dritte Dimension, nämlich nach oben, und die vermeintlich exakt gleiche Drehung finde in Wirklichkeit eben doch eine Etage höher statt. Weil man mehr verstanden habe inzwischen und mit Argusaugen aufpassen und früher eingreifen könne.
Das ist der Unterschied zwischen Neurosen züchten und Schach lernen: beim Schach kehrst Du nach einer verlorenen Partie freiwillig nochmal an den Punkt des Spieles zurück, stellst ihn nach, den entscheidenden Zug, der dich ins Verderben stürzte, um zu überlegen, welche Alternativen es gegeben hätte, und daraus für´s nächste Match zu lernen. Eine kluge Sache. Bei den Neurosen ist das insgesamt etwas dümmlicher angelegt, also jedenfalls didaktisch betrachtet. Der Betroffene baut seinen neurotischen Mist jedes Mal neu auf und hofft … auf ein Wunder. Er verlässt sich nicht auf sein Hirn und sein Lernvermögen, sondern auf Gott, Kismet oder Papa, konstruiert das ganze Ding also exakt getreu der Vorlage, um dem Schicksal großzügig eine zweite Chance zu geben – und erhält, da die genannten Wirkmächtigen nicht eingreifen, nach kurzer Zeit dasselbe Ergebnis wie immer. Das besonders fiese ist: der Nachbau geschieht nicht, wie beim Schachspieler, willentlich, sondern auch noch unbewusst, so dass sich das neurosengeplagte Wesen als Opfer eines ewigen Kreislaufes vorfindet und ein nicht zu unterschätzender Anteil dieser Menschen aus Verzweiflung sich zum Dauerfernsehen flüchtet. Zuweilen bereits frühberentet wegen schwerer Neurosen mit Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsmöglichkeit, verbringen sie ihre Zeit damit, ewige Wiederholungen alter Serien anzuschauen und dabei das tröstliche Gefühl zu haben, dass es den Akteuren hinter der Mattscheibe offenbar auch nicht anders ergeht als ihnen selbst.
Natürlich begegnest du dem Phänomen des Wiederholungszwangs auch außerhalb der Psychoanalyse. Ein paar Semester lang habe ich im hohen Norden studiert, damals hatte ich die erste außeruniversitäre Möglichkeit, den Wiederholungszwang zu studieren; dank sei an dieser Stelle Angela B. geschuldet, einem waschechten Nordlicht. Sie brachte es auf den Punkt und näselte genüsslich: Tja, Mann is´ Mann. Kennste einen, kennste alle. Ich war vier Semester dort und gehört habe ich den Satz, schätzen wir vorsichtig, etwa 50 bis 80 Mal. Das sollte Männern zu Denken geben. Oder doch Angela? Ein weiteres ausserklinisches Beispiel sei mir unter Zuhilfenahme der Betrachtung meines aktuellen Sozialkreises gestattet: ich kenne einen, an sich ganz intelligenten, Mann, der, untertrieben formuliert, sich mit Computern gut auskennt und diesen Teufelsmaschinen gegenüber jugendlich aufgeschlossen auftritt. Doch wenn er bei einer bestimmten Eingabe nicht das gewünschte Ergebnis erhält und dadurch bei seiner Bildschirmarbeit nicht weiterkommt, macht er die davorliegenden clics einfach wieder und wieder … er will das Gerät zwingen. Bisher hat er noch nie gewonnen.
FREUD hat also ziemlich rumgehirnt bei der Sache, er hat zunächst den uns innewohnenden Todestrieb dafür verantwortlich gemacht; außerdem hat er überlegt, dass es wohl einen Trieb geben müsse, Dinge, die in der Kindheit schlecht gelaufen seien, später wenigstens selbst einzufädeln. Es gab später noch die Theorie, dass es dem Ego eines vom Wiederholungszwang Befallenen gut tun könnte, den Wiederholungszwang, wenn schon da wie ein ungeliebter Kaktus, wenigstens zu pflegen. Sozusagen seufzend zu sagen: „Immer gerate ich an die falschen Männer!“ – das ist besser als nix. Ein selbstkonstituierendes Moment, könnte man sagen. Hier sind wir terminologisch an die oberen Schubladen hochgeturnt. Um das nicht zu übertreiben, kehren wir zurück zur Frage, wie sich ein solches Phänomen bessern lässt. Schlussendlich haben sich FREUD und seine Schüler in therapeutischer Hinsicht zum geduldigen Durcharbeiten entschieden. Das ist ja auch der Grund, warum sogenannte aufdeckende Psychotherapien, im Gegensatz zu manch anderen Verfahren, oft so lange dauern. Und von außen betrachtet mit Kommentaren wie „außer reden nix gewesen“ umgehen lernen müssen. Immerhin haben die analytischen Durcharbeiter den Urheber der einfachen Spirale, das antike Mathegenie Archimedes, gefühlt an ihrer Seite. Es sei bescheiden angemerkt, dass seine Spirale, richtig angewandt, ein unentbehrliches Hilfsmittel zur Quadratur des Kreises ist.
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