f Psychogeplauder: Normal dull people

Mittwoch, 2. Januar 2019

Normal dull people





Schon FREUD´s Tochter Anna resumierte einmal ziemlich ernüchtert: es sei der späteren, nach dem aktiven Wirken ihres Vaters einsetzenden Entwicklung der Psychoanalyse nicht gelungen, die existierenden mehr oder weniger liebenswerten Normvarianten seelischen Gepräges zu behüten, geschweige denn zu fördern.
Die Ausbildung in der Psychoanalyse drängte stattdessen darauf, dass deren Repräsentanten möglichst psychisch unauffällig, böse Zungen nannten es „angepasst“, daherkommen; nach einer harten Auslese und sich daran anschließenden psychoanalytischen Selbsterfahrung hatten sie weitestgehend „durchanalysiert“ zu sein; das Ziel der Ausbildung angehender Psychoanalytiker war es, dass es nichts mehr gab, was sie hindern hätte können, klar wie ein kristalliner Bergsee die Normabweichungen ihrer Patienten zu reflektieren, zu erkennen und, selbst quasi festplattenbereinigt, zu therapieren. Anna FREUD ging übrigens in ihren nostalgischen Mutmaßungen sogar so weit, dass sie vermutete, ihr eigener Vater wäre nur wenige Jahrzehnte später als Aspirant für die Ausbildung zum Psychoanalytiker kläglich gescheitert – weil als zu neurotisch befunden. Auch in Freuds Kollegenschaft hatten sich Sonderlinge, Träumer, Sensitive befunden, deren Formbarkeit im Rahmen der Ausbildung zu sogenannten „Imitationskandidaten“ (GADDINI) zweifelhaft war. Die durch die Ausbildung implizit wabernde Forderung nach Normalität des Therapeuten, die von EISSLER als Psychiatrisierung der Psychoanalyse bezeichnet wurde, betraf noch vor nicht allzu langer Zeit sogar die sexuelle Orientierung, machte aber auch vor anderen Facetten menschlicher Vielfalt nicht Halt. 

Normalos als Therapeuten: diese auf den ersten Blick vielleicht ganz schlüssig wirkende Maxime soll wohl vor allem der durch nichts bewiesenen Idee Rechnung tragen, dass ein Patient ja nur soweit kommen könne in seiner Entwicklung, wie dies sein Therapeut selbst für sich geschafft habe. Das halte ich nicht nur für eine Idee, sondern darüber hinaus auch noch für eine Größenidee, die per se schlecht analysierbar zu sein scheint; könnte doch deren Erörterung manches beim Kandidaten ins Wanken bringen – und die institutionalisierte Ausbildung gleich mit. 

Auch nach überstandener Ausbildung gilt die alte Fussballmaxime „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“. Nach Abschluss der Ausbildung, das heißt dann häufig vor dem Aufstieg in den analytischen Olymp: dieser ist durch die schrittweise gewährte Berechtigung gekennzeichnet, Supervisionen zu leiten, Auswahlgespräche mit jungen Aspiranten zu führen, Lehranalysen anzubieten oder Instituten vorzusitzen. Hierbei gibt es dann also jahrelang immer noch genügend Fallstricke, durch Abweichen von der Norm in Ungnade zu fallen. Dem Erleiden dieser Ungnade kann der Analytiker, mittlerweile oft 50 Jahre oder älter, nur dadurch entgehen, dass er sich präventiv irgendwann einmal selbst absetzt vom „Mutter“-Institut und mit einer Hand voll Gleichgesinnter (mehr lassen sich in der Herde der artigen stromlinienförmigen Schwimmer selten finden) ein anders gesinntes Institut und somit eine neue Bezugsnorm gründet; zumindest eine anders betitelte Vereinigung, Untergruppe oder Abspaltung von den Ausbildungseltern sollte es dann schon werden. Hier spielen vor allem Kontroversen bezüglich der Theorie der Psychoanalyse eine Rolle, welche natürlich die Technik der Psychoanalyse maßgeblich beeinflussen, und die zu süffisanten Vergleichen mit unterschiedlicher Bibelauslegung („bible-reading“) beigetragen haben. Natürlich gibt es noch einen weiteren Ausweg, sich dem Schicksal des In-Ungnade-Fallens einerseits und dem unbequemen Sichaufbäumen gegenüber den Ausbildern andererseits zu entziehen: indem man sich reinschickt ins Unvermeidliche und zu Denken aufhört; oder, wie es KERNBERG mal ausdrückte, aber zur Sicherheit nur mündlich zum Besten gab: zum Kreis der normal dull people zu mutieren.

In heutigen Zeiten ist dieses Phänomen der Normopathenauslese eher noch bei der klassischen psychoanalytischen Ausbildung beobachtbar; die modernen, zahlenmäßig bei weitem überwiegenden tiefenpsychologischen Ausbildungsgänge und deren junge oder jugendlich wirken wollende Vertreter sind dagegen erstaunlich pragmatisch; so gilt als Auslesekriterium, rein praktisch gesehen, neben einem Medizin- oder Psychologiestudium das „Auswahlgespräch“ zur Aufnahme in ein Ausbildungsinstitut. Dieses setzt darauf, ob Du pünktlich kommst, keine absehbaren Schwierigkeiten haben wirst, zehn Semester lang die anfallenden Ausbildungsgebühren aufbringen zu können, und ansonsten einigermaßen zwischenmenschlich unfallfrei eine höfliche Konversation hinter dich bringen kannst. Wo also früher klassischerweise auf die Optimierung der Person des Therapeuten gesetzt wurde, wird heute typischerweise die Person nur noch als Trägermasse für die später zu erlernenden methodenbezogenen Techniken betrachtet und dabei kommt es dann auf Persönliches nicht mehr so sehr an. Für letzteres ist die Lehrtherapie da, 50 Sitzungen einzeln werden in den meisten Instituten als ausreichend angesehen und sie sollen weniger der althergebrachten detaillierten Binnenschau, als vielmehr der praktischen Anschauung der zu erlernenden Methode dienen - wie man´s macht, wenn man – in diesem Falle der Lehrtherapeut – schon länger mit der Methode Erfahrung hat.

Eigentlich, wirst Du nun vielleicht einwenden, fühlt sich das ja ganz entspannt an; der Therapeut als solcher wird nicht mehr heillosem Idealisierungsdruck ausgesetzt und wird auch nicht mehr ständig beäugt … die Pluralität wächst also, in diesen Zeiten sicherlich kein schlechtes Signal. Und dennoch … beim genaueren Hinsehen beschleicht mich der schreckliche Verdacht, dass die Jagd nach den Normopathen nur verschoben wurde: die Patienten sind´s neuerdings, die immer mehr vermessen werden, nach Achsen, Modulen und Items einskaliert, sogar Halbgrößen sind, wie bei den Damenschuhen, drin: so soll es beispielsweise hinsichtlich ihrer seelischen hardware-Ausstattung Drei-Komma-Fünfer geben, die stehen zwischen den gesünderen Dreiern und den ungesünderen Vierern. 

Bruchlos und optimiert an die Umgebung angepasst sein – sei es an die Arbeitswelt, die Freizeitgesellschaft oder die Familienstrukturen, das ist das Ziel. Die Dauer der Trauerreaktionen beim Verlust eines Angehörigen, die Zahl der Fressanfälle ab 3000 Kilokalorien pro Woche, das Ausmaß von Lebensunlustgedanken erfasst durch Mehrfaktorenanalyse – letztlich Zahlenspiele also, entscheiden über krank oder gesund. Die moderne Diagnostik erinnert leider gelegentlich an die Diskussion um die Normwerte in der Blutchemie oder der Bluthochdruckdefinition- mitsamt der peinlichen, weil kommerzdiktierten Tendenz, diese ständig weiter nach unten zu verschieben. Dabei hat schon FREUD senior angemerkt, dass sich Normalität und Abweichung nur schwer säuberlich voneinander trennen lassen. Immer mehr setzt sich auch die störungsspezifische Anwendung der analytischen Therapie durch; da sind die individuellen Biographien, Beziehungsaspekte zwischen Patient und Therapeut und die patientenseitigen Einstellungsfaktoren (immerhin brav durch Achsenmodelle wenigstens noch descriptiv-diagnostisch erfasst) eher altmodische Überbleibsel der klassischen Methode, sie flankieren die Flottmachung der Patientenmaschine zugunsten einer neuen Wiederingangsetzungsreligion. Diese scheint ihre Wurzeln in der Medikalisierung der Psychoanalyse (Paul PARIN nannte sie den „Medicozentrismus“) und der Funktionalisierung der Psychotherapie im Dienste der Anpassung, fragwürdig gleichgesetzt mit Störungsbeseitigung, zu haben. Normal dull people also, wohin man blickt.





3 Kommentare:

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    meinen aus tiefstem Herzen kommenden Dank für speziell diesen Beitrag in Ihrem Blog wie für diesen Blog überhaupt!

    Über Psychoanalyse lese ich viel, auch im Internet.
    Was ich nunmehr fast immer dort lese, hätte Sigmund Freud wohl abschätzig die Augenbrauen zucken und sarkastisch lächeln lassen. Warum, das schreiben Sie in diesem Notat, auf das ich antworte.

    Nicht angesprochen freilich haben Sie: Preise vergibt die Psychoanalse-Zunft heutzutage an "Podcasts" und "Blogs", die Freud und die, die nach ihm dachten, zu Spätzleteig machen und allwöchentlich übers Brett schaben, auf dass diese für die nach (auf/in) 00 Geborenen angerichtete "Psychoanalyse" bald verzehrt werden könne, garniert mit bissi Neuro-Forschungskäse und behavioralgeschmelzten Zwiebeln.

    Meinen herzlichen Gruß (in der Hoffnung, dass Sie bei sich und Ihrem Leisten, auch Ihrem Leistenkönnen, bleiben, das von diesen verlorenen Kindern keins je können wird ohne solche wie Sie; und das ist generell sehr fraglich)

    DieWitwe

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    1. Vielen Dank für diesen ernutigenden Kommentar, liebe Witwe". Es ist sehr motivierend zu lesen, dass sich Leser an dem Blog erfreuen - besser noch, darin Fragen finden, die sie auch bewegen, und - die Krönung, meine Ansichten verstehen.
      Nochmals danke und bleiben Sie mutig und tapfer im Spätzle-Sumpf der Pseudoanalysten.
      Mit besten Grüßen
      Margarethe Novotny

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