f Psychogeplauder: Halber Praxiswitz Staffel 3 Episode 2: Der große Tag / Showdown

Freitag, 19. November 2021

Halber Praxiswitz Staffel 3 Episode 2: Der große Tag / Showdown


 

... was bisher geschah

Der große Tag war mittlerweile gekommen und es entwickelte sich binnen weniger Minuten eine Selbsthilfegruppenatmosphäre vom Feinsten im foyer-artigen Vorraum des Zulassungsausschusses. Horrorbotschaften waren unter den Wartenden ausgetauscht, Uhrzeiten abgeglichen worden. Ab und zu hatte die Tür vom Sitzungssaal geklappt. 


Noch immer: Tag 345:

Die zweiflügelige Sitzungsaal-Türe wird für alle zum strukturgebenden Taktgeber.

Sowohl für die individuelle Einschätzung der bereits erheblichen Zeitverzögerung als auch für die Feinjustierung der Einzelpsychen. Da kommen dann erschöpft, aber meistens glücklich wirkende Abgeber-Übernehmer-Pärchen herausgewankt. Manchmal auch Trios. Selten Quartette. Manchmal müssen sie nur draußen warten, weil der Ausschuss berät, und dann später wieder reingehen. Sie stehen dann da wie der berühmte falsche Fuffziger. Erste Schauerbotschaft: mit den Verlegungen sind sie streng. Meine beiden Vorvertragspartner sind auch schon da. Sie duzen sich. Aha. Eine Kollegin hat auch ihren Mann als Fahrer dabei. Beruhigend. Meinen Partner hatte ich ja bisher in einem Stehcafè in der Nähe des Ärztehauses versteckt, doch nun tritt auch er aus der Anonymität hervor und außerdem aus dem Fahrstuhl. Man macht sich bekannt. Für kurze Zeit sind wir alle Leidensgenossen: alte, junge, aus der Stadt, aus dem dörflichen Umland, Verhaltenstherapeuten aus dem Feindesland, Psychoanalytikerinnen, Kinder- und Jugendlichentherapeuten und völlig unbekannte Gesichter aus dem Umland. Die Tür klappt wieder. Blick auf die Uhr. Meine beiden Vertragspartner und ein dritter, der sich als der kampferprobte "Einen schönen Tag noch" – Psychologe B. entpuppt, verschwinden hinter der Tür des Sitzungssaals. Jetzt wird es ja ziemlich heiß. Für die, und wie mir dann dämmert, auch für mich. Wer von meinen beiden fällt eventuell raus, wird gleich glückselig nachhause fahren statt zur für meinen Sitz anberaumten Sitzung? Und wer bleibt mir eventuell erhalten? Als das Trio nach langer Zeit wieder rauskommt, wirken alle drei derartig erschöpft, dass es per Blickdiagnose absolut nicht möglich ist zu erkennen, wer gerade den Zuschlag bekam. Der jugendlich attraktive Herr F. hat starre glasige Augen, die chancenarme, aber total ehrliche Psychologin K. macht dauernd beschwichtigendes Handyoga und hat sich für diesen Zweck total perfekt die Fingernägel in Vitalrot lackiert und der kampferprobte B. wirkt völlig zerknirscht, als hätte er ein Foul begangen und der Schiri hätte es gemerkt. Außerdem ist er kleiner, als ich das am Telefon mir vorgestellt hatte. Und netter. Die wartende Truppe erhält ungefragt Aufklärung: F. hätte eigentlich aufgrund seiner Qualifikationen den Sitz bekommen müssen. Mitten in der Sitzung habe ihm der Vorsitzende vorgeworfen, es fehlten leider seine Nachweise zur Anzahl der Jahre klinischer Vorerfahrung. Die seien nicht da. Die lägen nicht vor. Aufgrund dessen hatte nun B. den Zuschlag erhalten, obwohl unverdient, da kürzer approbiert als F. Ganz selbsthilfegruppenmäßig fragen wir F., ja haben sie sich denn nicht gewehrt? Doch, beteuert F., der immer noch einen starren Blick hat, er habe gesagt, "das geht doch nicht!", weil er genau wisse, dass dem Ausschuss sogar die Originale vorlägen. Eine Ausschussdame habe daraufhin sogar den Sitzungssaal verlassen, um nach den Unterlagen zu fahnden, aber nichts beibringen können. Während er berichtet und erste Beileidsbekundungen einsammelt, auch Kollege B.´s Beteuerung, "das wollte ich nicht!", muss meine andere Vertragspartnerin in den Saal. Begleitet von einem Praxisabgeber. Sonst niemand, ein Duett. Mir schwant, dass sie den Sitz erhält, offenbar sind ihre Konkurrenten abgesprungen oder schon am Vormittag mit einem Praxissitz versorgt worden. Oder aufgrund vorzeitigen Kneipenbesuchs nicht erschienen. Das hatten wir uns schachmäßig anders berechnet. Mir schwant außerdem, dass Kollege F.´s Pech mein Glück ist. Ich habe nun also nur noch einen potentiellen, wenn auch glasig bilckenden Übernehmer. Dem Ausschuss liegen aber zu wenig Unterlagen von ihm vor. Sagen wir, ein halbes Glück. Ich beschließe, auf die von den weißbeblusten jungen Empfangsdamen angebotene Tasse Kaffee lieber zu verzichten. Bin hellwach. Kollegin K. kommt aus dem Saal, überglücklich. Statt sofort in die nächste Kneipe zu gehen – ich erfahre, dass ihr Ehemann wohl ebenfalls mitgekommen ist -, setzt sie sich zu uns Wartenden, sie sagt, sie müsse "erst mal runter kommen". Sie habe sich genau ausgerechnet, dass ich nicht leer ausgehen würde. Begründet das, schachmäßig, Du weißt schon. Kollege F. neben mir wirkt langsam wieder normoton. Offenbar will die total ehrliche Kollegin K. uns beiden weiter mit ihrer Anwesenheit ihre Verbundenheit ausdrücken. Ich finde sie zu gut für diese Welt. Andererseits… befürchte ich, dass ich das auch war. Ich habe beiden mehrfach versprochen, dass ich keinen dritten Bewerber annehmen würde. Vielleicht ein Fehler? Aber ich hatte mir Restwürde erhalten wollen in diesem nunmehr elfeinhalb Monate andauernden undurchsichtigen Geschachere. Da sind ja hektische Torraumszenen von Erstligaclubs in Endspielen noch leichter zu durchschauen. In der Selbsthilferunde, die sich mittlerweile um einige ergänzt hat, wogegen andere bereits abgezogen sind, macht sich Ungeduld breit. Es wird offenbar ewig da drinnen im Saal verhandelt. Ohne dass ein Antragsteller drin wäre. Reden die etwa über den Kollegen F., mittlerweile wieder einen Hauch von Kampfgeist ausstrahlend, und mich? Mein Lebensgefährte macht mir Hoffnung: "Ich garantiere, die kungeln das da drinnen schon aus, bevor sie Euch rein rufen." Für meinen Geschmack zu optimistisch, diese Lesart. Aber Spaß macht´s schon. Ich adoptiere seine Vermutung kurz und erzähle dem neben mir sitzenden, langsam wieder basale Attraktivität ausstrahlenden Kollegen F., wie viele Leitzordner mein Praxisarchiv umfasse und ob er schon einen geeigneten Aktenschrank dafür hätte. Die Thematik ist für ihn unangenehm. Entweder hat er noch gar keinen Schrank, oder gerade andere Sorgen, weil er nicht über ungelegte Zulassungsausschusseier reden will. Könnte auch beides der Fall sein. Wir verkünden der wartenden Kollegenschaft, die langsam Unruhezeichen absondert, nun doch beidseitig in ein gewisses hypomanisches Hoch gerutscht: "Bei uns wird es ganz schnell gehen!" 

Wir werden kurz danach endlich aufgerufen vom Vorsitzenden des Ausschusses. "Herr Doktor F. bitte und Frau Novotny". Das finde ich irgendwie gemein: mein letzter Kontakt mit dem Kassenarztdasein endet in einer Missachtung meines Doktortitels. Ich rette mich in Ironie und nuschele leise, naja, einen Doktor habe ich auch, aber was soll´s. Das hat der Vorsitzende möglicherweise gehört. Bin ich von allen guten Geistern verlassen? Wir nehmen Platz, Psychologe F. links, ich rechts. Wir sitzen da knappe sechs Minuten in Trance (mein Partner hatte draußen die Zeit gestoppt). Der Vorsitzende gibt den generösen Onkel aus Amerika (Schnapsgenuss in der Mittagspause?), sagt, es sei ein großes Entgegenkommen des Zulassungsausschusses, dass Kollege F. nunmehr meinen Sitz erhalte. Aaaaber im Gegenzug müsse er etwas tun: F. sehe ich nur im linken Augenwinkel. Seine Ohren beginnen zu wackeln. Ich selbst versuche, mich an die Handyoga-Übungen von Kollegin K. zu erinnern. Dann kommt´s: er müsse vor den Augen des Ausschusses nun eine Verlegung meiner Praxis auf seinen Sitz beantragen und dafür das alte Formular, aus der unglücklichen Sitzung eine Stunde zuvor, benutzen und umändern. Mit zitternden Händen schreibt er, der Vorsitzende sagt zweimal in seine Richtung, bitte paragraphieren, ich überlege krampfhaft, was das ist, aber F. bleibt am Formularball. Nur einmal muss ich in der nächsten Minute noch was sagen – nicht etwa weil ich gefragt wurde; aber es geht doch tatsächlich darum, wann der Übergabetermin sein soll. Als ich die Worte März oder April höre, kriege ich eine akute Drachenfehlinformationsallergie, setze mich in Positur und sehe dem Drachen direkt in die Augen (ich erkenne die Dame sofort), ohne sie aber anzusprechen. Flüchte mich in die Passivform, danke dir, du deutsche Grammatik! "Ich wurde schriftlich unterrichtet, dass die Befürwortung der Nachbesetzung meines Sitzes in sieben Tagen erlischt." Ich würde daher doch plädieren, dass man gleich den morgigen Tag einsetze. Ich meine, in der mickrigen Gestik des Vorsitzenden eine gewisse Anerkennung für mein astrein vorgebrachtes und dennoch zeitsparendes Paragraphenvotum herauszuhören. Der Vorsitzende sagt abschließend, man bedanke sich auf Krankenkassenseite für meine Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung. Etwas schmucklos, aber es berührt mich dann doch. 

Als wir rauskommen, nehme ich kaum noch was wahr. Aber es fällt mir dann immerhin ein, den noch weiter wartenden Anwesenden des Buchstabens O bis Z Glück für ihre Verhandlungen zu wünschen. Wo ist eigentlich Sonnenbrille gewesen, frage ich mich, schon im Aufzug stehend. Ich habe sie gar nicht gesehen und lt. Alphabet wäre sie die nächste. Sie ist doch nicht etwa vom Bäcker…weiter in die nächste Kneipe gewandert und danach versackt? 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen