f Psychogeplauder: Offizierstöchter

Dienstag, 15. April 2014

Offizierstöchter






Du erkennst sie daran, dass sie in dir eine leicht unangenehme Mischung aus Bewunderung und hartnäckigem zartem Schamgefühl auslösen, sobald Du mit Ihnen zu tun bekommst.  Meistens schon jenseits der 80
, lassen sie dich empfinden, als seist du nicht 20, 30 oder 40 Jahre jünger als sie, sondern noch in den Kinderschuhen befindlich, und dieses Unterlegenheitsgefühl stellst du nicht nur bezüglich deines dir nichtig erscheinenden Alters fest, sondern auch im Hinblick auf die Spannbreite deines reindeutschen Wortschatzes und auf deine tapfer gesammelten, dennoch immer ein wenig Fremdkörper deines Ichs gebliebenen Kenntnisse des Knigge.   Dass sie mich nicht mit „Kindchen“ anzureden pflegte, war vermutlich lediglich ihrem lebenserfahrenen Finger-spitzengefühl geschuldet und dieses Wort wurde, wie wohl vieles andere, nur gedacht und nicht von ihr ausgesprochen. Dafür erfreute sie mich mit verschollen geglaubten deutschen Begriffen wie „herummurksen“, „ein ganz einfacher Mensch, aber liebenswert“, „nicht ganz in Ordnung sein“ (eine Umschreibung geistig leicht zurückgebliebener Personen in ihrer Umgebung), „Albernheiten“,  und – als Krönung der ihr verfügbaren Schimpfworte – „blödsinnig“, wobei sie letzteres allerdings höchst selten mittels ihres Sprechwerkzeuges darlegte, sondern wenn nötig durch eine gezielte zweifache Tipp-Bewegung an die Stirnmitte zum besten gab. Überhaupt redete sie viel mit den Händen, nie so ausladend und lebhaft, wie es die Italiener tun, aber stets elegant und damit einer großen Geste nahe. Sie wirkte unglaublich jung. 

Schon als sie den ersten Termin vereinbaren wollte, machte sie auf sich als eine längst verschwunden geglaubte Spezies aufmerksam. Sie rief nicht einfach an, nein, sie hinterliess auf meinem Anrufbeantworter eine herausragend höfliche Ankündigung darüber, dass sie mich demnächst anrufen werde. Als ich sie schliesslich leibhaftig begrüßen durfte, war sekundenschnell klar, dass ich ihr aus dem gediegenen, in die Jahre gekommenen Mantel helfen, ausgesucht freundlich lächeln und mich danach erkundigen würde, ob sie die Praxis gut habe finden können. Solche Damen benötigen keine platzsparenden „Schuhregale“ von Tchibo, sie besitzen sogenanntes Schuhwerk, das sind drei, allerhöchstens vier dauerhaft ihnen dienliche Paare, stets sorgfältig geputzt und am Absatz repariert, was man in diesen  Kreisen tip-top zugerüstet nennt. Ihr Problem legte sie klar, jedoch ohne allzu wortreich zu werden, und sachlich auf den Tisch; diese Menschen verstehen es selbst in einer psychotherapeutischen Notlage, ihr Gegenüber nicht durch zuviel Jammern und Klagen zu belästigen.  In dem Hause, in dem sie seit über 40 Jahren wohnte, wurde ihr durch die dort ebenfalls lebende Hausbesitzerin übel mitgespielt, da diese nicht nur mit ihrer gemieteten Zweizimmer-Wohnung, sondern auch  ihrem baldigen Ableben liebäugelte und hierbei ungeduldig geworden war. Sie konnte nicht mehr schlafen und fühlte sich ihrer Ruhe beraubt, die sie sich durch einen regelmäßigen, mit Gymnastikstunden, Konzertbesuchen, Lektüre etwas älterer Werke der psychoanalytischen Weltliteratur und einem Frauenstammtisch angefüllten Tagesablauf jahrzehntelang erarbeitet hatte (bedauerlicherweise sei sie bei ihren regelmäßigen Stammtischtreffen die jüngste, zwei knapp über 90-jährige bildeten den Rest ihres immer kleiner werdenden Kreises und begännen sie leider mit den Jahren doch ein wenig anzustrengen mit wiederkehrenden Ausführungen zu gesundheitlichen Fragen). Nie verlor sie ein Wort über die Beschwerlichkeiten des Alters, nur einmal entfloh ihr eine halb sehnsüchtige Bemerkung, beim Abschied im Stehen zu mir aufschauend, als sie in gedämpftem Tone sagte: „Wissen sie, dass ich auch einmal so groß war wie sie ?“
In meiner kollegialen Besprechungsgruppe für heikle Fälle wurden mir angesichts der vielen Lenze, die sie zählte, mitfühlende Kommentare gegeben in Richtung Palliativ-quatschen, Sterbebegleitung und Achtung Enkelfalle, womit man mich vor einem therapeutischen Harakiri zu bewahren versuchte. Aber ich hielt durch, da ich der festen Überzeugung war, dass sie, deren noch lebende Verwandtschaft lediglich aus einem 64jährigen übergewichtigen Neffen bestand, vor allem aufrichtige Wertschätzung benötigte, wie eine zu verdorren drohende Pflanze Wasser braucht, und diese konnte sie bei mir, beiderseits mühelos, erhalten. 
Als sie nach einigen Monaten genügend Vertrauen gefasst hatte, erzählte sie mir mit tränenfeuchten Augen, dass sie einmal ihren eigenen Vater bestohlen habe. Kurz vor ihrer späten Hochzeit mit einem entzückenden Taugenichts habe sie, da der Krieg und eine wehrhafte antinational-sozialistische Gesinnung von der Familie mit finanziellen Engpässen bezahlt worden war, eine Silberschüssel in Zeitungspapier eingeschlagen, sei mit dem Zug in die nächstgrößere Stadt gefahren und habe das Diebesgut auf dem Schwarzmarkt verkauft. Bei dieser Lebensbeichte war die Scham mit einem Schlag auf ihrer statt auf meiner Seite, das tat jedoch beinahe weh, denn ich war der Auffassung, dass Klauen bei diesem Vater als kreative Notlösung – oder, um in ihrer Wortwahl zu bleiben - als verzeihliche Albernheit einzuordnen sei. 
Zu Zeiten Wilhelms des Zweiten war das Offiziersdasein ja noch ein Garant, dass man es mit einem gebildeten, klugen, aus bestem Stalle stammenden wahren Herrn zu tun hatte. Diese Männer sind bereits ausgestorben, und deren Töchter sind leider im Begriffe, selbiges zu tun; heutzutage mag es immer noch Offiziere geben, messerscharf denkend, militärisch und strategisch bedacht handelnd, und dennoch kann es passieren, dass sie abends zuhause die Füsse hochlegen und zur Entspannung Supertalent anschauen. Insofern beschloss ich, etwas von ihr in mir selbst zu bewahren. Ich glaube, ich werde mit der Art beginnen, wie sie ihren Wollschal um die Schultern warf. Zwar fürchte ich, als blutiger Laie, hierfür wenigstens eine Stunde vor dem Spiegel üben zu müssen. Aber, Kindchen, das sollte man sich ja wohl wert sein !




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