Es war mal was anderes und klang interessant,
als ein Profifußballer sich an mich wandte. Allerdings wurde ich auch ziemlich
schnell darüber belehrt, dass nicht nur Fußball mit Taktik zu tun hat, sondern
Fußballer auch. Er
kam auf Anraten des Trainers, und das
bedeutete, dass er zwar ihm zuliebe den Termin gemacht hatte, aber mir beim Entrée schon mal gleich zu erkennen gab, dass er nicht besonders viel davon
hielt. Er kam in vollem Ornament, mit perfekt nach außen hin unterdrückter
Nervosität, wie einer, der auszieht, das Fürchten zu lernen. Coole Klamotten,
du kennst diese Edeljeans, die extra zerrissen sind, um used look zu
demonstrieren, taillierte Hemden, manchmal hippe Kapuzensweatshirts, Rastalocken.
Und immer andersfarbige Sneakers. Ich fand ihn sofort sympathisch, was der
ganzen Aktion aber auch nur bedingt auf die Sprünge half. Er erzählte mir
bereitwillig, warum sein Trainer – nicht etwa er selbst – darauf gekommen sei,
ihn zu einem Therapeuten schicken. Sein Trainer kenne ihn schon lange und halte
zu ihm, da er der Star der Mannschaft sei und dort eigentlich unter seinem Leistungsniveau spiele, dennoch der Mannschaft treu bleibe. Der Trainer habe ihn vor
einigen Wochen beim Warmmachen vom Spielfeldrand aus beobachtet und
festgestellt, dass er „depressiv“ wirke. Der Trainer kenne sich aus, da er
selbst schon einmal eine Psychotherapie gemacht habe, der Trainer habe viel
Mist erlebt in seinem Leben und scheue sich nicht vor Psychologen. Mit seinen
verhaltenen Angaben, mittels derer er erfolgreich versuchte, einer Selbsteinschätzung auszuweichen und stattdessen den Trainer zu zitieren, wachsam im Gespräch, ohne
viel zu sagen, konnte er eigentlich nur Verteidiger sein. Ich fragte ihn, ob
die Defensive seine Position in der Mannschaft sei, und da hatte er ein kurzes
Staunen wohl nicht ganz unterdrücken können und fragte mich, wie ich darauf
käme. Ob ich seinen Verein kennen würde. Nein, das würde ich nicht (die dritte
Liga liegt unter meinem Interessenslevel), aber ich dächte, Verteidiger
müssten vor allem strategisch geschickt
agieren und ihre Aufgabe sei es ja wohl, immer gut zu stehen, so dass die gegnerischen Angreifer ins Leere liefen.
Und so würde ich mich gerade fühlen. Ultrakurzer Blick wie unter Männern. Er
rückte daraufhin erstmal mit äußeren Angaben heraus. Ja, es stimme, dass er
binnen eines halben Jahres beide Elternteile, die auf dem roten Kontinent
lebten, verloren habe. Und es stimme auch, dass wenig später seine deutsche
Freundin Schluss gemacht habe. Aber all dies sei Monate her und belaste ihn daher
nicht mehr. Es sei abgehakt. Das
könne er sich überhaupt nicht vorstellen, depressiv, was ist das ? Er hielt mir
dann noch einen Vortrag, dass er mit seinen 28 Jahren immer noch „kein
typischer Fußballer“ sei, damit ich nicht etwa anfinge, mir meine eigenen
Gedanken zu machen. Er wolle eigentlich lieber Musik machen und überlege, in die USA auszuwandern. Im Winter sei es ihm auf dem Spielfeld zu kalt und seinen vom
Verein für ihn reservierten VIP – Zuschauerplatz im Stadion der nächsthöheren Liga lasse er auch meistens leer,
wenn das Wetter ihm nicht behage. Er verdiene ganz gut, und die Fans würden ihn
lieben, weil er sich trotz blamablen Abstiegs in der letzten Spielsaison in den
Dienst der Mannschaft stelle. Er habe Angebote aus anderen Ligen, aber das sei
ihm zu viel. So, mehr gebe es eigentlich nicht zu erzählen. Am Ende unseres ersten
Gespräches wusste ich eine Menge vom Innenleben seines Trainers, aber was mit
unserem kickenden dunkelhäutigen Musikfan los war, blieb weitgehend im Dunklen.
Das lag nicht etwa an der Sprache. Er war, neben seiner afrikanischen
Stammessprache, französisch- und englischsprachig, deutsch konnte er nicht
besonders gut, abgesehen von all jenen basso-continuo-artig benutzbaren Vokabeln
wie „Mannschaft“, „Erfolg“, „Heimspiel“, „Auswärtsniederlage“, "abhaken" und so weiter.
Lustig fand ich, dass das ganze nicht etwa im hiesigen
Tonfall eingefärbt war, sondern so ein bisschen fränkisch klang mit rollendem
„R“, was dank meiner mühsamen Recherchen sich dahingehend aufklären ließ, dass
seine Exfreundin eine gebürtige Fränkin war. Ich beschloss, beim zweiten
Gespräch taktisch klüger vorzugehen.
Wir redeten mit Händen und Füssen, wenn die
Begriffe fehlten, aber das war in den weiteren Sitzungen nicht die eigentliche
Herausforderung. Es blieb lange beim abgezirkelten Schlagabtausch, ein sehr
bekannter, schon etwas in die Jahre gekommener deutscher Trainer würde sagen, kontrollierte Offensive. Ich erfuhr dann
durch geduldiges Warten auf meine spärlichen Chancen, dass ihm der Ausdruck „Memme“
geläufig war und dass er alles, was mit Trennungsschmerz, Problemen und
Psychologen zu tun hatte, memmenhaft fand. Wir entwickelten uns dennoch
gemeinsam weiter. Die Freundin hatte ihm verkündet, dass sie ihn ja eigentlich
liebe, aber noch so jung sei und sich noch austoben wolle. Sie wohnte sogar,
welch´ ein Zufall, im gleichen Ort, in dem ich meine Praxis hatte. Er fuhr also
jedes Mal nicht nur von seinem Wohnort zur Therapie, sondern dabei auch noch an
der Haustüre seiner Ex vorbei. Er beschloss eines Tages tatsächlich, sie mal
bei dieser Gelegenheit zu besuchen. Er hatte mit ihr auf einen Schlag auch
deren Eltern und Geschwister verloren, die ihm nicht nur nebenbei Deutschkenntnisse
verschafft, sondern auch eine zweite Heimat gegeben hatten. Zuvor hatte er
einige Jahre in der belgischen Liga gekickt. Seine Brüder hatten
Erfahrungen mit Reggae, Drogen und einem schlagenden Vater in den Pariser Banlieus. Er mit letzterem
auch, aber das sei „nebensächlich“. Gelegentlich ward unsere Abwehrschlacht unterbrochen durch
charmantes Geplänkel am Spielfeldrand; etwa, als wir darüber fachsimpelten,
wie viele US-amerikanische Spieler in Deutschlands erster Liga verpflichtet
seien (wer mehr Namen wusste, hatte gewonnen), oder dass er ein Lieblingslied
hatte, das ein deutscher Hip-Hopper singt und dessen Text, wie er mir auf meine
Bitte hin versprach, er zur nächsten Sitzung mitbringen würde, falls mich das irgendwie
weiterbrächte. Ha, da war sie wieder, eine unverhoffte Torchance aus dem Nichts, und ich verwandelte eiskalt. Der Song handelte von Trennungsschmerz, und
Rastalocke, schon etwas erschöpft und in
Gedanken noch nicht auf dem Platz, verriet mir in der folgenden Sitzung,
dass er das Lied nach seiner Trennung ständig gehört habe, bei jeder Autofahrt
zum Trainingsplatz, er könne den deutschen Text auswendig. Dennoch zog sich
unsere Partie in die Länge, erinnerte zuweilen an harmlosen Sommerfußball. Schließlich der
psychotherapeutische Durchbruch: er frage sich, ob er auf dem Platz zu wenig
aggressiv sei; neulich sei er ziemlich übel gefoult worden und hinterher hätten
ihn seine Mannschaftskollegen gefragt, warum wehrst Du dich nicht? Ich nahm
diese Torvorlage dankend an und
setzte beglückt noch einen drauf: ja, er müsse sich wohl entscheiden, ob er
lieber Musik machen, träumen, es warm haben und auswandern oder ob er kämpfen
wolle und für seine weitere Spielerkarriere sorgen. Treffer. Selbst er musste
diesen genialen Konter anerkennen,
blickte nach unten auf seine neongrünen wippenden Turnschuhe und sagte nach
einer Fühlpause, mit noch immer nach unten gesenktem Kopf: Ja, das tut weh, das
ist richtig gut, ja !!!
Aber den letzten taktischen Coup vor Abpfiff der
Partie landete er. Im Abschlussgespräch begann er schmunzelnd, mir was zu
erzählen, und musste zwischendurch vor lauter Grinsen Pausen machen. Sie hätten
zur Zeit einen ausgeliehenen Spieler, der komme ihm seelisch angeknockt vor. Er
habe vor, den mal von der Seite anzusprechen. Vielleicht unter der Dusche, oder
beim Waldlauf, wenn man mal kurz unter sich sei. Dann würde er ihm sagen, „du,
ich glaube, du bist depressiv. Also vielleicht wäre es gut, wenn du mal mit
einem Psychologen sprichst. Ich brauche
sowas ja nicht, aber anderen Leuten soll das ja manchmal helfen“.
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