f Psychogeplauder: Stellungsspiel

Montag, 7. April 2014

Stellungsspiel








Es war mal was anderes und klang interessant, als ein Profifußballer sich an mich wandte. Allerdings wurde ich auch ziemlich schnell darüber belehrt, dass nicht nur Fußball mit Taktik zu tun hat, sondern Fußballer auch. Er 
kam auf Anraten des Trainers, und das bedeutete, dass er zwar ihm zuliebe den Termin gemacht hatte, aber mir beim Entrée schon mal gleich zu erkennen gab, dass er nicht besonders viel davon hielt. Er kam in vollem Ornament, mit perfekt nach außen hin unterdrückter Nervosität, wie einer, der auszieht, das Fürchten zu lernen. Coole Klamotten, du kennst diese Edeljeans, die extra zerrissen sind, um used look zu demonstrieren, taillierte Hemden, manchmal hippe Kapuzensweatshirts, Rastalocken. Und immer andersfarbige Sneakers. Ich fand ihn sofort sympathisch, was der ganzen Aktion aber auch nur bedingt auf die Sprünge half. Er erzählte mir bereitwillig, warum sein Trainer – nicht etwa er selbst – darauf gekommen sei, ihn zu einem Therapeuten schicken. Sein Trainer kenne ihn schon lange und halte zu ihm, da er der Star der Mannschaft sei und dort eigentlich unter seinem Leistungsniveau spiele, dennoch der Mannschaft treu bleibe. Der Trainer habe ihn vor einigen Wochen beim Warmmachen vom Spielfeldrand aus beobachtet und festgestellt, dass er „depressiv“ wirke. Der Trainer kenne sich aus, da er selbst schon einmal eine Psychotherapie gemacht habe, der Trainer habe viel Mist erlebt in seinem Leben und scheue sich nicht vor Psychologen. Mit seinen verhaltenen Angaben, mittels derer er erfolgreich versuchte, einer Selbsteinschätzung auszuweichen und stattdessen den Trainer zu zitieren, wachsam im Gespräch, ohne viel zu sagen, konnte er eigentlich nur Verteidiger sein. Ich fragte ihn, ob die Defensive seine Position in der Mannschaft sei, und da hatte er ein kurzes Staunen wohl nicht ganz unterdrücken können und fragte mich, wie ich darauf käme. Ob ich seinen Verein kennen würde. Nein, das würde ich nicht (die dritte Liga liegt unter meinem Interessenslevel), aber ich dächte, Verteidiger müssten vor allem strategisch geschickt agieren und ihre Aufgabe sei es ja wohl, immer gut zu stehen, so dass die gegnerischen Angreifer ins Leere liefen. Und so würde ich mich gerade fühlen. Ultrakurzer Blick wie unter Männern. Er rückte daraufhin erstmal mit äußeren Angaben heraus. Ja, es stimme, dass er binnen eines halben Jahres beide Elternteile, die auf dem roten Kontinent lebten, verloren habe. Und es stimme auch, dass wenig später seine deutsche Freundin Schluss gemacht habe. Aber all dies sei Monate her und belaste ihn daher nicht mehr. Es sei abgehakt. Das könne er sich überhaupt nicht vorstellen, depressiv, was ist das ? Er hielt mir dann noch einen Vortrag, dass er mit seinen 28 Jahren immer noch „kein typischer Fußballer“ sei, damit ich nicht etwa anfinge, mir meine eigenen Gedanken zu machen. Er wolle eigentlich lieber Musik machen und überlege, in die USA auszuwandern. Im Winter sei es ihm auf dem Spielfeld zu kalt und seinen vom Verein für ihn reservierten VIP – Zuschauerplatz im Stadion der nächsthöheren Liga lasse er auch meistens leer, wenn das Wetter ihm nicht behage. Er verdiene ganz gut, und die Fans würden ihn lieben, weil er sich trotz blamablen Abstiegs in der letzten Spielsaison in den Dienst der Mannschaft stelle. Er habe Angebote aus anderen Ligen, aber das sei ihm zu viel. So, mehr gebe es eigentlich nicht zu erzählen. Am Ende unseres ersten Gespräches wusste ich eine Menge vom Innenleben seines Trainers, aber was mit unserem kickenden dunkelhäutigen Musikfan los war, blieb weitgehend im Dunklen. Das lag nicht etwa an der Sprache. Er war, neben seiner afrikanischen Stammessprache, französisch- und englischsprachig, deutsch konnte er nicht besonders gut, abgesehen von all jenen basso-continuo-artig benutzbaren Vokabeln wie „Mannschaft“, „Erfolg“, „Heimspiel“, „Auswärtsniederlage“, "abhaken" und so weiter. Lustig fand ich, dass das ganze nicht etwa im hiesigen Tonfall eingefärbt war, sondern so ein bisschen fränkisch klang mit rollendem „R“, was dank meiner mühsamen Recherchen sich dahingehend aufklären ließ, dass seine Exfreundin eine gebürtige Fränkin war. Ich beschloss, beim zweiten Gespräch taktisch klüger vorzugehen.

Wir redeten mit Händen und Füssen, wenn die Begriffe fehlten, aber das war in den weiteren Sitzungen nicht die eigentliche Herausforderung. Es blieb lange beim abgezirkelten Schlagabtausch, ein sehr bekannter, schon etwas in die Jahre gekommener deutscher Trainer würde sagen, kontrollierte Offensive. Ich erfuhr dann durch geduldiges Warten auf meine spärlichen Chancen, dass ihm der Ausdruck „Memme“ geläufig war und dass er alles, was mit Trennungsschmerz, Problemen und Psychologen zu tun hatte, memmenhaft fand. Wir entwickelten uns dennoch gemeinsam weiter. Die Freundin hatte ihm verkündet, dass sie ihn ja eigentlich liebe, aber noch so jung sei und sich noch austoben wolle. Sie wohnte sogar, welch´ ein Zufall, im gleichen Ort, in dem ich meine Praxis hatte. Er fuhr also jedes Mal nicht nur von seinem Wohnort zur Therapie, sondern dabei auch noch an der Haustüre seiner Ex vorbei. Er beschloss eines Tages tatsächlich, sie mal bei dieser Gelegenheit zu besuchen. Er hatte mit ihr auf einen Schlag auch deren Eltern und Geschwister verloren, die ihm nicht nur nebenbei Deutschkenntnisse verschafft, sondern auch eine zweite Heimat gegeben hatten. Zuvor hatte er einige Jahre in der belgischen Liga gekickt. Seine Brüder hatten Erfahrungen mit Reggae, Drogen und einem schlagenden Vater in den Pariser Banlieus. Er mit letzterem auch, aber das sei „nebensächlich“. Gelegentlich ward unsere Abwehrschlacht unterbrochen durch charmantes Geplänkel am Spielfeldrand; etwa, als wir darüber fachsimpelten, wie viele US-amerikanische Spieler in Deutschlands erster Liga verpflichtet seien (wer mehr Namen wusste, hatte gewonnen), oder dass er ein Lieblingslied hatte, das ein deutscher Hip-Hopper singt und dessen Text, wie er mir auf meine Bitte hin versprach, er zur nächsten Sitzung mitbringen würde, falls mich das irgendwie weiterbrächte. Ha, da war sie wieder, eine unverhoffte Torchance aus dem Nichts, und ich verwandelte eiskalt. Der Song handelte von Trennungsschmerz, und Rastalocke, schon etwas erschöpft und in Gedanken noch nicht auf dem Platz, verriet mir in der folgenden Sitzung, dass er das Lied nach seiner Trennung ständig gehört habe, bei jeder Autofahrt zum Trainingsplatz, er könne den deutschen Text auswendig. Dennoch zog sich unsere Partie in die Länge, erinnerte zuweilen an harmlosen Sommerfußball. Schließlich der psychotherapeutische Durchbruch: er frage sich, ob er auf dem Platz zu wenig aggressiv sei; neulich sei er ziemlich übel gefoult worden und hinterher hätten ihn seine Mannschaftskollegen gefragt, warum wehrst Du dich nicht? Ich nahm diese Torvorlage dankend an und setzte beglückt noch einen drauf: ja, er müsse sich wohl entscheiden, ob er lieber Musik machen, träumen, es warm haben und auswandern oder ob er kämpfen wolle und für seine weitere Spielerkarriere sorgen. Treffer. Selbst er musste diesen genialen Konter anerkennen, blickte nach unten auf seine neongrünen wippenden Turnschuhe und sagte nach einer Fühlpause, mit noch immer nach unten gesenktem Kopf:  Ja, das tut weh, das ist richtig gut, ja !!!

Aber den letzten taktischen Coup vor Abpfiff der Partie landete er. Im Abschlussgespräch begann er schmunzelnd, mir was zu erzählen, und musste zwischendurch vor lauter Grinsen Pausen machen. Sie hätten zur Zeit einen ausgeliehenen Spieler, der komme ihm seelisch angeknockt vor. Er habe vor, den mal von der Seite anzusprechen. Vielleicht unter der Dusche, oder beim Waldlauf, wenn man mal kurz unter sich sei. Dann würde er ihm sagen, „du, ich glaube, du bist depressiv. Also vielleicht wäre es gut, wenn du mal mit einem Psychologen sprichst. Ich brauche sowas ja nicht, aber anderen Leuten soll das ja manchmal helfen“.





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