Auszug aus der Gebührenordnung, mit zentraler Versinnbildlichung des Gegenstands |
Gegen
die Gegenübertragung kann man sich nicht wehren. Es ist so eine Art
gefühlsmäßige Resonanz auf einen Patienten, in die du eher hineingezogen wirst,
als dass du sie sehenden Auges entwickelst. Mitgehangen mitgefangen
sozusagen. Lässt du dich auf einen Patienten ein, hast du - manchmal innerhalb der ersten fünf (!echt!) Minuten, manchmal dauert es auch etwas länger - dieses Gefühlssortiment in dir schwimmen, für das unser lieber ... nennen wir ihn für heute nur Siegmund, um nicht schon wieder so plump von ihm anzufangen... das Wortungetüm "Gegenübertragung" erfunden hat. Irgendwie sind da ja rein sprachlich betrachtet im "Gegen" so gewisse kriegerische Anklänge verborgen, jedenfalls klingt es nicht gerade wie "Schlagsahne", "Sonnenscheindauer" oder "Lustwandeln", schon der Begriff riecht nach anstrengender Arbeit, denn tragen muss man da anscheinend auch noch was. Viel dagegen machen kann man sowieso nicht, es ist daher eher das Augenmerk darauf zu richten, wie man damit umgeht, womit sich die Gegenübertragungsphänomene ethisch betrachtet in eine Reihe stellen mit: Fernsehangebot, Religion, Modegags wie hot pants, die über statt unter dem Schritt enden, Kohle ohne Ende haben oder politische Macht. Cool kommt es rüber, wenn du, ohne gefragt worden zu sein, über deine krassen Gegenübertragungsgefühle locker selbstreflexiv rumflötest etwa in einem Seminar, in deiner Supervisionsstunde oder auch beim sogenannten zwanglosen, meistens allerdings eher zwanghaften, "lockeren Austausch", während dessen du mit Kollegen in einer Tagungspause herumstehst. Immer etwas peinlich jedoch wird es für den Therapeuten dann, wenn er seine Gegenübertragung erst kapiert, nachdem sie ihn schon zu irgendeinem handfesten Handeln genötigt hat, was dann jahrelang in der Stadt erzählt wird ("hat einer Patientin 10.000 Euro geliehen und dafür hinterher Wucherzinsen verlangt"; "Therapeutin verführte nach der Sitzung ihren deutlich jüngeren Patienten zum Eis essen" oder auch: "hat in einer Sitzung derart auf den Tisch gehauen, dass ein Bein abbrach" - also vom Tisch wohlgemerkt, von Tätlichkeiten habe ich noch nicht berichten gehört). Oberpeinlich ist es, wenn ein Patient als erster deine Gegenübertragung erkennt, nachdem du schon total auf sie reingefallen bist, und erst ganz zum Schluss dir mit seiner Hilfe das ganze Theater dämmert ...
sozusagen. Lässt du dich auf einen Patienten ein, hast du - manchmal innerhalb der ersten fünf (!echt!) Minuten, manchmal dauert es auch etwas länger - dieses Gefühlssortiment in dir schwimmen, für das unser lieber ... nennen wir ihn für heute nur Siegmund, um nicht schon wieder so plump von ihm anzufangen... das Wortungetüm "Gegenübertragung" erfunden hat. Irgendwie sind da ja rein sprachlich betrachtet im "Gegen" so gewisse kriegerische Anklänge verborgen, jedenfalls klingt es nicht gerade wie "Schlagsahne", "Sonnenscheindauer" oder "Lustwandeln", schon der Begriff riecht nach anstrengender Arbeit, denn tragen muss man da anscheinend auch noch was. Viel dagegen machen kann man sowieso nicht, es ist daher eher das Augenmerk darauf zu richten, wie man damit umgeht, womit sich die Gegenübertragungsphänomene ethisch betrachtet in eine Reihe stellen mit: Fernsehangebot, Religion, Modegags wie hot pants, die über statt unter dem Schritt enden, Kohle ohne Ende haben oder politische Macht. Cool kommt es rüber, wenn du, ohne gefragt worden zu sein, über deine krassen Gegenübertragungsgefühle locker selbstreflexiv rumflötest etwa in einem Seminar, in deiner Supervisionsstunde oder auch beim sogenannten zwanglosen, meistens allerdings eher zwanghaften, "lockeren Austausch", während dessen du mit Kollegen in einer Tagungspause herumstehst. Immer etwas peinlich jedoch wird es für den Therapeuten dann, wenn er seine Gegenübertragung erst kapiert, nachdem sie ihn schon zu irgendeinem handfesten Handeln genötigt hat, was dann jahrelang in der Stadt erzählt wird ("hat einer Patientin 10.000 Euro geliehen und dafür hinterher Wucherzinsen verlangt"; "Therapeutin verführte nach der Sitzung ihren deutlich jüngeren Patienten zum Eis essen" oder auch: "hat in einer Sitzung derart auf den Tisch gehauen, dass ein Bein abbrach" - also vom Tisch wohlgemerkt, von Tätlichkeiten habe ich noch nicht berichten gehört). Oberpeinlich ist es, wenn ein Patient als erster deine Gegenübertragung erkennt, nachdem du schon total auf sie reingefallen bist, und erst ganz zum Schluss dir mit seiner Hilfe das ganze Theater dämmert ...
Womit
wir schon mittendrin wären.
Richard
war ein Überkorrekter, ein Ernsthafter, einer der es schwer nahm mit dem Leben
und der sich über die Liederlichkeit, das laissez-faire seiner Umwelt Gedanken
machte. Er schüttelte über Menschen den Kopf, die ihre Mutter nicht regelmäßig im
Altersheim besuchen und die morgens, bevor sie aus der Wohnung gehen, ausnahmsweise
die Betten nicht gemacht haben. Er arbeitete seit vielen Jahren als Rechnungsprüfer.
Da gehören solche Leute hin und das meine ich nicht ironisch. Dass er mit
dieser auch bei gewissen Rentnern sehr verbreiteten "Fahrradweg benutzen!" und "Warum macht ihr hier keine zweite
Kasse auf?" - Attitüde nicht unsympathisch wirkte, lag daran, dass er mit
sich genauso streng war wie mit seinen Artgenossen. Er hatte eine handfeste
Depression entwickelt, nachdem er sich von seiner Mutter trennen musste, die in
ein Seniorenheim überwechselte und mit der er über vierzig Jahre lang die
Wohnung geteilt hatte, bevor er dann auszog, um einen Drachen zu erlegen. Dieser
hiess nach kurzer Zeit der späten Partnersuche Gerlinde und machte ihm das
Leben schwer, weil Gerlinde ihm übelnahm, dass Samstage für die verlassene Mutter
reserviert waren und nicht für das neue Glück. In diesem Gletscherspalt des
weiblichen Vorwurfsgebirges hatte er derart starke Schuldgefühle und
schliesslich depressive Symptome entwickelt, dass er sogar seine Arbeit als
Kassenprüfer nicht mehr machen konnte und stationär eingewiesen wurde.
Eigentlich
war Richard kein Psychotherapie-Typ, weil ihm die ganze Psychologie etwas
suspekt, da wenig greifbar und viel zu subjektiv war. Womit er Recht hat. Die
ihn zuvor behandelnden Psychiater hatten da schon eher einen Stein im Brett,
weil sie von "Transmittern", "Gehirnstoffwechsel" sowie von
"Patientenmanagment" und "skill-Training" sprachen. Ich
beschloss also, sicherheitshalber meinen bestmöglichen Eindruck zu machen, und
obwohl ich ziemlich ordentlich bin - also durchaus Richards Beuteschema
nahekomme - legte ich noch einen drauf und versuchte, ihn durch ausgesucht korrektes
und seriöses Auftreten vom unübersichtlichen Psycholand zu überzeugen. Das war
einigermaßen erfolgreich, wenngleich Richard den ersten Tabellenplatz in Sachen
"Ordnung ist das halbe Leben" und "Morgenstund hat Gold im Mund"
behielt und diesen während der gesamten Spielzeit nicht ein einziges Mal abgab.
Er erlaubte sich keine Schwäche. Da ich annehmen musste, dass seine innere
Wertewelt etwas mit seiner Depression zu tun hatte, entgegnete ich ihm
gelegentlich, ob man in dieser oder jener Situation auch einmal fünfe gerade sein lassen müsse. Richard
kannte diesen Ausspruch nicht, jedenfalls wusste er nicht einhundertprozentig
genau, was damit gemeint war, und wir schlossen deswegen etymologische Recherchen
an. Ich oberflächliche Ich - denk´- mal
- Therapeutin hatte geglaubt, das hätte was mit Kegeln zu tun, aber nein,
Richard erklärte mir schliesslich nach sorgfältigem Eigenstudium, dass der
Spruch aus Zeiten stamme, in denen Konflikte körperlich ausgetragen wurden und
dass die "fünf" wohl symbolisiere, dass man fünf Finger habe, die man
auch mal gerade ausgestreckt halten, also nicht immer gleich zur Faust ballen
müsse, wenn es was zu beanstanden gab. Mit diesem geradezu pazifistischen,
politisch korrekten Bedeutungshof konnte Richard dann doch etwas anfangen und
wir begannen zaghaft psychotherapeutischen Frieden zu schliessen.
Doch
misstraue der Idylle, sie ist ein Mörderstück, wie schon Andre´ Heller
verlauten liess. Während ich mich dransetzte, die erste Rechnung zu schreiben,
dachte ich, aufgepasst, Margarethe, Rechnungsprüfer. Ich überreichte sie ihm am
Ende der nächsten Stunde. Als ich den Betrag danach in meine vorbildlich geführte
Buchhaltungstabelle eintragen wollte, stach es mir sofort ins Auge: ich hatte
mich um zehn Euro verrechnet. ZU MEINEN GUNSTEN !! Nicht nur, dass mir sowas
noch nie passiert war - die oben geschilderte Peinlichkeit überrollte mich wie
ein Sattelschlepper. Sofort nahm ich die reuige Korrektur in Angriff. Mit der
verbesserten Rechnung lauerte ich, aufgeregt wie diese kleinen Mädchen, die am
Nikolaustag auf den Knecht Ruprecht und seine Peitsche warten, Richard zur
nächsten Sitzung auf: es tue mir leid, ich hätte mich verrechnet, Asche auf
mein Haupt, verrechnet ! Richard lächelte gütig und sprach die weisen Worte: Das habe ich gleich gemerkt - man muss auch
mal fünfe gerade sein lassen!
Eigentlich
war die Sache ja gut gelaufen. Dumm nur, dass mir die fehlerhafte Addition beim
Rechnungsbetrag trotz extra Bemühens einfach so passierte, und ich mich nicht absichtlich
verrechnet hatte - dann wäre so etwas in die schmalbestückte Galerie
therapietechnischer Kunststücke meiner Laufbahn eingegangen, denn das wäre dann
nämlich eine "minimale hysterische Intervention" gewesen, eine in der
Literatur beschriebene therapeutische Finesse bei allzu zwänglerischen
Patienten. Wäre, wäre, wäre. Jedenfalls sieht man daran wieder mal, dass die
Hysteriker doch insgesamt die glückseeligsten unter den Tierkreiszeichen zu
sein scheinen. Knöpfen ihren Patienten zehn Euro mehr ab und heimsen dafür auch
noch tröstliche Worte ein.
Habe mich schlapp gelacht :)
AntwortenLöschenSehr gut!
AntwortenLöschenOh, vielen Dank! Ein Kommentar in Form von Schulnoten. Das passt gut, hätte Richard auch so formuliert.
LöschenWobei er vermutlich nur ein "Gut" gegeben hätte.