f Psychogeplauder: Shit happens (Gegenübertragung)

Donnerstag, 24. April 2014

Shit happens (Gegenübertragung)


Auszug  aus  der  Gebührenordnung, 
mit  zentraler  Versinnbildlichung  des Gegenstands


Gegen die Gegenübertragung kann man sich nicht wehren. Es ist so eine Art gefühlsmäßige Resonanz auf einen Patienten, in die du eher hineingezogen wirst, als dass du sie sehenden Auges entwickelst. Mitgehangen mitgefangen
sozusagen. Lässt du dich auf einen Patienten ein, hast du - manchmal innerhalb der ersten fünf (!echt!) Minuten, manchmal dauert es auch etwas länger - dieses Gefühlssortiment in dir schwimmen, für das unser lieber ... nennen wir ihn für heute nur Siegmund, um nicht schon wieder so plump von ihm anzufangen... das Wortungetüm "Gegenübertragung" erfunden hat. Irgendwie sind da ja rein sprachlich betrachtet im "Gegen" so gewisse kriegerische Anklänge verborgen, jedenfalls klingt es nicht gerade wie "Schlagsahne", "Sonnenscheindauer" oder "Lustwandeln", schon der Begriff riecht nach anstrengender Arbeit, denn tragen muss man da anscheinend auch noch was. Viel dagegen machen kann man sowieso nicht, es ist daher eher das Augenmerk darauf zu richten, wie man damit umgeht, womit sich die Gegenübertragungsphänomene ethisch betrachtet in eine Reihe stellen mit: Fernsehangebot, Religion, Modegags wie hot pants, die über statt unter dem Schritt enden, Kohle ohne Ende haben oder politische Macht. Cool kommt es rüber, wenn du, ohne gefragt worden zu sein, über deine krassen Gegenübertragungsgefühle locker selbstreflexiv rumflötest etwa in einem Seminar, in deiner Supervisionsstunde oder auch beim sogenannten zwanglosen, meistens allerdings eher zwanghaften, "lockeren Austausch", während dessen du mit Kollegen in einer Tagungspause herumstehst. Immer etwas peinlich jedoch wird es für den Therapeuten dann, wenn er seine Gegenübertragung erst kapiert, nachdem sie ihn schon zu irgendeinem handfesten Handeln genötigt hat, was dann jahrelang in der Stadt erzählt wird ("hat einer Patientin 10.000 Euro geliehen und dafür hinterher Wucherzinsen verlangt"; "Therapeutin verführte nach der Sitzung ihren deutlich jüngeren Patienten zum Eis essen" oder auch: "hat in einer Sitzung derart auf den Tisch gehauen, dass ein Bein abbrach" - also vom Tisch wohlgemerkt, von Tätlichkeiten habe ich noch nicht berichten gehört). Oberpeinlich ist es, wenn ein Patient als erster deine Gegenübertragung erkennt, nachdem du schon total auf sie reingefallen bist, und erst ganz zum Schluss dir mit seiner Hilfe das ganze Theater  dämmert ... 

Womit wir schon mittendrin wären.

Richard war ein Überkorrekter, ein Ernsthafter, einer der es schwer nahm mit dem Leben und der sich über die Liederlichkeit, das laissez-faire seiner Umwelt Gedanken machte. Er schüttelte über Menschen den Kopf, die ihre Mutter nicht regelmäßig im Altersheim besuchen und die morgens, bevor sie aus der Wohnung gehen, ausnahmsweise die Betten nicht gemacht haben. Er arbeitete seit vielen Jahren als Rechnungsprüfer. Da gehören solche Leute hin und das meine ich nicht ironisch. Dass er mit dieser auch bei gewissen Rentnern sehr verbreiteten "Fahrradweg benutzen!"  und "Warum macht ihr hier keine zweite Kasse auf?" - Attitüde nicht unsympathisch wirkte, lag daran, dass er mit sich genauso streng war wie mit seinen Artgenossen. Er hatte eine handfeste Depression entwickelt, nachdem er sich von seiner Mutter trennen musste, die in ein Seniorenheim überwechselte und mit der er über vierzig Jahre lang die Wohnung geteilt hatte, bevor er dann auszog, um einen Drachen zu erlegen. Dieser hiess nach kurzer Zeit der späten Partnersuche Gerlinde und machte ihm das Leben schwer, weil Gerlinde ihm übelnahm, dass Samstage für die verlassene Mutter reserviert waren und nicht für das neue Glück. In diesem Gletscherspalt des weiblichen Vorwurfsgebirges hatte er derart starke Schuldgefühle und schliesslich depressive Symptome entwickelt, dass er sogar seine Arbeit als Kassenprüfer nicht mehr machen konnte und stationär eingewiesen wurde. 

Eigentlich war Richard kein Psychotherapie-Typ, weil ihm die ganze Psychologie etwas suspekt, da wenig greifbar und viel zu subjektiv war. Womit er Recht hat. Die ihn zuvor behandelnden Psychiater hatten da schon eher einen Stein im Brett, weil sie von "Transmittern", "Gehirnstoffwechsel" sowie von "Patientenmanagment" und "skill-Training" sprachen. Ich beschloss also, sicherheitshalber meinen bestmöglichen Eindruck zu machen, und obwohl ich ziemlich ordentlich bin - also durchaus Richards Beuteschema nahekomme - legte ich noch einen drauf und versuchte, ihn durch ausgesucht korrektes und seriöses Auftreten vom unübersichtlichen Psycholand zu überzeugen. Das war einigermaßen erfolgreich, wenngleich Richard den ersten Tabellenplatz in Sachen "Ordnung ist das halbe Leben" und "Morgenstund hat Gold im Mund" behielt und diesen während der gesamten Spielzeit nicht ein einziges Mal abgab. Er erlaubte sich keine Schwäche. Da ich annehmen musste, dass seine innere Wertewelt etwas mit seiner Depression zu tun hatte, entgegnete ich ihm gelegentlich, ob man in dieser oder jener Situation auch einmal fünfe gerade sein lassen müsse. Richard kannte diesen Ausspruch nicht, jedenfalls wusste er nicht einhundertprozentig genau, was damit gemeint war, und wir schlossen deswegen etymologische Recherchen an. Ich oberflächliche  Ich - denk´- mal - Therapeutin hatte geglaubt, das hätte was mit Kegeln zu tun, aber nein, Richard erklärte mir schliesslich nach sorgfältigem Eigenstudium, dass der Spruch aus Zeiten stamme, in denen Konflikte körperlich ausgetragen wurden und dass die "fünf" wohl symbolisiere, dass man fünf Finger habe, die man auch mal gerade ausgestreckt halten, also nicht immer gleich zur Faust ballen müsse, wenn es was zu beanstanden gab. Mit diesem geradezu pazifistischen, politisch korrekten Bedeutungshof konnte Richard dann doch etwas anfangen und wir begannen zaghaft psychotherapeutischen Frieden zu schliessen.

Doch misstraue der Idylle, sie ist ein Mörderstück, wie schon Andre´ Heller verlauten liess. Während ich mich dransetzte, die erste Rechnung zu schreiben, dachte ich, aufgepasst, Margarethe, Rechnungsprüfer. Ich überreichte sie ihm am Ende der nächsten Stunde. Als ich den Betrag danach in meine vorbildlich geführte Buchhaltungstabelle eintragen wollte, stach es mir sofort ins Auge: ich hatte mich um zehn Euro verrechnet. ZU MEINEN GUNSTEN !! Nicht nur, dass mir sowas noch nie passiert war - die oben geschilderte Peinlichkeit überrollte mich wie ein Sattelschlepper. Sofort nahm ich die reuige Korrektur in Angriff. Mit der verbesserten Rechnung lauerte ich, aufgeregt wie diese kleinen Mädchen, die am Nikolaustag auf den Knecht Ruprecht und seine Peitsche warten, Richard zur nächsten Sitzung auf: es tue mir leid, ich hätte mich verrechnet, Asche auf mein Haupt, verrechnet ! Richard lächelte gütig und sprach die weisen Worte: Das habe ich gleich gemerkt - man muss auch mal fünfe gerade sein lassen! 

Eigentlich war die Sache ja gut gelaufen. Dumm nur,  dass mir die fehlerhafte Addition beim Rechnungsbetrag trotz extra Bemühens einfach so passierte, und ich mich nicht absichtlich verrechnet hatte - dann wäre so etwas in die schmalbestückte Galerie therapietechnischer Kunststücke meiner Laufbahn eingegangen, denn das wäre dann nämlich eine "minimale hysterische Intervention" gewesen, eine in der Literatur beschriebene therapeutische Finesse bei allzu zwänglerischen Patienten. Wäre, wäre, wäre. Jedenfalls sieht man daran wieder mal, dass die Hysteriker doch insgesamt die glückseeligsten unter den Tierkreiszeichen zu sein scheinen. Knöpfen ihren Patienten zehn Euro mehr ab und heimsen dafür auch noch tröstliche Worte ein. 

3 Kommentare:

  1. Habe mich schlapp gelacht :)

    AntwortenLöschen
  2. Antworten
    1. Oh, vielen Dank! Ein Kommentar in Form von Schulnoten. Das passt gut, hätte Richard auch so formuliert.
      Wobei er vermutlich nur ein "Gut" gegeben hätte.

      Löschen