f Psychogeplauder: Arbeitsbienen (burn-out II)

Mittwoch, 14. Mai 2014

Arbeitsbienen (burn-out II)


Die  emsige  Biene  Maja  schafft  es  auf´s  Cover der
1,10  Mark -  Briefmarke  der  Deutschen  Post


Den krassesten Fall eines burn-out habe ich vor Jahren zu Gesicht bekommen, als die Diagnose noch etwas besonderes war; heute dagegen hat ja ein jeder in seiner Verwandtschaft statistisch gesehen mindestens einen burn-out-Fall
und du kannst damit kaum noch jemanden hinter dem Ofen hervorlocken (um mal gleich im hitzigen Bild zu bleiben). Seine Hausärztin hatte ihn geschickt mit der Vorankündigung, es komme ein burn-out - Patient. Tja, dachte ich, wühlte kurz in der Hirnregion, die für Vorurteile zuständig ist, nach einem passenden Format und stellte mich dann ein auf einen semmelblonden, völlig erschöpften 55jährigen Sozialarbeiter, der einen jahrzehntelangen unterbezahlten Kampf für die Schwachen hinter sich und eine schwere Depression vor sich hatte; es kam – was mich, ich muss es zugeben, natürlich zunächst einmal positiv erfreute – stattdessen ein in den Zwanzigern befindlicher aparter schlaksiger junger Mann, einer sehr coolen Jugendsprache mächtig, nett und gut drauf, der seit zwei Wochen krankgeschrieben war. Ich liess mir schildern, wie es dazu kam. Er war tapfererweise ein Jahr zuvor neu hierher zugezogen, da er sich aus seinen „früheren Kreisen“ hatte lösen wollen. Ich sage dazu nur: morgens Cannabis, nachmittags Cannabis, und am Wochenende Cannabis. Seine frühere Stelle hatte er verloren wegen häufigen Zu-Spät-Kommens. Das glaubte ich ihm gerne, zum Erstgespräch bei mir kam er auch zu spät (Therapeutenregel: zum Erstgespräch Zuspätkommer sind suchtmittelabhängig oder haben keinen Parkplatz gefunden). Hier hatte er einen Job als Verkäufer in einem Spielwarenparadies bekommen, aber wegen morgendlicher lächerlicher fünf Minuten Zuspätkommens schon mehrfach Krach mit dem Chef bekommen. Sein Chef war in seinen Augen ein DVD, weil er sich alles gefallen liess sowohl von seiner Ehefrau, einer Poweromi, als auch vom übergeordneten Bezirksleiter, der zu unangekündigten Kontrollbesuchen im Geschäft einfiel und dort offenbar verbale Schneisen der Verwüstung hinterließ. DVD´s sind Deppen vom Dienst – dies zur Erklärung für etwaige Nullchecker unter den ambitionierten Lesern. Jedenfalls war unser Hanfpflanzenexperte mit den aufgeplusterten Drohungen seines Chefs nicht einverstanden, denn er konnte gar nichts für seine Verspätungen – sie kamen durch seinen buddy, seinen Mitbewohner zustande, der meistens erst nach hause kam, wenn unser junger Held schon wieder aufstehen musste, und dann zur Unzeit wegen Übelkeit das Badezimmer blockierte (ich sage nur: mit Alkohol lässt sich vieles runterschlucken, aber manchmal will es später wieder raus). Der DVD signalisierte ihm, dass es bei Wiederholung einer Verspätung die erste Abmahnung geben würde, und daraufhin wollte er es diesem CDU wählenden Schattenparker einfach mal zeigen und ging zu seiner Hausärztin. Die Krankschreibungsidee mitsamt der Diagnose kam übrigens von ihm, sie selbst hat nur mitgeschrieben wie eine dieser aussterbenden Chefsekretärinnen, die ganz auf ihre Arbeit zentriert sind. Sein Vater, den er meistens als Klugscheißmodus titulierte, sei gerade wegen burn-out in einer Spezialklinik behandelt worden, und er habe gedacht, Vorsicht ist die Mutter aller burn-out-Prävention, es läge ja vielleicht was in seiner Familie. Wahrscheinlich wollte der junge Mann einmal im Leben mit seinem Vater, der ihn jahrelang mies behandelt und runtergemacht hatte, gleichziehen und wenigstens dieselbe Diagnose haben. Ihm konnte ich, im Gegensatz zu manch anderem burn-outer, tatsächlich weiterhelfen. Er begann, etwas für ihn Sinnvolles zu tun. Er schloss sich einer politisch linken Bewegung an und an den Wochenenden engagierte er sich auf entsprechenden Großdemos; zu letzterem war es nötig, dass er seinen wegen Cannabis verlorenen Führerschein wiedererlangte, was ihm auch mittels drogenrückstandsfreier Urinproben eines Tages gelang. 


Mit burn-out hat hatte dieser Patient soviel zu tun wie ein englischer Thronfolger mit Fensterputzen. Gelernt habe ich von ihm, dass man manche zu scheitern drohende Existenz nicht zu früh abschreiben sollte. Jahre später hat er mir geschrieben, dass er mittlerweile eine Freundin habe, es zuhause mit den Eltern einige „Aussprachen“ gegeben habe und er sich, obgleich mittlerweile nicht mehr der Jüngste, nocheinmal zu einem Studium entschieden habe: Sozialarbeit. Da schließt sich der Kreis. Du erinnerst dich an den 55 jährigen semmelblonden … aber wir wollen ja nicht gleich das Schlimmste befürchten.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen