Die emsige Biene Maja schafft es auf´s Cover der 1,10 Mark - Briefmarke der Deutschen Post |
Den krassesten Fall eines burn-out habe ich vor
Jahren zu Gesicht bekommen, als die Diagnose noch etwas besonderes war; heute
dagegen hat ja ein jeder in seiner Verwandtschaft statistisch gesehen
mindestens einen burn-out-Fall
und du kannst damit kaum noch jemanden hinter
dem Ofen hervorlocken (um mal gleich im hitzigen Bild zu bleiben). Seine
Hausärztin hatte ihn geschickt mit der Vorankündigung, es komme ein burn-out -
Patient. Tja, dachte ich, wühlte kurz in der Hirnregion, die für Vorurteile
zuständig ist, nach einem passenden Format und stellte mich dann ein auf einen
semmelblonden, völlig erschöpften 55jährigen Sozialarbeiter, der einen
jahrzehntelangen unterbezahlten Kampf für die Schwachen hinter sich und eine
schwere Depression vor sich hatte; es kam – was mich, ich muss es zugeben,
natürlich zunächst einmal positiv erfreute – stattdessen ein in den Zwanzigern
befindlicher aparter schlaksiger junger Mann, einer sehr coolen Jugendsprache
mächtig, nett und gut drauf, der seit zwei Wochen krankgeschrieben war. Ich
liess mir schildern, wie es dazu kam. Er war tapfererweise ein Jahr zuvor neu
hierher zugezogen, da er sich aus seinen „früheren Kreisen“ hatte lösen wollen.
Ich sage dazu nur: morgens Cannabis, nachmittags Cannabis, und am Wochenende
Cannabis. Seine frühere Stelle hatte er verloren wegen häufigen
Zu-Spät-Kommens. Das glaubte ich ihm gerne, zum Erstgespräch bei mir kam er
auch zu spät (Therapeutenregel: zum Erstgespräch Zuspätkommer sind suchtmittelabhängig oder
haben keinen Parkplatz gefunden). Hier hatte er einen Job als Verkäufer in
einem Spielwarenparadies bekommen, aber wegen morgendlicher lächerlicher fünf
Minuten Zuspätkommens schon mehrfach Krach mit dem Chef bekommen. Sein Chef war
in seinen Augen ein DVD, weil er sich alles gefallen liess sowohl von seiner
Ehefrau, einer Poweromi, als auch vom übergeordneten Bezirksleiter, der zu
unangekündigten Kontrollbesuchen im Geschäft einfiel und dort offenbar verbale
Schneisen der Verwüstung hinterließ. DVD´s sind Deppen vom Dienst – dies zur
Erklärung für etwaige Nullchecker unter den ambitionierten Lesern. Jedenfalls
war unser Hanfpflanzenexperte mit den aufgeplusterten Drohungen seines Chefs
nicht einverstanden, denn er konnte gar nichts für seine Verspätungen – sie
kamen durch seinen buddy, seinen Mitbewohner zustande, der meistens erst nach
hause kam, wenn unser junger Held schon wieder aufstehen musste, und dann zur
Unzeit wegen Übelkeit das Badezimmer blockierte (ich sage nur: mit Alkohol
lässt sich vieles runterschlucken, aber manchmal will es später wieder raus).
Der DVD signalisierte ihm, dass es bei Wiederholung einer Verspätung die erste
Abmahnung geben würde, und daraufhin wollte er es diesem CDU wählenden
Schattenparker einfach mal zeigen und ging zu seiner Hausärztin. Die
Krankschreibungsidee mitsamt der Diagnose kam übrigens von ihm, sie selbst hat
nur mitgeschrieben wie eine dieser aussterbenden Chefsekretärinnen, die ganz auf ihre Arbeit zentriert sind. Sein Vater,
den er meistens als Klugscheißmodus titulierte, sei gerade wegen burn-out in
einer Spezialklinik behandelt worden, und er habe gedacht, Vorsicht ist die
Mutter aller burn-out-Prävention, es läge ja vielleicht was in seiner Familie.
Wahrscheinlich wollte der junge Mann einmal im Leben mit seinem Vater, der ihn
jahrelang mies behandelt und runtergemacht hatte, gleichziehen und wenigstens
dieselbe Diagnose haben. Ihm konnte ich, im Gegensatz zu manch anderem
burn-outer, tatsächlich weiterhelfen. Er begann, etwas für ihn Sinnvolles zu
tun. Er schloss sich einer politisch linken Bewegung an und an den Wochenenden
engagierte er sich auf entsprechenden Großdemos; zu letzterem war es nötig,
dass er seinen wegen Cannabis verlorenen Führerschein wiedererlangte, was ihm
auch mittels drogenrückstandsfreier Urinproben eines Tages gelang.
Mit burn-out
hat hatte dieser Patient soviel zu tun wie ein englischer Thronfolger mit
Fensterputzen. Gelernt habe ich von ihm, dass man manche zu scheitern drohende
Existenz nicht zu früh abschreiben sollte. Jahre später hat er mir geschrieben,
dass er mittlerweile eine Freundin habe, es zuhause mit den Eltern einige
„Aussprachen“ gegeben habe und er sich, obgleich mittlerweile nicht mehr der
Jüngste, nocheinmal zu einem Studium entschieden habe: Sozialarbeit. Da
schließt sich der Kreis. Du erinnerst dich an den 55 jährigen semmelblonden …
aber wir wollen ja nicht gleich das Schlimmste befürchten.
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