Stilleben auf Sitzpult in Seminarraum |
Als ich meine Ausbildung beendet hatte, beschloss ich als erstes, mir eine halbjährige Auszeit zu nehmen von Super-, Inter- und sonstigen Visionen,
von Lehrtherapeuten, Gruppenleitern und Fortbildungskursen, in denen man sich outen, Fehler beichten und dauernd selbst erfahren musste. Ich wollte meine Ruhe und mich erst mal sammeln, um mir ein wenigstens rudimentäres professionelles Selbstbewusstsein aufzubauen. Ich vertröstete mich damit, dass ich ja vielleicht später mal selbst ein Ausbilder werden könnte, und dann käme die grosse Abrechnung, wie im Wilden Westen. Mein gehässiger Plan ging aber nicht wirklich auf. Wenn du heutzutage Ausbilder bist, geht es dir nicht wirklich besser als 30 Jahre zuvor als „Kandidat“, wie sie in Psychokreisen gerne genannt werden.
Ganz früher soll man als Student ja
noch Mores oder, wie der
Nichtlateiner sagt, Manschetten im
Kontakt mit den Oberen der Hierarchie gehabt haben. Wenn man Glück hatte, wurde
man vom Professor nach zwei Semestern mit seinem Namen angesprochen, das muss,
vor allem beim ersten Mal, ein schier euphorisches Gefühl gewesen sein, und in
den Fünfzigerjahren lud die Frau des Professors vielleicht sogar einen Kreis
auserwählter Studenten kurz nach Semesterbeginn zum Tee. Weißes Hemd, extra
frisch aufgebügelt, und Primel zum Überreichen. Man „trat an“, war pünktlich
und überlegte schon ein paar Tage vorher, welche Fragen man stellen und welche
man nur denken würde. Man wollte einen guten Eindruck machen. Hatte man ausnahmsweise
mal zu wenig gelernt („studiert“), weil eine unglückliche Liebschaft oder ein
fiebriger Infekt einen davon abgehalten hatte, dann versuchte man tunlichst,
das für sich zu behalten, und nahm sich vor, den Mangel schnellstmöglich und
diskret wieder auszugleichen.
Auch zu meinen eigenen Studienzeiten gab es
immerhin noch die Tendenz, intelligent
und tüchtig wirken zu wollen. Machte man eine schlechte Figur, gelobte man sich
selbst gegenüber Besserung und war wenigstens eine Weile lang zerknirscht. Man
redete das hohe Tier mit dessen Titel an, bis in einem erlösenden charmanten
Moment der Professor, Doktor oder Privatdozent betont lässig, mit gönnerhafter
Geste, Titel-Dispens erteilte. Dann hatte man es geschafft. Man wollte nämlich
gerne einmal so sein wie die – wozu man sie anlässlich sogenannter Parties oder Feten gerne parodierend veräppelte, um sie vom wackeligen Baum der
Hochachtung ein wenig herunterzuholen. Wenn eine wichtige Prüfung anstand, zog
man als Frau irgendetwas Dunkelblaues oder, als junger Mann, einen wahlweise
schwarzen oder grauen Anzug an. Die letzteren hatten meistens zu kurze Ärmel
und hochwassergeeignete Hosenbeine, da sie noch aus einer anderen biographischen
Epoche stammten, was den darinsteckenden schweissgebadeten Prüflingen
zusätzlich dieses „ich – bin – klein - mein – Herz - ist - rein“ – feeling verschaffte. Man machte
zur Kompensation unter sich viele Witzchen nach der Sorte: wenn du nicht weißt,
wie eine Borderline-Störung aussieht, guck´ dir Professor A. an, und amüsierte
sich darüber köstlich. Eigentlich war das Feuer-zangenbowlenniveau, aber man
fühlte sich cooler als damals der alte Heinz Rühmann und jene kurzhosigen
Pennäler, die sich über herunterkippende Wassereimer beim Betreten eines Klassenzimmers
noch kaputtlachten. Aber bei Lichte betrachtet nahm man die Ausbildenden immer noch
ebenso ernst !
Heute ist der Student, oder auch der postgraduate, bachelor oder
master, anders gestrickt, womit wir beim Thema wären. Kommt meistens aufgrund
Überlastung oder auch wegen raschen Checkens seiner sms und mails (was nur die höflichen noch außerhalb
der Veranstaltung tun, die meisten machen es wie unsere Kanzlerin der Herzen
überall) zu spät, was er aber nicht kommentiert oder gar versucht zu
entschuldigen. Er hat schliesslich seine Verpflichtungen, und der Ausbilder,
wahlweise das ganze Institut, sollte froh sein, von ihm erwählt worden zu sein.
Er hat dann eine oft schon reichlich verknitterte, weil bereits bei der
vorangehenden Veranstaltung einschlägig benutzte, Bäckertüte mit der Aufschrift
Reinbeißen ! dabei oder auch
Strickzeug (für den Fall, das die Veranstaltung nichts bringt und wenigstens
die Zeit sinnvoll genutzt werden könnte). Am schlimmsten sind die kontinuierlichen ipad-surfer.
Dann weisst du, dass dein Vortragstil zu überdenken ist. Mitzuschreiben fände
man lästig und erwartet eine Power Point - Präsentation, zwar neuerdings in den
Ruf geraten, nicht der Didaktik letzter Schrei zu sein, doch ich habe immerhin gelernt,
dass das ppp heisst; die sollte man wenigstens zeitnah nach, am besten aber
schon vor der Veranstaltung den Teilnehmern zumailen. Einige von ihnen haben
die ppp aber angeblich gar nicht bekommen, was nicht etwa an deiner grundsoliden
Organisation, sondern an – ooops! – akutem Mailüberschuss oder vollgestopften
Speichern des Empfängers liegt, gelegentlich vermutlich auch daran, dass sie sowieso
nicht gelesen werden möchte. Als Dozent solltest du griffig aufbereiten, nicht
zuviele Einzelheiten berichten, keine widersprüchlichen oder diskussionswürdigen
Inhalte darlegen und schon gar nicht Referate verteilen. Literaturhinweise
runden zwar die Veranstaltung ab und werden im Falle ihres Fehlens angemahnt,
wobei die Forderung nach Lesen ganzer Bücher oder längerer Artikel aber eher
verstörend auf die Auszubildenden wirkt. Schliesslich ist es deine Aufgabe, bei
der anschliessenden Evaluation (deren Zielobjekt nicht der Student ist, sondern du) möglichst gut abzuschneiden, wenn du deine an
den Veranstalter weiterzuleitende Beurteilung, von Studentenseite her selbstverständlich
anonym in Form von Kreuzchen auf Notenskalen abgefasst, mit zitternden Händen
entgegennimmst und nach eingehendem Studium der ungehemmt verzierten und
fettverschmierten (Bäckertüte) Blätter gelobst: „Ich will mich weiter
bessern!“.
So ist das, wenn babyboomer auf die Generation Y treffen. Du
durchläufst die ganze Mach-ich´s–euch-recht- Sosse zweimal. Das nennt man wohl
Schmoren im eigenen psychodynamischen Saft. Eine zielführende Alternative
deines Hungers nach grossen Auftritten wäre ja vielleicht, sich als Prüfer
einsetzen zu lassen. Da müssen sie
pünktlich sein, ha! Es ist laut Prüfungsverordnung Pflicht, dass die Prüfung in
einer wohlwollenden und kollegial wert-schätzenden Atmosphäre durchzuführen ist.
Das würde ich schaffen. Aber ich habe in Erfahrung gebracht, dass das
Regierungspräsidium zudem vorschreibt, dass man während der gesamten Prüfungszeit
nichts Kritisches äußern darf, damit der Prüfling nicht in seinem Selbstwertempfinden
labilisiert und dadurch der Verlauf der Prüfung negativ beeinflusst würde.
Sonst ist das Ganze ungültig. Also wieder nichts mit rauchenden Colts. Ich
glaube, ich ziehe mich aus dem Wilden Westen wieder zurück. Dir als
einfühlsamem Leser dämmert es schon: ich muss mich nämlich, nach längerem
Dozentendasein, dringend wieder um mein rudimentäres professionelles
Selbstbewusstsein kümmern.
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