f Psychogeplauder: Sensationen

Sonntag, 4. Mai 2014

Sensationen


Artistische  Einlage  zweier  Elefantenbrüder
bei  sehr  guten  Wetterbedingungen,
um  Aufmerksamkeit  zu  bekommen


Du kennst sie, und wenn auch nur aus den täglich aktualisierten Kulturinformationen deines email-servers: „Kind schiesst Schneeball auf Soldaten“ -  „Chinesischer Politiker rastet auf Flughafen aus“ - „Belgischer Torwart
verprügelt Schwiegermutter an der Grenze zum Strafraum“ oder „Mann enteist Auto mit Hammer“. Doch noch interessanter als diese Sensationen sind zuweilen die Meldungen, die Du während Deiner ganz normalen Feld-Wald-Wiesen-Tätigkeit erhältst; jedenfalls kannst du damit rechnen, wenn es sich um eines jener aufsehenerregenden Exemplare handelt, die mir ein Allgemeinarzt gelegentlich schickt, nachdem ich ihm einmal leichtsinnig anvertraut hatte, dass ich ein Herz für Normvarianten hätte. Aurora war so ein Fall. Natürlich hiess sie nicht wirklich so, aber der Name hätte ihr mit Sicherheit gefallen. Auroras Schicksal ist einerseits rasch erzählt – sie bezeichnete sich als Ex-Arzt-Gattin, und damit war, unter Anspielung auf erbitterte Scheidungskämpfe, im Grunde schon alles gesagt - aber andererseits hatte Aurora beinahe täglich neue spannende Erlebnisse, wenn nicht gar Abenteuer zu bewältigen, die unter dem – Verzeihung, aber Aurora würde die Wortwahl verstehen - Pöbel meiner restlichen Klientel ihres gleichen suchten. Ihr besonderes Wesen erschloss sich schon im ersten Moment der Begegnung, wenn sie hereinkam; sie legte nie ihre Mäntel oder Jacken im Warteraum ab, sondern entschälte sich unter Opferung einiger wertvoller Therapieminuten vor meinem andächtigen, gelegentlich etwas neidischen (asymmetrische Schnittführungen ! voluminöse Ballonröcke ! Schmuck, den du noch nie gesehen hast !) weiblichen Augenpaar erst im Therapieraum. Klar, wer möchte schon, dass da draussen unbeobachtet jemand was entwendet, draufniest oder seinen proletenhaften Eigenduft hineindiffundieren lässt! Apropos Duft, wenn Aurora da war, wussten das meine archaischen Hirnregionen, die für das Riechsystem zuständig sind, noch Stunden später. Ich danke an dieser Stelle dem Douglas - Konzern und wäre einer einmaligen großzügigen Spende oder auch regelmäßigen Sponsorings im Dienste einer wenigstens symbolischen Opferent-schädigung nicht abgeneigt. Wahrscheinlich hiess ihr durchaus mutiges, dafür unvergesslich bleibendes Parfum Poison of woman, la vengeance oder snake of desire. 

Aurora kam, weil sie von „entsetzlichen, fürchterlichen, stundenlangen, tiefsten“ Weinkrämpfen geschüttelt wurde und ihre Umgebung sanft, aber nachdrücklich auf den Gang zum Psychotherapeuten drängte. In Insiderkreisen nennt man das Abschiebung. Die Trennung von ihrem Ehemann fusste auf einer Affäre der übelsten Sorte – ich kann nichts dafür, an dieser Stelle erinnert ihre Geschichte an die Rosamunde Pilcher-Erzählungen – nämlich mit ihrer besten Freundin, die in der Praxis des Gatten eine langjährige Arzthelferin gewesen und unserer arg gebeutelten Aurora mit den Jahren zur scheinbaren Freundin geworden war. Diese traumatisierende Angelegenheit war schon Jahre her, so dass mein Berufshirn sich selbst und dann Aurora fragte, warum sie erst jetzt einen Therapeuten brauche. Da hatte ich mich fälschlicherweise noch in der begehrten Erstposition gewähnt, etwas prosaisch und – pardon ! - nicht ganz stubenrein werden solche Patienten in meinen Kreisen oft Frischware genannt. Aurora hatte mich tatsächlich so fühlen lassen, als sei ich, nach Jahren des seelischen Dahindürstens, ihre füllhorngleiche Göttin, ihr richtungweisender Strohhalm und ihr biographisches Superhighlight – die spektakuläre Retterin, der sie ewig zutiefst verbunden sein und eines Tages eine entsprechende Danksagungsanzeige in der Süddeutschen Zeitung widmen würde. Aber diesen Patienten ist leider die Eigenart gemein, dass sie dir nur das Gefühl deiner Einzigartigkeit geben und nicht die tatsächliche Ehre; sie hatte damals, als die Trennung gerade lief und ihr Gatte in einer entfernten Metropole eine piekfeine Privatpraxis eröffnete mit der Freundin als „Managerin“, auch schon eine Psychotherapie gemacht, allerdings privat bezahlt, weil ihr die kassenzugelassenen Therapeuten bei uns in der Region doch zu einfach gestrickt und durch ihren speziellen Exarztgattinenfall potentiell überfordert erschienen waren. In dieser Vorbehandlung bei einer Therapeutin, die ihr ein bemerkenswertes Honorar abknöpfte, welches – Rache ist süß und beginnt oft im Geldbeutel – damals noch ihr Mann hatte bezahlen müssen, hatte Aurora viel verbales Rüstzeug erhalten, von dem sie offensichtlich noch immer zehrte und das sie möglicherweise vor der sonst unvermeidbaren dramatischen Selbsttötung mittels dreier Haarföns im Badewasser oder einer schleichenden Veuve-Cliquot-Sucht bewahrt hatte. Sie ernährte sich von Formeln wie: “Ich habe meine Mitte verloren, ich brauche einen neuen Zugang zu mir“ und „Ich möchte nie mehr ein Opfer sein“. Auch den folgenden Satz als angeblich wortgetreues Zitat der Vortherapeutin gab sie, mir großzügig die Prinzipien ihres Psycholebens darlegend, von sich: „Ich werde ab jetzt selbst der Täter sein, und das steht mir zu“. Ich glaube, den hat Aurora zu den Zitaten aus der Vortherapie hinzugedichtet, aber es erschien mir nach wenigen Sitzungen sinnlos, sie von diesem autosuggestiven Höhenflug, den sie morgens in ihren wehrlosen vermutlich überdimensionierten Bade-zimmerspiegel zu hauchen pflegte, noch einmal abbringen zu wollen. Überhaupt war Auroras Anliegen nicht, dass ich ihr etwas sage, sondern bewundernd zuhöre und gelegentlich nicke. Nachdem ich das verstanden hatte, wurden die Sitzungen weniger aufreibend und ich konnte mich darauf konzentrieren, ihr Parfum olfaktorisch zu bewältigen, ohne einen Migräneanfall zu entwickeln. Das nennt man therapeutische Selbstfürsorge und ist durchaus erlaubt.  Die Therapie, für die Aurora am Schluß „zutiefst dankbar“ war, war diesmal veranlasst durch den sich ankündigenden Schlusspunkt langjähriger Scheidungs-verhandlungen, die beiderseitig bis auf´s vergiftete Blut geführt wurden. Zumindest auf Auroras Seite waren bereits mehrere weibliche Fachanwältinnen für Familienrecht verschlissen worden, die sich letztlich als „enttäuschende Versagerinnen, klägliche Vertreterinnen ihrer Profession und unglaubliche Dilettantinnen“ erwiesen hatten. Wir beide mussten nun achterbahngleiche Berg- und Talfahrten bewältigen; und man wusste nie, in welche Richtung es beim nächsten Mal gerade ging.  Bei den Bergfahrten wurde ich Zeugin hochamüsanter Alltagsbegegnungen, aus denen Aurora ein Fest, um nicht zu sagen, den Stoff für Opern bezog; sie konnte während des Einkaufs eines Röllchens Nähseide durchaus Bekannte für´s Leben erwerben und legte einen klassischen Zufallsflirt mit ihrem Innen-architekten hin (1000 Mal berührt und 1000 Mal nix passiert), dessen von mir ersehnte Fortsetzungsberichte ich spannender fand als den aktuellen „Tatort“-Krimi. Bei den Talfahrten berichtete sie weinend, wie ihr dieses üble Ärzteschwein vor elf Jahren zugesetzt habe und dass er in Komplizenschaft mit einem genauso üblen männlichen Juristenschwein noch immer versuche, sie finanziell über den Tisch zu ziehen.  Es war eine Demütigung, eine „tiefgehende Demontage ihrer Persönlichkeit“, dass sie sich, kinderlos geblieben, ihrer einst strahlenden Zukunft beraubt, vermutlich ein kleineres Haus suchen musste. Auroras Traum war es immer gewesen, Operndiva zu werden, und ihrer glasklaren Selbsteinschätzung zufolge hätte sie zweifellos zu Ruhm gelangen können, hätte sie nicht ihre inbrünstigen Jungmädchenphantasien der zerborstenen Ehe mit dem Ärzteschwein geopfert. Da sie gerne Arien trällerte (sagen wir, unter uns: übte), erschien das Wohnen in einer Etagenwohnung undenkbar und nachbarschaftsunverträglich, zumal sie nach ihrem eigenen Bekunden, durch mich nachdenklich machende Beispiele aus dem Alltag untermauert, von Spießern umgeben war. Irgendetwas zu besprechen, was möglicherweise in ihrer eigenen Verantwortung oder eigenem Verschulden lag, kostete Mühen ohne Ende und ich hätte mir (wenn mich mal einer gefragt hätte!) dafür gerechterweise das Honorar meiner Vorgängerin zugedacht.  

Nun wirst du mich sicherlich bedauern, aber dieses Mitleid stünde mir gar nicht zu. Trotz der Anstrengungen, die gelegentlich auch einmal mit einer Kopfwäsche enden konnten (Aurora war die Friseuse, ich der Kopf), freute ich mich auf die Sitzungen mit ihr, wenn mich auch ein mich selbst  erstaunender Stress  am Morgen ihrer Therapietage befiel, was ich heute anziehen sollte, um nicht völlig neben ihr unterzugehen. Die Welt wäre ärmer ohne Frauen wie Aurora, die weder beigefarbene Popelinjacken tragen noch über Parkplatzprobleme oder Blasenschwäche berichten, obgleich sie letzteres möglicherweise kennen. Selbst wenn sie jammerte wie zehn orthodoxe Juden an der Klagemauer, belebte sie mich und den Praxistag sofort. Sie hatte nicht immer recht mit ihren Ausführungen, aber eines ist, befürchte ich, korrekt gewesen: dass sie zu 95 % von Spießern umgeben war, und ich muss schonungslos einräumen, ich gehörte auch dazu. Diese Patientengattung stirbt ja sowieso langsam aus. Vor Jahrzehnten waren ihnen noch ganze Buchbände gewidmet, heute stehen sie unter Artenschutz. Ein wenig mehr Normvarianten stünden unserer Gesellschaft aus geklonten Pseudoindividuen ganz gut. Um dich auf diese Weise, ohne eine wirklich peinliche oder gar schlechte Figur zu machen, von der Masse abzuheben, brauchst du vermutlich ab deiner Geburt relativ geordnete häusliche Verhältnisse, Väter, die gerne anderen Frauen nachschauen und Eltern, denen es nicht zu viel Arbeit macht, dir noch Regeln beizubringen. Zu solchen rarer werdenden Entwicklungsbedingungen müssen sich echte Kerle in deinem Kindheitsumfeld gesellen, keine Softies mit Reizdarmsyndrom, die sich mit 50 einen gebrauchten silberfarbenen C-Klasse-Mercedes kaufen und einmal im Jahr ihre Versicherungspolicen durchchecken, währenddessen sie sich, aus lauter Lust, dazu eine mittelteure Flasche Rotwein öffnen.

1 Kommentar:

  1. Super geschrieben, ich sehe Aurora vor meinem geistigen Auge!

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