Artistische Einlage zweier Elefantenbrüder bei sehr guten Wetterbedingungen, um Aufmerksamkeit zu bekommen |
Du kennst sie, und wenn auch nur aus den täglich
aktualisierten Kulturinformationen deines email-servers: „Kind schiesst
Schneeball auf Soldaten“ - „Chinesischer
Politiker rastet auf Flughafen aus“ - „Belgischer Torwart
verprügelt Schwiegermutter an der Grenze zum Strafraum“ oder „Mann enteist Auto mit Hammer“. Doch noch interessanter als diese Sensationen sind zuweilen die Meldungen, die Du während Deiner ganz normalen Feld-Wald-Wiesen-Tätigkeit erhältst; jedenfalls kannst du damit rechnen, wenn es sich um eines jener aufsehenerregenden Exemplare handelt, die mir ein Allgemeinarzt gelegentlich schickt, nachdem ich ihm einmal leichtsinnig anvertraut hatte, dass ich ein Herz für Normvarianten hätte. Aurora war so ein Fall. Natürlich hiess sie nicht wirklich so, aber der Name hätte ihr mit Sicherheit gefallen. Auroras Schicksal ist einerseits rasch erzählt – sie bezeichnete sich als Ex-Arzt-Gattin, und damit war, unter Anspielung auf erbitterte Scheidungskämpfe, im Grunde schon alles gesagt - aber andererseits hatte Aurora beinahe täglich neue spannende Erlebnisse, wenn nicht gar Abenteuer zu bewältigen, die unter dem – Verzeihung, aber Aurora würde die Wortwahl verstehen - Pöbel meiner restlichen Klientel ihres gleichen suchten. Ihr besonderes Wesen erschloss sich schon im ersten Moment der Begegnung, wenn sie hereinkam; sie legte nie ihre Mäntel oder Jacken im Warteraum ab, sondern entschälte sich unter Opferung einiger wertvoller Therapieminuten vor meinem andächtigen, gelegentlich etwas neidischen (asymmetrische Schnittführungen ! voluminöse Ballonröcke ! Schmuck, den du noch nie gesehen hast !) weiblichen Augenpaar erst im Therapieraum. Klar, wer möchte schon, dass da draussen unbeobachtet jemand was entwendet, draufniest oder seinen proletenhaften Eigenduft hineindiffundieren lässt! Apropos Duft, wenn Aurora da war, wussten das meine archaischen Hirnregionen, die für das Riechsystem zuständig sind, noch Stunden später. Ich danke an dieser Stelle dem Douglas - Konzern und wäre einer einmaligen großzügigen Spende oder auch regelmäßigen Sponsorings im Dienste einer wenigstens symbolischen Opferent-schädigung nicht abgeneigt. Wahrscheinlich hiess ihr durchaus mutiges, dafür unvergesslich bleibendes Parfum Poison of woman, la vengeance oder snake of desire.
verprügelt Schwiegermutter an der Grenze zum Strafraum“ oder „Mann enteist Auto mit Hammer“. Doch noch interessanter als diese Sensationen sind zuweilen die Meldungen, die Du während Deiner ganz normalen Feld-Wald-Wiesen-Tätigkeit erhältst; jedenfalls kannst du damit rechnen, wenn es sich um eines jener aufsehenerregenden Exemplare handelt, die mir ein Allgemeinarzt gelegentlich schickt, nachdem ich ihm einmal leichtsinnig anvertraut hatte, dass ich ein Herz für Normvarianten hätte. Aurora war so ein Fall. Natürlich hiess sie nicht wirklich so, aber der Name hätte ihr mit Sicherheit gefallen. Auroras Schicksal ist einerseits rasch erzählt – sie bezeichnete sich als Ex-Arzt-Gattin, und damit war, unter Anspielung auf erbitterte Scheidungskämpfe, im Grunde schon alles gesagt - aber andererseits hatte Aurora beinahe täglich neue spannende Erlebnisse, wenn nicht gar Abenteuer zu bewältigen, die unter dem – Verzeihung, aber Aurora würde die Wortwahl verstehen - Pöbel meiner restlichen Klientel ihres gleichen suchten. Ihr besonderes Wesen erschloss sich schon im ersten Moment der Begegnung, wenn sie hereinkam; sie legte nie ihre Mäntel oder Jacken im Warteraum ab, sondern entschälte sich unter Opferung einiger wertvoller Therapieminuten vor meinem andächtigen, gelegentlich etwas neidischen (asymmetrische Schnittführungen ! voluminöse Ballonröcke ! Schmuck, den du noch nie gesehen hast !) weiblichen Augenpaar erst im Therapieraum. Klar, wer möchte schon, dass da draussen unbeobachtet jemand was entwendet, draufniest oder seinen proletenhaften Eigenduft hineindiffundieren lässt! Apropos Duft, wenn Aurora da war, wussten das meine archaischen Hirnregionen, die für das Riechsystem zuständig sind, noch Stunden später. Ich danke an dieser Stelle dem Douglas - Konzern und wäre einer einmaligen großzügigen Spende oder auch regelmäßigen Sponsorings im Dienste einer wenigstens symbolischen Opferent-schädigung nicht abgeneigt. Wahrscheinlich hiess ihr durchaus mutiges, dafür unvergesslich bleibendes Parfum Poison of woman, la vengeance oder snake of desire.
Aurora kam, weil sie von „entsetzlichen,
fürchterlichen, stundenlangen, tiefsten“ Weinkrämpfen geschüttelt wurde und
ihre Umgebung sanft, aber nachdrücklich auf den Gang zum Psychotherapeuten
drängte. In Insiderkreisen nennt man das Abschiebung. Die Trennung von ihrem
Ehemann fusste auf einer Affäre der übelsten Sorte – ich kann nichts dafür, an
dieser Stelle erinnert ihre Geschichte an die Rosamunde Pilcher-Erzählungen – nämlich
mit ihrer besten Freundin, die in der Praxis des Gatten eine langjährige Arzthelferin
gewesen und unserer arg gebeutelten Aurora mit den Jahren zur scheinbaren Freundin
geworden war. Diese traumatisierende Angelegenheit war schon Jahre her, so dass
mein Berufshirn sich selbst und dann Aurora fragte, warum sie erst jetzt einen
Therapeuten brauche. Da hatte ich mich fälschlicherweise noch in der begehrten
Erstposition gewähnt, etwas prosaisch und – pardon ! - nicht ganz stubenrein
werden solche Patienten in meinen Kreisen oft Frischware genannt. Aurora hatte mich tatsächlich so fühlen
lassen, als sei ich, nach Jahren des seelischen Dahindürstens, ihre füllhorngleiche
Göttin, ihr richtungweisender Strohhalm und ihr biographisches Superhighlight –
die spektakuläre Retterin, der sie ewig zutiefst verbunden sein und eines Tages
eine entsprechende Danksagungsanzeige in der Süddeutschen Zeitung widmen würde.
Aber diesen Patienten ist leider die Eigenart gemein, dass sie dir nur das
Gefühl deiner Einzigartigkeit geben und nicht die tatsächliche Ehre; sie hatte
damals, als die Trennung gerade lief und ihr Gatte in einer entfernten Metropole
eine piekfeine Privatpraxis eröffnete mit der Freundin als „Managerin“, auch
schon eine Psychotherapie gemacht, allerdings privat bezahlt, weil ihr die
kassenzugelassenen Therapeuten bei uns in der Region doch zu einfach gestrickt
und durch ihren speziellen Exarztgattinenfall potentiell überfordert erschienen
waren. In dieser Vorbehandlung bei einer Therapeutin, die ihr ein
bemerkenswertes Honorar abknöpfte, welches – Rache ist süß und beginnt oft im
Geldbeutel – damals noch ihr Mann hatte bezahlen müssen, hatte Aurora viel
verbales Rüstzeug erhalten, von dem sie offensichtlich noch immer zehrte und
das sie möglicherweise vor der sonst unvermeidbaren dramatischen Selbsttötung
mittels dreier Haarföns im Badewasser oder einer schleichenden Veuve-Cliquot-Sucht
bewahrt hatte. Sie ernährte sich von Formeln wie: “Ich habe meine Mitte
verloren, ich brauche einen neuen Zugang zu mir“ und „Ich möchte nie mehr ein
Opfer sein“. Auch den folgenden Satz als angeblich wortgetreues Zitat der
Vortherapeutin gab sie, mir großzügig die Prinzipien ihres Psycholebens darlegend,
von sich: „Ich werde ab jetzt selbst der Täter sein, und das steht mir zu“. Ich
glaube, den hat Aurora zu den Zitaten aus der Vortherapie hinzugedichtet, aber
es erschien mir nach wenigen Sitzungen sinnlos, sie von diesem autosuggestiven
Höhenflug, den sie morgens in ihren wehrlosen vermutlich überdimensionierten Bade-zimmerspiegel
zu hauchen pflegte, noch einmal abbringen zu wollen. Überhaupt war Auroras
Anliegen nicht, dass ich ihr etwas sage, sondern bewundernd zuhöre und
gelegentlich nicke. Nachdem ich das verstanden hatte, wurden die Sitzungen
weniger aufreibend und ich konnte mich darauf konzentrieren, ihr Parfum
olfaktorisch zu bewältigen, ohne einen Migräneanfall zu entwickeln. Das nennt
man therapeutische Selbstfürsorge und ist durchaus erlaubt. Die Therapie, für die Aurora am Schluß
„zutiefst dankbar“ war, war diesmal veranlasst durch den sich ankündigenden
Schlusspunkt langjähriger Scheidungs-verhandlungen, die beiderseitig bis auf´s
vergiftete Blut geführt wurden. Zumindest auf Auroras Seite waren bereits
mehrere weibliche Fachanwältinnen für Familienrecht verschlissen worden, die
sich letztlich als „enttäuschende Versagerinnen, klägliche Vertreterinnen ihrer
Profession und unglaubliche Dilettantinnen“ erwiesen hatten. Wir beide mussten
nun achterbahngleiche Berg- und Talfahrten bewältigen; und man wusste nie, in
welche Richtung es beim nächsten Mal gerade ging. Bei den Bergfahrten wurde ich Zeugin
hochamüsanter Alltagsbegegnungen, aus denen Aurora ein Fest, um nicht zu sagen,
den Stoff für Opern bezog; sie konnte während des Einkaufs eines Röllchens
Nähseide durchaus Bekannte für´s Leben erwerben und legte einen klassischen
Zufallsflirt mit ihrem Innen-architekten hin (1000 Mal berührt und 1000 Mal nix
passiert), dessen von mir ersehnte Fortsetzungsberichte ich spannender fand als
den aktuellen „Tatort“-Krimi. Bei den Talfahrten berichtete sie weinend, wie
ihr dieses üble Ärzteschwein vor elf Jahren zugesetzt habe und dass er in
Komplizenschaft mit einem genauso üblen männlichen Juristenschwein noch immer
versuche, sie finanziell über den Tisch zu ziehen. Es war eine Demütigung, eine „tiefgehende
Demontage ihrer Persönlichkeit“, dass sie sich, kinderlos geblieben, ihrer
einst strahlenden Zukunft beraubt, vermutlich ein kleineres Haus suchen musste.
Auroras Traum war es immer gewesen, Operndiva zu werden, und ihrer glasklaren
Selbsteinschätzung zufolge hätte sie zweifellos zu Ruhm gelangen können, hätte
sie nicht ihre inbrünstigen Jungmädchenphantasien der zerborstenen Ehe mit dem
Ärzteschwein geopfert. Da sie gerne Arien trällerte (sagen wir, unter uns:
übte), erschien das Wohnen in einer Etagenwohnung undenkbar und
nachbarschaftsunverträglich, zumal sie nach ihrem eigenen Bekunden, durch mich nachdenklich
machende Beispiele aus dem Alltag untermauert, von Spießern umgeben war. Irgendetwas
zu besprechen, was möglicherweise in
ihrer eigenen Verantwortung oder eigenem Verschulden lag, kostete Mühen ohne
Ende und ich hätte mir (wenn mich mal einer gefragt hätte!) dafür gerechterweise
das Honorar meiner Vorgängerin zugedacht.
Nun wirst du mich sicherlich bedauern, aber
dieses Mitleid stünde mir gar nicht zu. Trotz der Anstrengungen, die
gelegentlich auch einmal mit einer Kopfwäsche enden konnten (Aurora war die
Friseuse, ich der Kopf), freute ich mich auf die Sitzungen mit ihr, wenn mich auch
ein mich selbst erstaunender Stress am Morgen ihrer Therapietage befiel, was ich
heute anziehen sollte, um nicht völlig neben ihr unterzugehen. Die Welt wäre
ärmer ohne Frauen wie Aurora, die weder beigefarbene Popelinjacken tragen noch
über Parkplatzprobleme oder Blasenschwäche berichten, obgleich sie letzteres
möglicherweise kennen. Selbst wenn sie jammerte wie zehn orthodoxe Juden an der
Klagemauer, belebte sie mich und den Praxistag sofort. Sie hatte nicht immer
recht mit ihren Ausführungen, aber eines ist, befürchte ich, korrekt gewesen:
dass sie zu 95 % von Spießern umgeben war, und ich muss schonungslos einräumen,
ich gehörte auch dazu. Diese Patientengattung stirbt ja sowieso langsam aus.
Vor Jahrzehnten waren ihnen noch ganze Buchbände gewidmet, heute stehen sie
unter Artenschutz. Ein wenig mehr Normvarianten stünden unserer Gesellschaft
aus geklonten Pseudoindividuen ganz gut. Um dich auf diese Weise, ohne eine
wirklich peinliche oder gar schlechte Figur zu machen, von der Masse abzuheben,
brauchst du vermutlich ab deiner Geburt relativ geordnete häusliche Verhältnisse,
Väter, die gerne anderen Frauen nachschauen und Eltern, denen es nicht zu viel
Arbeit macht, dir noch Regeln beizubringen. Zu solchen rarer werdenden Entwicklungsbedingungen
müssen sich echte Kerle in deinem Kindheitsumfeld gesellen, keine Softies mit
Reizdarmsyndrom, die sich mit 50 einen gebrauchten silberfarbenen C-Klasse-Mercedes
kaufen und einmal im Jahr ihre Versicherungspolicen durchchecken, währenddessen
sie sich, aus lauter Lust, dazu eine mittelteure Flasche Rotwein öffnen.
Super geschrieben, ich sehe Aurora vor meinem geistigen Auge!
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