f Psychogeplauder: Traumhäuser

Samstag, 14. Juni 2014

Traumhäuser



Jungehenschädling, Ostansicht


Katja kam wegen ihrer Schwiegermutter. Und sie war nicht die einzige Patientin, die bei mir vorsprach wegen der Schwiegermutter.
Bei Katja war es die Wut darüber, dass ihre Schwiegermutter zuviel Alkohol trank. Nennen wir die Schwiegermutter, um den Text nicht allzu sehr mit Wiederholungen zu befrachten und ihm angesichts aller Schwiegermütter dieser Welt dennoch ein wenig Resteleganz abzuringen, abgekürzt SM. Das liest sich wie Sado-Maso und ist natürlich überhaupt nicht beabsichtigt ! Katjas SM hatte einen einzigen Sohn und das ist zweifelsohne ein verschärftes Gefahrenmoment für die Entwicklung einer SM Neurose beim masoschistischen Teil dieses pikanten Beziehungsgeflechts, also bei der Schwiegertochter. Das Haus, in dem SM, die ihren Ehemann schon seit vielen Jahren gut unter die Erde gebracht hatte, residierte, war mal für diesen Sohn und seinen, aus Sicht von SM unvermeidlichen, Anhang gedacht. Katja, der unvermeidliche Anhang, war in ihrer eigenen Kindheit mit einer alkoholkranken Edelprostituierten-mutter gesegnet gewesen und der Geruch betrunken schnarchender Freier, meistens frühmorgens, kurz bevor sie selbst aufstehen musste, um sich das Pausenbrot zu schmieren, war ihr unvergesslich geblieben. Daher drehte sie schier durch vor Wut, wenn sie am üblichen Samstag nachmittag ihre einzige Tochter bei der SM im freistehenden Einzelhaus in bester Gegend zum Begroßmuttern abgeben sollte („mein Mann will es so“) und die Fahne aus Moselwein beim Öffnen der Haustüre bereits als Willkommensgruß wehte. Auch dem Töchterchen von Katja war die SM nicht gerade die liebste Omi der Welt, seit diese es doch fertig gebracht hatte, beim Flötenvorspiel ihrer Enkelin nicht nur in der zweiten Reihe zu sitzen, sondern auch noch beschwipst während des etwas langatmigen Adagios aus dieser zu fallen. 
Bei Annette dagegen war es nicht eine alkoholisch, sondern geographisch bedingte SM Neurose. Annette wohnte seit ihrer Heirat bei den Schwiegereltern „unterm Dach“ und man arbeitete finanziell, emotional, erotisch und architektonisch an der mittelfristigen Vision, dass hinter dem Haus ein zweites Haus gebaut würde, wenn der geplante Nachwuchs käme. Ich glaube, unser Landstrich ist von solchen Doppelbebauungsvisionen besonders gesegnet. Die Haus-hinter-dem-Haus-Variante ist offenbar so etwas wie ein Garant für ewige Dankbarkeit der Jungen gegenüber den Alten (man hat großzügig Geld zugeschossen und den Bauplatz quasi geschenkt), die in der Erwartung gipfelt, dass die Schwiegertochter bei Eintreten von Pflegebedarf der SM zur Stelle ist (weit hat sie´s ja dann nicht). Die geographisch bedingte SM Neurose hat auch eine B-Variante, das ist die beliebte Einliegerwohnung, in die das junge Paar, bestehend aus Natascha und Thorsten, beglückt zu reduzierten oder aus Edelmut gänzlich erlassenen Mietpreisen einzieht (letztere Großzügigkeit entpuppt sich allerdings beim zweiten Hinschauen als Farce, denn an „Fremde“ würde SM ohnehin nicht vermieten). Die C–Variante besteht im Wohnungswechsel innerhalb des Hauses, indem, wenn Enkel kommen, die im Garten tollen sollen, die Oma hoch unters Dach und die jüngere Generation im Gegenzug hinunterzieht. Das hat wie vieles im Leben Vor- und Nachteile. Einerseits muss die SM dann Treppen steigen, andererseits kann sie, ohne sich groß bewegen zu müssen, mit dem Stock, im Fernsehsessel sitzend, auf den Boden klopfen, und das ist das Kommando für die Schwiegertochter, dass sie mal hochkommen solle, da sich Kreislaufprobleme ankündigen oder noch zu gießende Zimmerpflanzen warten. 
Zentral bei der Erhebung der psychotherapeutischen Anamnese ist bei allen SM Neurosen die Frage, ob angesichts dieser Arrangements liebender Familienbande zwei Waschmaschinen existieren. Ist das nicht der Fall, haben wir zusätzlich die hygienebedingte SM Neurose (auch Schwiegermuttis Waschsalon genannt), bei der ein offizieller deal (du wäschst und bügelst, ich habe mehr Zeit für meinen Halbtagsjob) und ein inoffizieller Teil des deals (du kannst unsere Bettwäsche  kommentieren, wir sparen uns den Gang zur Kinderwunschspezialsprechstunde) sich die Waage halten. Was hat dies alles mit Traumhäusern zu tun, könnte man sich nun fragen, wo ist die Schnittmenge zwischen Immobilien und Schwiegermüttern verborgen ? Immobilie heißt ja vom Wortsinn her  „unbeweglich“, und die Problematik einer unumgehbaren, festgefahren und geographisch verwurzelt erscheinenden Schwiegermutter, die erst bedient, bis zum Tode gepflegt oder schlichtweg mitsamt ihren ewig zu trocken gebackenen Gugelhupfen ertragen werden muss, hat da ihre häufige Entsprechung. 

Therapeutisch gesehen ist die SM Neurose aller drei vorher beschriebenen Gattungen erst dann behandelbar, wenn sich Patientin und / oder ihr Ehemann bewegen lernen. Nicht nur eine gewisse, oftmals sogar ursprünglich heiratsbegünstigende Immobilienfixierung der jungen Gattinen ist ja hier im Spiele,  die man mühsam verstehen, interpretieren und danach aufbrechen muss; sondern auch die dazugehörigen klassischerweie jungenhaft und nett rüberkommenden Ehemänner haben dabei häufig ein bisschen Dreck an ihrem ödipalen Stecken, gehören sie doch fast immer zur Kategorie RWM (Raushalten – Wegducken – Mamas Liebling bleiben). Auf die Frage, was an der Gründung eines eigenen Hausstands hindere, ohne Abwarten der Erfüllung des  240 Quadratmeter-Traums, den SM ihr eines Tages bescheren werde, erhalte ich oft die Antwort, das sei finanziell so schwierig, weil man schliesslich wesentlich billiger wohne, als dies auf dem freien Markt der Fall wäre. Ich antworte dann, das sei ja dann teuer bezahlt. 

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