f Psychogeplauder: Die Sorgen des Coiffeurs

Dienstag, 8. Juli 2014

Die Sorgen des Coiffeurs


vor  der  Verwandlung


Letzte Woche war ich beim Friseur. Da die ganze Aktion ziemlich viel Zeit benötigt (waschen, schneiden, lufttrocknen und auch noch Ansatz tönen), ist es mir während der fast zwei Stunden dort meistens etwas langweilig, und deswegen gehe ich bevorzugt samstags, denn da ist mehr los
auf den anderen anthrazitfarbenen Kunstledersesseln. Also, ich sitze da, wie immer lüstern nach Promi-News aus dem Goldenen Blatt, und endlich passiert mal wieder was im richtigen Leben. Eine ziemlich attraktive dunkelblonde Frau kommt rein, und ich ahne gleich, könnte auch ein Promi sein. Ich lege hektisch das Heft weg. Goldenes Blatt war gestern. Meine Friseurin unterbricht kurz ihr Werk auf meinem Kopf, um der Frau zuzunicken, aber nicht dass du denkst, ich sei darüber etwas gekränkt gewesen; der Azubi rennt hin, um dem lebenden Designwunder die Einkaufstasche abzunehmen, und dann kommt, von hinten aus dem privaten Separee´, mit Wichtig-Wichtig-Miene der Chef rausgeschlurft, alle begrüßen sie höflichst, und ich höre, sie hat sogar einen Adelstitel! Wahrscheinlich verarmt, denke ich, aber nicht dass du jetzt denkst, ich sei neidisch, ich assoziiere bloß, ganz neutral wie ein Gegenübertragungsspezialbuddha. Nun bewährt sich mein strategisch gewählter Platz, der es mir ermöglicht, einerseits beim Geradeausgucken durchs große Fenster harmlos nach draussen zu sehen, und andererseits den Eingangsbereich, ohne den Kopf bewegen zu müssen, im Augenwinkel lückenlos zu scannen. Zusätzlich, jetzt der Clou, wenn ich völlig pokerfacemäßig in den Spiegel blicke, habe ich die beiden Sessel an der Wand hinter mir genau im Visier! Sie nimmt auf einem der beiden Platz und der Chef – wer sonst - beginnt sie zu bedienen. Sie sagt in diesem traumhaften hannoveranischen Hochdeutsch, sie sei „völlig ab“, ihr mangele es an „Ideen und drive“ und sie brauche mal was neues, sie wolle sich verändern. Obwohl ich den Chef leider nur von hinten sehe, weiß ich genau, dass dieses Entree der Traum aller Coiffeure ist und dass er jetzt glückselig lächelt und sich sagt, es sei doch richtig gewesen, diesen anstrengenden und unterbezahlten Beruf zu ergreifen. Vielleicht hinten kürzer, dann wirkt der Nacken länger, und seitlich ordentlich durchgestuft ?  Oh nein, sagt sie, alles sei ihr recht, aber bitte nicht so viel kürzen!  Dann würde ich Ihnen empfehlen, das Deckhaar lang zu lassen, aber ein klein wenig stufen müsste ich es drunter schon, sonst fehlt Volumen. Sie ist unsicher, da sie auf keinen Fall so einen Fransenlook wolle. Wir können natürlich, und seine Stimme wird etwas dünner, die Länge so lassen und uns auf die Konturen konzentrieren, mit kleinen Farbakzenten. Also sie sei nicht abgeneigt, aber sie wolle nicht ins Rötliche oder ins braunrötliche gehen und auf keinen Fall zu blond wirken. Dann wird es schwierig mit den Farbakzenten. Der Azubi feixt und tut so, als müsse er den Boden kehren. Ein bisschen Mut, Frau von Pappeschlitzekillewitz, sie sind doch noch keine alte Frau ! Der erste Satz, den sie unwidersprochen stehen lässt, und sie bestellt daraufhin einen Kaffee. Sie einigen sich am Ende, dass er das Haar wäscht, eine Feuchtigkeitspackung einknetet und dann alles einen bis anderthalb Zentimeter kürzen darf. Ihre Miene unter der Trockenhaube wirkt erleichtert und zugleich enttäuscht, während ich mich etwas widerwillig zum Gehen anschicke, doch leider konnte ich meine eigene Lufttrocknungsaktion nicht mehr länger ausdehnen, ohne dass es aufgefallen wäre.

Hoffentlich bist du kein Psychogeplauder-Leseneuling, denn du denkst jetzt vielleicht, aha, ein Stilberatungsblog im Psychofell! Ich wollte damit ja nur sagen: Diese Wasch-mich-aber-mach-mich-nicht-nass-Klienten kennen die Therapeuten auch. Wenigstens haben wir einen besseren Stundenlohn. Ich plädiere an dieser Stelle für eine duale Ausbildung, vormittags Coiffeurshandwerk, nachmittags Psychotherapeutenseminar, bei Numerus-Clausus über eins komma drei auch umgekehrt erlaubt. Die beiden Fachstudiengänge könnten sich gegenseitig befruchten und einen Großteil des Theoriepensums mit gemeinsamen Dozenten bestreiten. Das wäre wahres Zaubern: sich ganz anders fühlen, und als Preis dafür nur ein bisschen quatschen.


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