f Psychogeplauder: Cast Away

Donnerstag, 14. August 2014

Cast Away


total  unbekannter  Ort

In der Sommerzeit fühle ich mich alle Jahre wiederkehrend an den legendären Film erinnert, in dem Chuck alias Tom Hanks nach einem Flugzeugabsturz in der Südsee verschollen ist.
Ich denke dran, weil ich mir wünsche, ich könnte auch für ein paar Wochen verschollen sein. Unauffindbar, unerreichbar. So eine Art Cast Away im Zeitraffer, denn wirklich tauschen möchte ich mit Chucks mehrjährigem Martyrium natürlich nicht.

Früher, während meiner Ausbildung, gab es stundenlange Diskussionen darüber, wieviel Therapeutenferien die Patienten denn „aushalten“ könnten. Und es wurde eingeteilt: bei Frühgestörten nie mehr als zwei Wochen! Sonst verlören sie den inneren Faden, damit ist der Beziehungsfaden gemeint, und dann müssest du als wenngleich erholter Therapeut mühsam mit deiner Arbeit von vorne anfangen, was ja deinen Urlaub auch irgendwie konterkarieren würde. Auf jeden Fall, so hieß es, hättest du es nach deiner Rückkehr auszubaden, dass du in Urlaub gefahren seist und deinen Patienten somit demonstriert hättest, du habest a) ein Eigenleben und lebtest dieses b) auch noch rücksichtslos aus. Sie sagen die erste Stunde danach ab, oder sie kommen zwar, erzählen aber dauernd von abwesenden bösen Müttern, die früher monatelang in der Psychiatrie verschwunden oder wegen offener Tuberkulose außer Haus gewesen waren. Oder sie bestrafen dich mit schlimmen Symptomrückfällen, die dir ein Schuldgefühl vom Ausmaß eines Fußballfelds bereiten sollen, denn während du dich in einem bunten lebhaft frequentierten Strandcafé an einem doppelten Espresso macchiato mit Crema catalana ergötzt hast, waren sie in Todesnähe und Panikstimmung und sonst kein Mensch da. Es gab Fallseminare, da wurden komplette wochenlange Therapiesequenzen à gogo auf den Urlaub des Therapeuten bezogen und entweder auf die Verlassenheitsangst, die frühe oral-destruktive Wut oder aber auch auf die nachtragenden Affekte des Grolls zurückgeführt. Ich fühlte mich zwar als angehende Therapeutin ungeheuer wichtig und ging aus solchen Veranstaltungen mit der Gewissheit, der Menschheit meinen Stempel aufdrücken zu können, nachhause, aber mir wurde andererseits auch irgendwie etwas bange. Urlaub erschien mir wie ein faux-pas, der zwar irgendwie sein musste, aber eigentlich nicht sein durfte. Vielleicht so, wie wenn du bei einer wichtigen internationalen Abrüstungskonferenz dringend raus zur Toilette musst. Es passt nie. Und, um den Vergleich weiterzuspinnen, nach deiner eiligen Rückkehr stellst du fest, dass sie mittlerweile die Konstruktivität der Diskussion verlassen und stattdessen den bilateralen Bau einer neuen Atombombe beschlossen haben.

Also, so richtig unbefangen war ich beim Beginn meiner eigenen Praxistätigkeit folglich nie. Ich behalf mir damit, dass ich meine bevorstehenden Ferien unbedingt rechtzeitig ankündigte. So als ob allein der frühe Zeitpunkt der Mitteilung zu einer Art Gewöhnung führen könne, die dafür sorge, dass mein Urlaub schließlich, wenn er endlich angetreten würde, vom Patienten als etwas Natürliches empfunden würde wie Fallobst. Meine Patienten dankten es mir mit ironischen Kommentaren, denn da ich mir kein intelligentes System überlegt hatte (Strichliste), sagte ich es manchen drei Wochen lang hintereinander am Ende der Sitzung, worauf sie mich dann sanft hinwiesen, nicht ohne spöttischen Unterton, so als sei ich eine dieser zwar insgesamt noch ganz liebenswerten, aber schon leicht verkalkten Omas. Oder als sei ich völlig urlaubsgeil und nicht in der Lage, wenigstens einmal nicht dran zu denken. Ich trickste auch dadurch, dass ich bei den Datumsangaben jeweils die Wochenenden nicht mitzählte, sondern nur die jeweiligen Arbeitstage terminlich einbezog, so dass die angekündigten zwei Wochen zusammen zu schnurren schienen. Dennoch gab es Patienten, die daraufhin laut nachrechneten und dann mit Vorwurf oder wahlweise Triumph in der Stimme, meine Verschleierungsaktion unbarmherzig entlarvend, sagten: es könne ja sein, dass ich nur zwei Wochen ginge, aber das würde bedeuten, dass bis zur nächsten Sitzung drei Wochen Pause wären. Anfangs war ich entsetzt und rechnete ungläubig nach. Später merkte ich, dass sie Recht hatten, und nahm diese gravierende Schwellensituation vorsorglich schon in die Urlaubsankündigungsaktion mit auf. Immerhin begriff ich ziemlich schnell, dass nicht nur die frühgestörten Patienten so reagierten. Sondern alle. Entweder sie wollten das einfach nicht, oder sie fingen an, mich mit Fragen zu traktieren; ob man mal fragen dürfe, wohin. Ob Hotel oder Ferienwohnung. Oder, ganz perfide, mit wissendem kaufmännischem Blick nachsetzend: Ah, Sie nutzen die Nachsaison! Chuck fiel mir dann ein, der hätte – wenn ihn überhaupt einer angerufen hätte – in den Hörer gebrüllt, ja ich bin weg, und zwar verschollen, und wo ich bin, weiß ich selber nicht! Das Schlimmste aber ist, dass die Patienten ein unglaublich präzises Gedächtnis für deine Urlaube haben; sie fragen dich tatsächlich im nächsten Sommer, ob du wieder da und dorthin führest. Spätestens dann entwickelst du paranoide Gedanken. Was, wenn sie dir nachreisen? Wenn sie seit Jahren im gleichen Ort Urlaub machen? Dich dabei beobachten, wie du mit total blassen Beinen an einem Pool liegst und zuviel Sangria trinkst? Ich ertappte mich dabei, einen Standardurlaubsort anzugeben, konnte das aber nicht komplett durchziehen, da ich manchmal vergaß, den Standardurlaubsort anstatt des echten Ortes anzugeben, oder nicht mehr erinnerte, wem ich welchen Ort im Vorjahr genannt hatte (siehe Strichliste). Aus lauter Wut verlängerte ich im Lauf der Jahre auf drei Wochen. Also, bisher hat es zwar noch jeder ausgehalten, aber die liebevoll-detaillierten minutiösen Berechnungen fielen natürlich entsprechend aus: das seien ja dann wohl von der letzten Vorurlaubs-Sitzung bis zur ersten Nachurlaubs-Sitzung vier Wochen. Genau. Manche fragen dann, kennen sie zufällig das Hotel X oder den Bergsee Y. Nein, zufällig nicht. Ich will nichts kennen, ich will nie mehr ein Hotel buchen, ich will nur noch verschwinden und ich will nicht, dass sich irgendjemand vorstellt, wo ich wann bin. Ich glaube, Urlaub ist für den Therapeuten die letzte Bastion vor der totalen Vereinnahmung. Allein die Vorstellung, die Patienten reisten „in Gedanken“ mit, löste in mir das Gefühl aus, es sei dann kein Urlaub. Dabei wollten die meisten vermutlich nur ein bisschen mitträumen, zumal sich viele von ihnen gar keinen Urlaub leisten konnten. Aber was, wenn doch nicht? Wenn dies nur ein einfach gestrickter, banaler und naiver Gedanke war, dessen allzu durchsichtiger Inhalt mir in der nächsten Fallbesprechungskonferenz vom Leiter persönlich um die fachlich noch grünen Ohren geschleudert werden würde ?

In Cast Away ist es ja durchaus nicht so, dass Chuck die Einsamkeit genießt. Er bastelt sich nach einiger Zeit die Puppe Wilson, also ist es wohl okay, wenn man als Therapeut dann doch zur Sicherheit gleich jemanden mitnimmt. Kann ja jemand sein, der eher aus der Nichtpatientenriege kommt. Ein Partner oder so. Die ganze Bastelei wäre ja auch anstrengend, und so ganz einsam will man gar nicht sein, nur nicht in Gedanken gestalkt. Bei Chuck folgt ja, trotz allen ihn ins Rampenlicht des Heldentums schiebenden Medienrummels, eine Art Bestrafung, als er wieder auftaucht, denn seine Ex ist mittlerweile mit dem Zahnarzt zusammen. Auch das gibt es: Patient A hat sich mal vertretungsweise an Therapeuten Z gewandt und das sei ein sehr interessantes Gespräch gewesen. Mal andere Gedanken und Tipps.
Ein bayerischer Transsexueller brachte mich neulich auf eine zuckersüße Idee: er stand am Ende einer Sitzung auf und sagte beim abschließenden Händedruck: "Verraten sie mir ihr Parfüm?" Er sagte es so charmant und mit rollendem wogendem „R“, dass ich plötzlich mir auch ganz viel Charme zutraute und erwiderte: "Ich bedaure, das ist ein Geheimnis!" Die Sache war zwischen uns mit beiderseitigem Lächeln eingeebnet worden. Die Geheimnis-Intervention habe ich mir jetzt fest vorgenommen, wenn der nächste investigative Patientenjournalist aktiv wird. Und außerdem gehe ich ab sofort im Sommer vier Wochen weg - aus Altersgründen. Lieber Leser, das war eine verdeckte message. Und ich sag´ dir jetzt nicht, wo´s hingeht. Aber, uuuh, aufgepasst. In jedem Straßencafé der Weltkugel könnte ich sorg- und ärmellos sitzen. Eine nur scheinbar selbstverlorene Frau mit blassen Beinen und einer riesigen sehr dunklen Sonnenbrille. Nachdem du mich endlich entdeckt hast (wohingegen ich dich schon seit geraumer Zeit beobachte und psychologisch analysiere), nehme ich das mondäne Sichthilfegerät ab, fletsche meine weiß blinkenden Zähne und sage triumphierend: "Hallo! Ich hab´ auf dich gewartet!"








2 Kommentare:

  1. Super, wie Sie das schreiben! Man kann das so nachvollziehen - als Therapeut wie auch als Patient!

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  2. Danke für den netten Kommentar! Vor allem für die beiden Perspektiven. Und gutes Überstehen der nächsten Therapiepause, sie wird bestimmt kommen ....Margarethe

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