f Psychogeplauder: Selbsthilfegruppe

Freitag, 1. August 2014

Selbsthilfegruppe



... and  stole  a  kiss  in  ev´ry  street  café


Eigentlich ist das gar kein Post, was ich hier zu schreiben beginne. Eher ein Tagebucheintrag. Es war kein besonderer Tag, eher einer der üblichen anstrengenden Sorte, den du gerne vergisst,
um ihn mit schöneren Tagen zu überschreiben, und von dem du, schon im beginnenden Zurückblicken, nicht sicher bist, ob er genug Sinn barg. Ich war auf dem Nachhauseweg, es muss Ende Juni gewesen sein, es war noch sehr hell und seltsam ruhig in der Stadt. Ich ging in Gedanken die heutigen Therapiesitzungen nochmal durch und war, wie meistens, weder mit mir noch mit der Arbeit zufrieden. Weil ich keine Lust hatte, den üblichen Weg zu gehen, drehte mein Unterbewusstsein mittendrin nach rechts ab und ich fand mich in einer Seitenstrasse an der Rückseite des kleinen Theaters wieder. Da hörte ich sie. Erst ganz leise, dann fragte ich mich, ob jemand sein Radio  zu laut eingestellt hatte, dann wurde die Stimme lauter und ich erkannte den besonderen Augenblick. Sie sang, ein glockenheller Sopran, offenbar durch´s geöffnete Fenster eines weiter oben gelegenen Probenraums. Unten saßen andächtig ein paar Frauen. Alle um die 60 oder älter, einfach gekleidet, einträchtig, ohne sich zu bewegen. Sie saßen unbequem, die Plastiktüte mit den täglichen Einkäufen neben sich abgestellt, teilweise auf dreckigen Mauervorsprüngen, eine angelehnt an einen geparkten Lieferwagen. Sie sprachen nicht, sondern bildeten eine stumme Skulptur. Sechs Frauen, die sich nicht zufällig, sondern absichtlich getroffen hatten, aber ihre Versammlung diente nicht einem Austausch, sondern die zusammengewürfelte, sich vermutlich fremd bleibende Gruppe war offensichtlich gekommen, um zu lauschen. Ein heiliger Moment. Ich blieb stehen und lauschte auch. Wie schön. Das war heilsamer als die Sitzungen, die ich heute erlebt hatte, und ich bedauerte, dass die Melodie nicht flugs um die Welt ging. Wir denken viel zu oft, Therapie hätte mit Therapeuten zu tun.

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