Hier ein weiterer Beitrag aus der Reihe Margarethe verbessert die Welt. Diesmal: Gesellschaftskritik, erläutert am Beispielen, die niemandem fremd sind.
Die Angst vor dem Älterwerden treibt viele Blüten; doch nicht alle sind schön anzuschauen. Du weißt vermutlich, dass ich zuweilen ein kleines bisschen übertreibe, aber für heute verspreche ich, dass ich bei den schieren Realitäten bleibe.
In einem erfolgreichen Bekleidungsgeschäft in Bestlage, das vorwiegend 40- bis 60-jährige Frauen frequentieren und das von ebenso bejahrten (nein, hier steht nicht: behaarten – steh´ endlich zu deiner Lesebrille !) Verkäuferinnen geführt wird, kannst du im Schaufenster Pullis mit applizierten großen Katzenköpfen bewundern, überbreite pinkfarbene Gürtel mit Strass und Nieten sowie Sneakers, deren Schnürsenkel hip nach innen gebunden sind; in den Auslagen findet man auch große boy-friend-T-Shirts mit der Aufschrift: I wanna have fun ! und Wanna go with me ? und Jeans mit extra reingeschnittenen Löchern für 200 Euro, die, wären sie nicht so teuer, einem 16jährige unter Aufbietung ihrer Taschengeldreste aus den Händen reißen würden.
Felicitas, eine ausgesprochen fleißige und strebsame Studentin Anfang 30, die auf dem zweiten Bildungsweg ihr Abitur nachgeholt hatte und schon eine abgeschlossene Ausbildung und ihr erstes Studium im Rucksack (den sie übrigens zu jeder Sitzung mitschleppte, als sei sie nichtseßhaft), hatte kleine Stofftierchen an selbigem festgezurrt, die immer hin- und herbaumelten, wenn sie lief, so dass ein leichtes Reibegeräusch entstand und manchmal auch ein Klappern, weil die Eichhörnchen-, Koalabär- und Teddy-Kulleraugen aus Hartplastik auf den Metallverschlüssen des Rucksacks schabten. Das wirkte dann akustisch so, als komme der Schrotthändler, und optisch verbreitete Felicitas („nennen sie mich doch bitte Feli - und könnten sie nicht du sagen ?“) die Aura eines Schulkindes, das die wichtigsten Preziosen seines Kinderzimmers mit sich rumschleppt aus Angst, der kleine Bruder könnte was klauen, während sie im Rechenunterricht sitzt. Felicitas überlegte trotz zunehmender Finanzprobleme gerade ein weiteres Studium, da sie sich „noch nicht so festlegen wollte“.
Jeden Morgen gehe ich auf dem Weg zur Arbeit an einer Apotheke vorbei. Im Frühjahr hatten sie dort wochenlang in der Auslage Pollenplakate mit Darbietung geeigneter antiallergischer Produkte. PR-technisch geht die Heuschnupfenhochphase offenbar direkt über in die Badesaison. Jedenfalls ist das Schaufenster dann umdekoriert worden und wo vorher hässliche hundertmillionenfach vergrößerte eklige grüngraue Pollen zu betrachten waren, konnte man im Anschluss einen ziemlich hinreißenden Frauenpopo begutachten in einem türkisfarbenen Slip (die Frau dazu ist leider ab Bauch aufwärts und ab Knie abwärts, offenbar aus Schweigepflichtsgründen, abgeschnitten). Etwa ein Drittel des Popos sind von einer Art Riesenlupe überlagert und hinter deren gnadenlosem Vergrößerungsglas siehst du eine Mondkraterlandschaft. Dazu gibt es auf einer Kunstpalme drapiert einen Schriftzug zu sehen, eingerahmt von einem stilisierten Cocktail mit Strohhalm: Älter werden Sie später. Dieser Prognose vermag nun wirklich kein klar denkender Geist zu widersprechen.
Karin, eine vor kurzem vom Ehemann verlassene warmherzige und grundsympathische 51jährige Geschichtslehrerin mit einem Tattoo am linken Knöchel, die immer so angezogen kam, als sei sie gerade aus einer Aerobicsession geflohen, liess sich zu Beginn einer Therapiesitzung auf den Stuhl fallen und begann zu weinen; dann erzählte sie mir, dass sie sich so ärgere, weil sie letzte Woche 650 Euro für den 21. Geburtstag ihrer Tochter ausgegeben habe und alles schief gegangen sei. Davon allein zweimal 250 Euro Wagenmiete für zwei Stretchlimousinen à acht Sitzplätzen, als Überraschung, nur der Freund der Tochter war eingeweiht gewesen. Damit waren sie, mit allen besten Freundinnen der Tochter nebst deren neuem Freund, aufgestylt zu einer Diskothek zum Feiern gefahren. Sie habe sich so darauf gefreut, obgleich es Auseinandersetzungen im Vorfeld gegeben habe über allzu freizügige Bustiers und aus dem Ruder zu laufen drohendes gemeinsames alkoholisches Vorglühen! Und am Ende habe die heulende besoffene Tochter vor lauter Cola-Wodka auf der Rückfahrt die Stretchlimousine versaut. Die ganze Nacht sei beschissen gewesen und ihre Tochter den kompletten nächsten Tag lang nicht ansprechbar. Warum sie auf eine solche Idee gekommen sei, fragte ich sie, und warum sie soviel investiert habe. Sie beteuerte mit dem Lieblingssatz aller erschöpften Psychotherapiepatienten: „Ich weiss nicht.“ Aber ich fragte unverdrossen und gnadenlos immer weiter. Ob sie vielleicht sich einen eigenen Kindheitstraum habe erfüllen wollen, einmal im Leben mit einer Stretchlimo zu fahren, und jetzt der Geburtstag der Tochter endlich ein Anlass war. Oder ob sie in die Disko habe mitgehen wollen, weil sie gerade selbst auf Partnersuche sei; im Grunde gebe es ja, auch daran sollte man denken, durchaus 21 jährige, die gerne mit ihren Leuten alleine feierten und hierfür lieber unter sich blieben. Ob sie, auch dieser Gedanke sei ja nicht ganz absurd, soviel Geld ausgegeben habe, weil sie von der Tochter geliebt werden wolle. Oder ob sie eventuell mit dem Exmann vorsorglich konkurrieren wollte, für den Fall, dass er der Tochter zum Freudentag einen roten Ferrari schenken würde. Nein, sagte Karin zu all meinen fragenden Erklärungsangeboten, und ergänzte endlich: Ich wollte, dass meine Tochter mich jung findet.
Ein 33 jähriger angehender Psychotherapeut kann diese zugegebenermaßen etwas klagend geratene Liste (der Analytiker in dir sieht, das Thema betrifft mich offenkundig selbst!) locker weiterführen; seine langjährige Freundin, die ihm geholfen hatte, das Studium zu finanzieren, wollte er nicht heiraten mit dem Argument, dass seine Eltern ihre Ehe nicht scheidungsfrei durchgehalten hätten. Für einen Therapeuten finde ich diese Darlegung ja durchaus überzeugend und geradezu zwingend, doch nach mehrmonatigen Beratungen hatten sich beide immerhin wagemutig für das erste Kind entschieden und als seine Angebetete nach den anschließenden Versuchen endlich schwanger war, führte er Kneipensaufabende mit seinen früheren Studienkomillitonen ein, die er, zuhause angekommen, mit Fernsehnächten der Kultserie „Lindenstrasse“ fortführte. Nach der Geburt seines Sohnes verdoppelte er deren Häufigkeit. Er sagte zu ihr, ganz Psychologe, dass er sich als Vater so alt fühle und dass das „doch noch nicht alles gewesen sein“ könne. Also da bleibt zu hoffen, dass die Lindenstrasse und Biertrinken auch nicht alles waren. Ich verabschiede mich jetzt aus diesem post und geh´ noch ´ne Runde joggen, wer weiß, wofür´ s gut ist.
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