f Psychogeplauder: Bayerische Schmankerln

Donnerstag, 25. September 2014

Bayerische Schmankerln


untrügliche  Hinweise  auf´s  Oktoberfest




Ursprünglich hatte ich geplant, diesen Beitrag Bayerische Härten zu nennen, aber man will ja nicht gleich mit der Grausamkeit
der Conclusio ins arglos sich eben mal reinklickende Lesergemüt einfallen. Die Bayern sind mein persönlicher Platz zwei unter den ethnischen top-ten, nur noch übertroffen von den Sachsen. Im Gegensatz zu jenen verfügen die Bayern über das hochinteressante Phänomen synchron getakteter Vorder- und Rückseiten. Ein Sachse ist klar: vorne wie hinten, unten wie oben, da erlebst du keine Überraschungen, er ist die Ritter-Sport-Schokolade unter den Volksgruppen, quadratisch-praktisch-gut. Anders der vielschichtige Bayer: smart, bussibussigesellig, fast unheimlich gemütlich, und wenn du dann aber später mal hinschaust, wo die Leni, der Xaver und die Hintergruber´s Maria sich Gute Nacht sagen, sozusagen in den Herrgottswinkel der Bayernseele, da geht es ab wie in einem Hitchcock-Thriller, bloß mit anderer Musi (=Musik) unterlegt.
Die urigsten, tragischsten, dunkelsten Winkel habe ich bei diesen landschaftsoptisch gesegneten Wesen kennen- und fürchten gelernt. Über Generationen gesponnene Netze aus Verdammnis, harter Hand und erra Schand´, wias nia und nimma sich wiederholen derf (= einer Schande, wie sie sich niemals mehr wiederholen darf) schieben ihre dunklen Ausläufer bis ins Herz ihrer heutigen Jugend. Diese versucht, seelisch gebeutelt, vom Vater aus dem Haus getrieben, manchmal auch freiwillig vom elterlichen Hof geflohen, in anderen Landstrichen, der suspekten Fremde, wieder zu Kräften zu gelangen wie einst die tuberkulosekranke Sissi im lieblichen Tessin. Zur Fremde gehört dann nicht selten ein wegen imposanter Seelennöte aufgesuchter neuer Ersatz-Dorfarzt oder, wenn´s goa nimma (= gar nicht mehr) geht, ein Therapeut.

So war´s bei Katharina, die, wie so oft beim Urbayern zu beobachten, den Vornamen einer Heiligen trug und die, ebenfalls wie so oft, mit einem nur zum Scheine zärtlichen Kosenamen, nämlich Kati, bedacht war. Kati wirkte groß, kräftig und anpackend, ein Weib für vermeintlich alle Gelegenheiten, und hatte sich hier als Krankenschwesternschülerin auf ein 12 Quadratmeter messendes Wohnheimzimmer, den Anschluss an wenigstens in beruflichen Belangen Gleichgesinnte und einen herben biographischen Schnitt eingelassen. Out of Rosenheim suchte sie Abstand vom Voader (= Vater), der Muader (= Mutter) und vor allem vom Nähzimmer, in welchem sie groß geworden war und das deswegen so hieß, weil es gar nicht als Katis Kinderzimmer geplant gewesen war, sondern im Gefolge einer unerwünschten Schwangerschaft und misslungenen Abtreibung in ein solches umfunktioniert hatte werden müssen und die desillusionierten Eltern, sie hatten scho´ viare  (= sie fütterten schon vier Kinder durch) wenigstens terminologisch an die einstige stur verfolgte Lebensplanung erinnern sollte. Nähzimmer verfügen zwar über eine Türe, aber die ist verglast. Du hast als Nähzimmerbewohnerin infolgedessen nie wirklich dai Rua (=deine Ruhe), sondern erlebst optisch und akustisch mehr von deiner dich durchschleppenden Restfamilie, als dir im tiefsten deiner vom Herrn geprüften Seele lieb ist. Im Nähzimmer kannst du weder die Kelly Family so laut aufdrehen, wie du willst, noch kannst du ein Geheimnis draus machen, wielang´ du wieder die Funzel (= das Licht) hast brennen lassen auf´ d´ Nacht, anstatt zu schlafen, um morgens früh mit di Gockel (= wenn der Hahn kräht) frisch aufzustehen, um im Stall mitzuhelfen. Wenns´t scho do bist (= wenn du schon existierst) als Nähzimmerbewohner und Stromverschwender, sollst fei a bisserl dich nizli moacha, ostatt di naazuliage (= könntest du wenigstens hauswirtschaftstechnisch die unlängst verstorbene Großmutter ersetzen anstatt auf deinem kariert bezogenen Bett zu chillen). Der Vater hatte sie schief angesehen und das ganze unterm blutenden Holzchristus eingenommene Abendbrot lang trotz der guten Wurstsuppe nix gesagt, als Kati beichtete, dass sie auf die Realschule gehen wolle. Noch eine, die Reden schwingen statt schaffen will, sagte sein versteinerter Blick. Schon Katis sieben Jahre älterer Bruder, der Stammhalter, der statt Landwirtschaft Volkswirtschaft und wegen zunehmender Vaterprobleme schließlich Gastwirtschaft im Sinn gehabt hatte, war eine Enttäuschung gewesen, und jetzt dies. Das Madl (Katharina) blieb jedoch stur, ich ziehe meinen Hut beim Schreiben. Die beiden ältesten Geschwister waren auch Madln geworden, aber wänggs verheirad´ und koa Last mehr (= aber gut unter die Haube gebracht und finanziell kein durchlaufender Posten mehr für die Herkunftsfamilie). Kati machte also den nicht abgesegneten, aber zwecks Vermeidung eventueller vom Nachbarn hör- und weitererzählbarer Familienkräche durchgewunkenen Realschulabschluss, trödelte absichtlich beim spätmittäglichen Heimkommen vom Unterricht, um sich die eisige Stimmung zu ersparen, die die demonstrativ kalt gewordene Suppe oder die ihr seufzend zurückgelegte, bereits aufgrund Hefeerschöpfung zusammengeschnurrte Dampfnudel verbreiteten. Unsere Bauerncinderella schämte sich vor Dritten, wo´s ging, kam nicht mit in die Disko und erst recht nicht zur Erstberatung für die Schulabgeher, denn schlagen, das wollte sie sich nie, nie mehr lassen, weder von der Mutter (Aja, ist´s ihr wieder zu wohl, der Näh-Kati) noch vom Vater (Wer Taschengeld braucht, wird´s zu nix bringen) und der Ledergürtel, der außen neben der Türe vom Nähzimmer an einem Wandnagel im Flur hing, den wollte sie auch nicht mehr fühlen. 

Einmal noch fuhr sie nachhause nach der Flucht, nach sieben Monaten Funkstille hatte sie, nach einem handschriftlichen Vermittlungsversuch der Patentante, überlegt, für zwei Tage heimzufahren. Wir rangen gemeinsam um die Frage, ob sie´s wagen sollte oder nicht. Hin und Her ist´s gegangen, Her und Hin. Es kam ein durch die Mutter telefonisch unterbreitetes finanziellen Angebot des Vaters, i zoal der die Kartn (= ich bin bereit, dir die Fahrtkosten zu erstatten, wenn du den Supersparpreis buchst).  Und, wie schon GOETHE wusste, der Mensch vermischt gern denken und dichten, schließlich hatte sie den langen bedenkengepflasterten Weg ins Elternhaus gewagt, hoffend, dass sie alle dort ein einziges Mal anders wären, als sie´s 18 Lenze lang kannte. Ah, bist wieder do (= Zeit, dass du deine Starallüren ablegst und uns bei der Obstbaumernte hilfst). Kalten Quark mit Fallobst gab´s zu Mittag, als sie ankam, und abgeholt am Bahnhof hatte sie auch keiner. Die Schwestern ließen sich nicht sehen, und der Bruder, in einem der umliegenden väterlichen Häuser wohnend, lies nix ausrichten. Sie weinte hinterher bitterlich, als sie wieder bei mir saß, und ich muss sagen, herrschaftszeiten, kruzifixnochamol, das übersetz´ ich dir jetzt nicht, nur so viel: ich habe es aufgegeben, Familienzusammenführung zu betreiben, und ihr beigepflichtet: wer in´ s Nähzimmer verbannt wurde, hat lebenslange Heimfahrdispens.

Vermutlich hat es durch die Jahrhunderte hindurch die Beschaffenheit der Landschaft verhindert, dass die innerfamiliären grausamen Kriegstaktiken in einigen Eckchen Bayerns frühzeitig enttarnt werden konnten; von jeher haben die vielen Berge die Weitsicht des neugierigen Beobachters gebremst. Und heutzutage schauen´s nach dem fleißigen Tagwerk alle im i-pad live auf die Golanhöhen, während Lucrezia und Antonius jämmerlich weinen.


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