Larry und Harry sehen nach dem Rechten |
Selbstverständlich ohne dass es so geplant war ... ist mir eine zweideutige Überschrift für diesen post eingefallen – man kann das mit der Einsatzerziehung jetzt also uniformmäßig oder auch linguistisch
durchdeklinieren. Aber trotz der inhaltlichen Unschärfe habe ich beschlossen, den Titel so zu belassen, und gehe davon aus, du wirst das Bedeutungsproblem schon mit deinen eigenen Phantasien anreichern und schliesslich klären. So landet man irgendwo auf verschlungenem Wege zwischen einem Kriminalkommissar, der beim klassischen Versuch, sich mit Rotwein und Lebensgefährtin einen entspannten Abend zu machen, plötzlich wegen eines Mordes aus Habgier angerufen wird und knapp, aber zuverlässig in den Telefonhörer ruft: „Komme!“, und einer Strafarbeit aus der zweiten Grundschulklasse, in der der bemitleidenswerte Schüler 50 mal diesen einen Satz schreiben soll, den ihm der Lehrer zur Selbstbesinnung ausgesucht hat.
Es ist schon beeindruckend, wie Sätze Weltgeschichte machen. Jedem fallen natürlich andere Sätze ein, ich erinnere nur, zur Stimulierung deiner eigenen Assoziationen, an: Mein Bauch gehört mir oder Wir sind das Volk oder veni vidi vici … Das psychotherapeutische Problem an der Sache ist, dass die durchschlagende Wirkung von Sätzen auch auf der Individualebene gilt – und da leider nicht nur Gutes anrichtet. Einst im tiefen Mittelalter erfunden, um den Leuten in Ermangelung eines verlässlichen Rechtsrahmens wenigstens eine basale Ordnung beizubringen und von allzu übertriebenem Herumhuren und Abschlachten abzuhalten, bedienen sich solcher Sätze heutzutage besonders die Eltern beim Versuch, ihre Schäfchen in der rechten Spur zu halten. Sie leihen sich hierbei (manchmal ohne es zu wissen, weil sie sich offiziell als Atheisten, Buddhisten oder Reformpädagogen sehen) kirchlich fundierte geflügelte Worte aus und können, wenn sie es geschickt und eindrücklich genug darbieten, damit Neurosen züchten, deren Widerstandsfähigkeit durch Jahrzehnte des Erwachsenendaseins ungebrochen bleibt. Der Therapeut hat dann die zweifelhafte Ehre, die Blüten dieser verbalen Kletterpflanzen zu bewundern, und stößt auf Sätze wie: Nichts ist schwerer zu ertragen als eine Reihe von schönen Tagen. Kindern vergeht dabei die naive Lust daran, sich wohl zu fühlen, und mit 47 Jahren sitzen sie dann bei dir im Sprechzimmer und sagen, es gehe ihnen gerade gut, und das hielten sie für verdächtig. Überhaupt ist das Sich-Wohlfühlen offenbar ein besonders bekämpfenswerter Status, denn Vögel, die morgens singen, holt abends die Katz´. Eitelkeit und allzu offensichtliches Selbstbewusstsein fallen ebenfalls der Einsatzerziehung zum Opfer: Hochmut kommt vor dem Fall und Hoffarth muss Not leiden. Da gibt es 30 jährige Informatikerinnen, die dir gestehen, dass sie, wenn sie zu ihrer Mutter fahren, ihre ältesten Klamotten anziehen, und sich eine kleine Merkliste angelegt haben, um nicht mehr als zwei paar Schuhe innerhalb von zwei Jahren vorm mütterlichen Auge zu tragen. Ganz schlimm wird es, wenn sie das auch bei dir tun. Wer es sich zu leicht macht, indem er durch intelligente Vorausschau beim Säumen eines Rockes den Faden so lang lässt, dass er nicht zwischendurch neu vernähen und einfädeln muss, der beweist dadurch: Langes Fädchen - faules Mädchen. Und um die Faulheit weiter zu thematisieren: Ein nach schwerem Selbstmordversuch sich an mich wendender Patient mit IQ deutlich über dem Eiffelturm und herausragendem Studium berichtete mir von der väterlichen Losung: Früh auf und spät darnieder, iss´ rasch was und arbeit´ wieder ! Den Eltern sollte man bei all diesen Sätzen nicht widersprechen, denn ehre das Mutterherz, solange es lebt, denn wenn es gestorben ist, ist es zu spät. Überhaupt scheint Demut bei der Einsatzerziehung hoch im Kurs zu stehen, und die Ersten werden die Letzten sein. Ich hatte einmal eine Patientin, die von ihrem neuen Chef so mies behandelt wurde, dass sie ihm eigentlich hätte kalte Spaghetti ins Gesicht schütten sollen, stattdessen winselte sie um seine Anerkennung und brachte ihm auch noch kleine Geschenke mit; denn Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach, aber spricht nur ein Wort, so wird meine Seele gesund. Leider wird das, was du in kirchlichem Kontext hörst, so oft missbraucht und banalisiert. Bei der Einsatzerziehung haben wir es also durchaus mit einer Art verbalen Heiratsschwindels zu tun – sie gibt tiefe Liebe vor, den gutgemeinten elterlichen Rat, aber eigentlich geht es doch nur um´s Durchsetzen eigener Forderungen.
Interessanterweise hörst du solche Sätze nicht am Anfang von Therapien. Sie tauchen erst später auf, im Verlauf, wenn der Patient eine erste Ahnung davon bekommt, dass es sich um Sätze und nicht um Grundgesetze handelt, und dass er möglicherweise den einen, ihn prägenden Satz ein bisschen zu oft gehört hat, um sich noch ausreichend darüber seine eigenen kritischen Gedanken machen zu können. Oft hört sich die Stimme deines Patienten dann anders an, irgendwie kindlicher, und nicht selten verfällt er in seinen ursprünglichen, im Elternhaus gepflegten Dialekt, während er den Satz ausspricht, der ihn seit Jahrzehnten steuert wie eine Fernbedienung das Modellflugzeug. Wenn du an diesem Punkt bist, tut sich gottlob die bisher ungeahnte Möglichkeit auf, Gegensätze zu bilden. Als universelles sprachliches Antidot eignet sich nach meiner Erfahrung zum Beispiel ein Aphorismus von Francis Picabia: Der Kopf ist rund, damit unser Denken die Richtung ändern kann.
Ich hoffe, dass bei dir, lieber Leser, sich auch der eine oder andere Satz durch deine Hirngyri und den Zeittunnel deiner Existenz gerade seinen Weg ins Bewusstsein gebahnt hat. Denn es wäre doch sehr interessant, wenn wir ein paar solcher Sätze zusammentragen. Nur Mut, du kannst ja zur Not anonym bleiben, falls sich in dir Bedenken festsetzen, dass dein Satz darauf schließen lässt, dass du ein Zwangsneurotiker bist, der jeden Abend die Gabeln im Besteckkasten zählt oder bei der Zahl „13“ fünfmal sich bekreuzigen muss. Ich könnte die Kommentare sammeln und daraus eine schwarze Liste schlimmer Sätze entwerfen, die stelle ich dann ins Netz, zur Abschreckung. Und wer sich im Alltag beim Denken eines solchen Satzes ertappt, spendet fünf Euro an die katholische Kirche.
Ich glaub' dir kalbt der Ochs, aber dir kommt's auch noch aus einem anderen Dippchen (Töpfchen)!
AntwortenLöschenSeid schön lieb, passt schön auf, lasst keinen rein!
AntwortenLöschenJetzt werden Nägel mit Köpfen gemacht!
Was uns nicht umbringt, macht uns hart.
Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht.
Danke für Deinen Kommentar! Vier Sätze, die wirklich sitzen... da fällt mir bei der Gelegenheit ein: wahrscheinlich kommt das Wort "Satz" von "sitzen"? Bis bald mal wieder, ich freue mich auf Deinen nächsten Besuch bei Psychogeplauder.
LöschenSage etwas oder schweige, in jedem Fall verdienst du dreißig Stockschläge.
AntwortenLöschenEs ist noch Suppe da.
Lieber Gott, was habe ich nur getan, dass du mich mit solch einem Kind strafst.
Danke für Ihren Kommentar! Den Satz "Sage etwas oder schweige ..." kannte ich noch nicht. Besonders ausweglos, finde ich! Viele Grüße und gute Erholung von allen Einsatz-Erziehungs-Versuchen
AntwortenLöschenZu diesem (mehr als 3 Jahre altem) Thema gibt es bereits eine sehr gute (mehrsprachige) Webseite:
AntwortenLöschenhttps://gotobednow.com/
Übersetzt also "Geh jetzt in's Bett!"
Ich kann/darf dazu nichts schreiben, denn Alles, was ich dazu zu sagen hätte, würde umgehend zensiert (werden müssen). :-(
Liebe(r) Leser(in), danke für den Hinweis auf die Webseite „gotobed“. Habe sie mir gleich angesehen, ein reichhaltiger Fundus. Da war ich ja vor neun Jahren mit dem Thema schon früh dabei! Ich wünsche Dir noch Spaß auf me8nem Blog und freue mich, wenn Du mal wieder vorbeischaust. Liebe Grüße Margarethe
AntwortenLöschen