Optische Zumutung zur Vorweihnachtszeit |
Katharina hatte eine Magersucht entwickelt und eine längere stationäre Therapie absolviert, bevor sie mehr oder weniger widerwillig zu mir kam. Sie war eine
immer noch sehr dünne, kleine, dunkelblonde Frau am Anfang ihres Studiums, für welches sie sich wohlweislich ein ganz anderes Fach ausgewählt hatte als ihr als hochintelligent und erfolgreich geschilderter Juristenvater und als ihre Mutter, die halbtags als Apothekerin arbeitete. Katharina mochte ihren Körper nicht, sie empfand sich dick und fühlte sich „total aufgebläht“, wenn sie ein halbes Brötchen essen musste. In der Klinik hatte sie durch eimerweises Wassertrinken vor den Wiegeterminen sich geradeso durchmogeln können, ohne disziplinarisch wegen unzureichender Gewichtsabnahme entlassen zu werden. Im Laufe der Zeit liess sie mich teilhaben an ihrer Beziehung zu ihrer Mutter, die ihr in den letzten Jahren das Leben schwer gemacht hatte. Katharina entschloss sich nach einer Weile, zuhause auszuziehen - ganz zu meiner Freude, weil diese unsympathische, Katharinas Magersucht meiner Ansicht nach höchst ungünstig beeinflussende adipöse Mutter begann, mir meine therapeutische Arbeit ebenfalls schwer zu machen. Ihre Mutter war eine übergewichtige, wenig gepflegte Frau, deren Eigengeruch Katharina abstieß, und die immer nur tat, was der Vater, ein überall beliebter Hans-Dampf-in-allen-Gassen, sagte. Katharina beklagte sich, wie unangenehm ihr schon allein die körperliche Nähe der Mutter sei, deren Haut sich teigig und schwammig anfühle, dass sie froh sei, jetzt eine eigene Wohnung zu haben und, im Gegensatz zur zu hause weiter ausharrenden kleinen Schwester, der Depressivität und Freudlosigkeit der Mutter nicht mehr so ausgeliefert zu sein. Wir überlegten, was es für Katharinas altersgemäße Aufgabe bedeuten könnte, zur Frau werden zu sollen mit einem solch unerotischen Mutter - Vorbild im Nacken; ihre Mutter am Abendbrottisch zu beobachten war für Katharina eine Qual, weil diese das Essen runterschlang, nicht darauf achtete, wie unförmig sie das gierige Verspeisen von Katharinas Meinung nach viel zu dick belegten Käsebroten werden ließ, und weil sie mit ihren fettigen Fingern dann sogar den Mietvertrag der neuen töchterlichen Wohnung durchblätterte. Katharina interessierte sich neuerdings zaghaft für Make Up und für Klamotten, die nicht kartoffelsackartig ihre ihrer Ansicht nach „unförmige Figur“ versteckten, und das ließ mich frohlocken, da sie auf diese Weise begann, sich von ihrer unförmigen Mutter zu emanzipieren und, so war die Conclusio meines vernebelten Psychotherapeutenhirnes, die neurotischen Identifizie-rungen mit der wabbeligen teigigen Muttermasse zu lockern. Diese hatte „null Stil“, war „altbacken und behäbig“ und erinnerte an ein Nilpferd, sozial wenig gewandt, unfähig, mit anderen ins Gespräch zu kommen, ohne Freundinnen und schon jetzt, mit 50, ein seelisches Wrack, das noch nicht wusste, dass es, wie die eigene Tochter, beim Psychoklempner landen würde, nur sie, Katharina, wusste es schon !
Eines Freitags ging ich nach der letzten Sitzung, etwas eiligen Schrittes wegen des nahenden Geschäftsschlusses, noch in einer Apotheke vorbei. Ich betrat, etwas außer Atem, kurz vor halb sieben mit einem Rezept den Geschäftsraum und hörte im Hinterzimmer ein angeregtes heiteres Gläseranstossen. Offenbar wurde da was gefeiert. Ich machte mich bemerkbar und gleich kam eine sehr attraktive dunkelhaarige Frau an den Verkaufstresen, ihr weißer Kittel war, wohl wegen des nahenden Feierabends, schon aufgeknöpft und gab den Blick auf eine sehr gute Figur und ein elegantes Wickelkleid preis. Sie lächelte mich an und suchte für mich mein Medikament heraus. Mit rotlackierten gepflegten Fingernägeln reichte sie es mir herüber und sagte noch ein paar aufklärende Worte zur Einnahme. Sie war mir sehr sympathisch, am liebsten hätte ich da hinten ein bisschen mitgefeiert. Beim Verabschieden fiel mein Blick auf ihr Namensschild. Es war Katharinas Mutter.
Wie sich später rausstellte, war ich doppelt reingefallen. Katharinas Mutter war gar keine Ekelmasse, und sie erschien mir durchaus geeignet, einem jungen Mädchen Mut zu machen zur Frau zu werden. Da war mein Therapeutenhirn wohl einer Entwertung auf den Leim gegangen. Getreu der Regel: Ödipus hin – Ödipus her – Hauptsache man hat seinen Papi lieb habe ich dann wenigstens blitzschnell kombiniert, dass dieser Sensationsvater vielleicht von Katharina im Gegenzug idealisiert würde. Du wirst es nicht glauben, aber so war´s. Er entpuppte sich (diesmal ohne schicksalhafte Hilfe in Form eigener investigativer Kneipenrundgänge) als Alkoholiker, hatte Katharina als Jugendliche mehrfach angegrapscht und wenig später trennte sich die teigige Masse von ihm.
Alter Vater, kann Psychodynamik kompliziert sein !
In Zukunft lasse ich mir Photos von den wichtigsten Bezugspersonen zeigen. Quasi als Handybeweis, jedenfalls bei Magersüchtigen. Das spart Umwege durch falsche Hypothesen und es schont auch das ästhetische Restempfinden meines inneren Auges. Oder würdest du gerne mit so einer Masse, die deine Sehrinde verstopft, 80 Sitzungen verbringen ?
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