f Psychogeplauder: Mister Spock narrt die Erdlinge

Freitag, 2. Januar 2015

Mister Spock narrt die Erdlinge


Spock  sagt,  was  Sache  ist



Auf ihn traf ich in den Anfangsjahren meiner Praxis, und auf diese Feststellung lege ich Wert, denn ich hielt dieser außergewöhnlichen Begegnung stand
trotz mangelnder Erfahrung! Eigentlich war er mir schon durch seinen für einen als „chronisch depressiv“ angekündigten Mann doch etwas arg unverschämt leuchtenden, azurblauen Pullover aufgefallen. Aber selbstverständlich ließ ich mich durch den Pullover, auch nicht durch seine leicht abstehenden großen Ohren, weiter abbringen, meine anamnestische Arbeit zu machen, und so erfuhr ich im Erstgespräch (dem keine weiteren folgen sollten): er habe Depressionen. Immer, wenn er am Schreibtisch versuche zu arbeiten, kämen Selbstmordgedanken. Er lächelte leicht, ein Lächeln, das wie eingefrorene Garnelen wirkte und zu nichts passte von dem, was er sagte. Er sei nun schon in der zweiten psychosomatischen Klinik behandelt worden, nichts helfe. Daher wolle er, auf dringenden Rat des Psychiaters, es ambulant probieren, und der Psychiater habe ihm mich als Therapeutin besonders ans Herz gelegt, denn, so habe dieser gesagt, ich sei streng, aber sehr gut, und wenn es irgendwie ginge, solle er versuchen, bei mir wenigstens einen Termin für ein Erstgespräch zu bekommen. Das ganze Entrée hätte mich extrem skeptisch werden und tendenziell aus dem Fenster springen lassen sollen. 

Er war ein Mann Anfang 50, leicht beleibt, mit beinahe zurückhaltend zu nennendem grazilem Goldkettchen, welches manchmal über dem Pulloverausschnitt durchlugte. Der Außergewöhnliche war eigentlich Versicherungs-kaufmann gewesen, und nachdem er in diesem einkommensträchtigen Job alles, was nicht bei drei auf dem Baum war, versichert und finanziell abgegrast hatte, hatte er wegen drohenden burn-outs gekündigt, sich nach Malle verzogen, dort eine Finca gekauft und ein paar Monate lang gechillt; danach hatte er sich mit einer Spedition irgendwo in Norddeutschland selbstständig gemacht, der Laden brummte, er hatte ein Dutzend LKW´ s und ein viertel Dutzend blonder junger Sekretärinnen laufen, und, das kann passieren im Rausch des Erfolges, eines Tages mit der Halbtagsbuchhaltung geschlafen. Wo bleibt die Depression, magst du jetzt ausrufen, aber das ist zu früh, Geduld ist angebracht. Letztere hatte auch unserem leichtsinnigen Goldkettenträger gefehlt, denn da seine Gattin seit seiner burn-out-Krise öfters auf Malle die Finca schmückte, wäre es ein leichtes gewesen, für die erotischen Abstecher die Momente ihrer ahnungslosen Abwesenheit abzupassen, aber nein, es musste der Klassiker sein, eine Weihnachtsfeier, die aus dem Ruder lief. Natürlich bekam sie es brühwarm berichtet, von einer zweiten, noch nicht horizontal beglückten und daher eifersüchtigen Halbtagssekretärin, und das Unheil nahm seinen Lauf. Aus steuerlichen Gründen war die Finca ihr beim Kauf überschrieben worden, und nun, als sie Scheidung verlangte, musste er sich was einfallen lassen, denn Finca und Frau waren weg und er zunehmend genervt, da sie auf einen riesigen Batzen Geld pochte. Die Firma lief schlechter, wie du dir denken kannst, da er selbst beim puren Gedanken, seinen erwartbaren Monatsumsatz einzuschätzen, schon an die dollarförmig veränderten Pupillenumrisse seiner Frau denken musste und konzentrationsgeschädigt dahinvegetierte, doch eigentlich war der fallende Firmenumsatz ihm sogar ganz recht, so konnte er der Ex die üppigen Überweisungen nicht mehr zukommen lassen, und sein Rechtsanwalt meinte auch, es sei an der Zeit, sich in dringende psychotherapeutische Behandlung zu begeben.
Sein Symptom war also, dass er sofort Selbstmordgedanken bekam, wenn er sich an seinen Schreibtisch setzte. Er war seit Monaten krankgeschrieben. In der letzten Klinik waren sie ihm strikt und geballt verhaltenstherapeutisch zu Leibe gerückt, nachdem zuvor eine einfühlsame psycho-analytische Betrachtungsweise offenbar gescheitert, weil sofort nach Entlassung von einem schlimmen Symptomrückfall gefolgt gewesen war. Er hatte nur diese eine Beschwerde: die Selbstmordgedanken, und ich beschloss noch im Gespräch, mich davon nicht weiter lahm legen zu lassen. Ich sagte ihm, dass ich das ganz schrecklich fände, dass ihm noch niemand habe helfen können. Ja, genau, das fände er auch schrecklich. Ob er eine Idee hätte, wie ich ihm helfen könne. Nein, er zuckte mit den Achseln, ganz cool leibend, und ich sagte, tja, da müsse ich wohl die Waffen strecken. Ja, genau, meinte er, da müsse man wohl die Waffen strecken. Und lächelte. 
Der Mann hatte bis zu diesem Zeitpunkt schätzungsweise 15.000 Euro stationäre Behandlungskosten und zwei niedergelassene psychiatrische Kollegen verbraten. 

Ich beschloss nach dem Erstgespräch, zu Befriedung meiner artig dann doch noch aufkeimenden Schuldgefühle (Erstes Gebot für Psychotherapeuten: SAGE NIEMALS, DASS ES KEINE HOFFNUNG GIBT!), den überweisenden Seelenklempner mal anzurufen. Nachdem seine Arzthelferin mich mit ihm verbunden hatte, hörte ich erst gar nichts und dann summte eine Männerstimme eine Art von Musik, schließlich folgte ein Sprechgesang, in dem ich eine bekannte Filmmelodie aus den Siebzigern erkannte, und ich befürchtete das Schlimmste, nämlich dass der Kollege im Rahmen der Behandlung von Goldkettchen durchgedreht sei. Aber schließlich endete die unerwartete Darbietung doch noch, und der Psychiater berichtete mir, er habe sich vor einigen Monaten die Angewohnheit zugelegt, seinen Patienten Mister Spock zu nennen und jedes Mal dieses Star-Trek-Liedchen anzustimmen, wenn irgendetwas oder irgendjemand ihn an Spock erinnere, damit er diesen absurden Behandlungsfall besser aushalten könne. Spock beziehe Unsummen an Krankentagegeld, und seit er ihm vor zwei Wochen auf die Schliche gekommen sei, habe Spock noch mehr Selbstmordgedanken bekommen. Warum behandelst du ihn denn noch, Mensch, warum tust du dir das an? fragte ich halb ungläubig, halb kollegial besorgt. Was willste machen, antwortete er. Wir sind alle bloß Erdlinge, Spock dagegen ein Genie.



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