f Psychogeplauder: Kamelritt

Mittwoch, 18. Februar 2015

Kamelritt


gefahrenträchtiger  Untergrund



Jeder, der mit einem speziellen Handwerk seine täglichen Brötchen verdient, kennt diese unbequeme Situation, selbst wenn er in seinem Metier eigentlich schon ein alter Hase ist:
der Anwalt fühlt sich befangen, wenn sein Klient selber Jurist ist; der Anlageberater möchte nicht gerne Anlageberater beraten, und der Kosmetikerin beginnt das Herz etwas schneller zu klopfen, während sie bei einer Berufskollegin mit der Gesichtsmassage beginnen soll. Man fühlt sich in jeder Minute seines plötzlich gar nicht mehr routinierten Tuns beobachtet, kontrolliert, und – schlimmste aller Leistungsüberprüfungen – verglichen. Nur mit dem dich völlig machtlos darniederstreckenden Unterschied, dass du nicht einmal weißt, womit du dich vergleichen lassen musst – denn der andere ist ja während der ganzen Nummer nicht professionell aktiv, sondern schlicht als interessierter Kunde, ratsuchender Klient oder leidender Patient unterwegs, dessen Anliegen allerdings meistens, sehen wir von akuten Bauchfellrissen mit einsetzender Bewusstseinstrübung einmal ab, es dem hinterlistigen Vergleicher erlaubt, dir auf deine ohnehin bebenden Finger zu schauen.
Die unbeliebtesten Patienten in der Psychotherapie sind ja eigentlich die Lehrer, aber dieser erste Platz ist nur darin begründet, dass sich Psychotherapeuten gar nicht gerne bei ihrer eigenen Profession blicken lassen und es deswegen zu wenige gibt, um sich überhaupt in den Unbeliebtheitsstatus hinein zu katapultieren. Warum letzteres so ist, kannst du dir entweder selber ausdenken, oder aber der Theorie Glauben schenken, die besagt, dass aufgrund eines systematischen Attribuierungsfehlers die Kraft der spezifischen Wirkfaktoren regelmäßig von den Anwendern einer bestimmten Methode überschätzt wird – wechselst du also die Seite, dann bezweifelst du plötzlich, ob die dir bestens vertraute Maßnahme X bei dir selbst was bringen wird, auch wenn du einen Tag vorher noch heftig als Ausführender dafür geworben hast. Das Phänomen ist in besonders beeindruckender, weil auch vom Laien mühelos erkennbarer Weise bei Ärzten zu beobachten: die schleppen sich oft erst kurz vorm Exitus, selbst in dieser Situation nur auf Druck ihrer besorgten Angehörigen, zu einem Kollegen, um dort die Sache erst einmal herunter zu spielen und einen komprimierten differentialdiagnostischen Vortrag zu halten darüber, was es ihrer Meinung nach mit ihren Beschwerden nicht auf sich hat. Die Behandlung von Kollegen ist ja gerade deshalb auch so schwierig, weil man als Behandler nicht als Kamel dastehen will. Um aber andererseits auszuschließen, dass der Beschwerdeträger ein Kamel ist (zu welchem ihn meistens die Situation transformiert, da er mit den riesigen Scheuklappen der Verleugnung der eigenen Lage gestraft ist), beginnt man die eigene stotternde Satzbildung mit den verbrüdernden Worten „... sie wissen ja...“  oder „...als Kollege haben sie ja sicherlich schon ....“ oder man benimmt sich betont burschikos, als handele es sich bei der Begegnung eher um ein Stück aus dem Bauernstadel, bei dem nicht nur die Protagonisten, sondern auch die geübten Zuschauer schon minutenlang vorher wissen, wie´s weitergeht.

Herbert, ich nenne ihn in bewundernder Anlehnung an Karajan so, weil der selbst für einen Meisterdirigenten ziemlich arrogant gewesen sein soll, rief an und lehrte mich mit einem einzigen dahin geschleuderten Satz das Fürchten: „Bin übrigens Kollege“. Natürlich fürchtete er sich selbst, aber man kann sich in der gebotenen Sekundenschnelle gar nicht klar machen, dass ja er der hilfesuchende, beschämte, seiner selbst nicht mehr Herr werdende Part war, und nicht ich, die sich nach dem kurzen Telefonat schon reif für die Insel oder wenigstens für so eine Art vorbeugender Einzelsupervision befand. Terminvereinbarung schwierig, denn man hat da Patienten. In dem Punkt trafen wir uns etwa sieben Mal, bis wir eine freie Stunde fanden. Kein Rumgemache über das klagende Die-Wartezeit–ist-aber-noch-lang, das Sicherheit suchende Wie-war-nochmal-die-Adresse, das zeitgewinnende Welche-Art-von-Therapie-machen-sie-eigentlich, kein zwänglerischer Austausch über die Bezahlungsmodalitäten oder die weit verbreitete Parkplatzfrage und schon gar kein Hinweis auf den Namen des an mich weiterverweisenden Kollegen. Soviel Würde muss sein.

Als Herbert zum ersten Mal kommt, bin ich also schon auf dem Quivive, versuche, professionell die Tür zu öffnen (aufkeimende Selbstzweifel: gibt es eine unprofessionelle Art, Türen zu öffnen?). Bitte ihn, rein rhetorisch, zum Anwärmen (ihm oder mir zuliebe?), nochmal kurz im Wartezimmer Platz zu nehmen. Nach einer Minute unruhig geworden, hole ich ihn da ab, obwohl es eigentlich noch etwas zu früh ist, er hat zwischenzeitlich eine bekannte linksintellektuelle Tageszeitung aufgeklappt und scheint hinter den riesigen eng bedruckten Seiten bereits völlig versunken, so dass ich ihn noch ein zweites Mal drauf aufmerksam machen muss, dass ich´s bin und dass wir jetzt eigentlich loslegen könnten. Herbert kommt in den Therapieraum und sieht sich ausführlich um, als handele es sich um die Kühlhalle einer Fleischerei und bei ihm selbst um einen Makler für Gewerbeimmobilien. Er blickt noch auf ein Bild an der Wand, indem er sich ganz in Ruhe mit verschränkten Armen direkt davor stellt, sagt, „Witzig!“ , wir sind also noch immer bei der Immobilienbeilage, dann steuert er auf meinen Platz zu, der sich lediglich durch ein großes Klemmbrett mit DIN A4-Blättern, Terminkalender und Schreib-mäppchen vom Patientenplatz unterscheidet, naja, das kann ja mal passieren, dieser Platz wäre ihm heute bestimmt lieber. Mir auch. Die Orientierungsprobleme erreichen ihren Höhepunkt, als er, offenbar verzögert, schließlich im Sitzen bemerkt, dass er noch immer die Lesebrille vor den Augen hat, er nimmt sie ermattet ab und scheint mich mit diesem prüfenden Von-unten-nach-oben-Blick jetzt erstmals zu erkennen, aha, dieses Exemplar soll also meine Therapeutin sein! Irgendetwas scheint ihn von der weiteren Kontaktaufnahme aber noch abzuhalten, da drückt etwas... es ist sein Handy, was in der Hosentasche zwickt, er nimmt es raus und schaut nach, ob und wenn ja, wo er es ausschalten könnte. Es dauert eine Weile, offenbar ist er ein Mann, der selten mit ausgeschaltetem Handy lebt und diese Ausschaltetechnik ist ihm fremd. Dann erzählt er eine Weile, irgendwie zwischen Vermischtes und Feuilleton, ich traue mich nicht, dazwischenzufragen, einen Gang höher zu schalten könnte das frühzeitige Aus unserer schüchternen Beziehungsaufnahme bedeuten, aber gar nichts zu sagen halte ich auch für gefährlich, wer weiß, wohin mich seine Ausführungen, er verweilt mittlerweile bei der Fortbildungsintensität seiner Praxisschwerpunkte, noch führen und unterwegs schon vor der zehnten Runde abgehängt werden möchte ich auch nicht. Wir schwingen uns auf die Notfalltrias der narzisstischen Partnerschaft ein: intellektuelle Coolness, interessierte Kulturaffinität, abwartende Ambivalenz. So reiten wir eine Weile durch die gefühls- und beschwerdearme Steppe der Selbstdarstellung und ertragen gemeinsam die Ödnis dieser Welt. Am Ende haben wir beide das Gefühl, vorangekommen zu sein, denn keiner wurde zurückgelassen, die Grünen würden unsere Aktion loben. Ich frage ihn, wie es ihm in diesem ersten Gespräch gegangen sei. Für den Return braucht er eine gewisse Zeit, weil er sich nicht entscheiden kann, ob er die Antwort mit oder ohne Brille geben möchte. „Ganz gut – wieso?“. Ziemlich clever, eine Gegenfrage. Bei der Vereinbarung des nächsten Termins kommt ein gelassenes „Nein, darüber noch nachdenken brauche ich nicht, wir können gleich etwas ausmachen“ und wir drücken bei der Wahl des Datums gegenseitiges Bedauern aus, dass es uns früher leider nicht möglich ist; unter Hinterlassung eines Odeurs von besonderer Wortwahl und hoher Intelligenz verlässt er den Raum.

Neuerdings warnt das Auswärtige Amt vor den Kamelritten: die Tiere sind oft krank, fühlen sich aber gar nicht so, und ihr Corona-Virus wird beim wackeligen Ritt auf dem trabenden Schwielensohler oft unmerklich auf den Reiter übertragen. Hinterher hast du für wenige Minuten exotischen Erlebens den ungenießbaren Salat in Form eines Tritts statt eines Ritts, wirst das Virus nicht mehr los und das Kamel fletscht dauernd nur aufreizend mit den Zähnen. Die meisten sind gottlob einhöckrige Dromedare. Die Zweihöckrigen sind ganz schlimm, nicht zu Unrecht auch als Trampeltiere bezeichnet. Passen aber in der Regel aus geometrischen Gründen nicht in westeuropäische Therapiepraxen wegen der zu klein bemessenen normierten Eingänge. Mit den Einhöckrigen kann man es dagegen versuchen, wichtig ist die Balance: die Bewegungen alle mitmachen, aber sich im entscheidenden Moment als Dominator zeigen und nicht abwerfen lassen. Sollte dir hingegen das Schicksal bei dieser Begegnung die Rolle des Paarhufers zugewiesen haben, dann kümmere dich nicht weiter um den komischen Reiter über dir, sondern achte allein darauf, nicht zu stürzen. Denn ein liegendes Dromedar gereicht sich selbst und dem Reiter zum echten Problem.




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