Schiff, im Ozean der Gefühle mutig dahinschwimmend |
Als ich klein war, spielte mein Vater gerne mit mir Schiffe versenken. Du und dein Gegenspieler legten sich, jeder für sich und fein säuberlich gegen die Blicke des anderen geschützt, eine Art Tabelle an,
in der die Lage verschiedener Schiffe eingezeichnet wurde, die ein, zwei, drei oder vier Kästchen breit waren, je nachdem, ob es sich um Minensucher, Fregatten, Kreuzer oder Schlachtschiffe handelte. Dann musstest du die Schiffe des Gegners durch Benennung der dir verdächtig erscheinenden Koordinaten (zum Beispiel „2 A“ oder „6 F“) abballern, und wer die Schiffe des anderen als erster versenkte, hatte gewonnen. Das Spiel baut auf Vertrauen. Denn ob du bei deinem jeweiligen Spielzug einen Treffer gelandet hast oder dein Pulver umsonst verschossen, das sagt dir der Gegenspieler, weil er ja der einzige ist, der die Lage seiner Schiffe wirklich kennt.
in der die Lage verschiedener Schiffe eingezeichnet wurde, die ein, zwei, drei oder vier Kästchen breit waren, je nachdem, ob es sich um Minensucher, Fregatten, Kreuzer oder Schlachtschiffe handelte. Dann musstest du die Schiffe des Gegners durch Benennung der dir verdächtig erscheinenden Koordinaten (zum Beispiel „2 A“ oder „6 F“) abballern, und wer die Schiffe des anderen als erster versenkte, hatte gewonnen. Das Spiel baut auf Vertrauen. Denn ob du bei deinem jeweiligen Spielzug einen Treffer gelandet hast oder dein Pulver umsonst verschossen, das sagt dir der Gegenspieler, weil er ja der einzige ist, der die Lage seiner Schiffe wirklich kennt.
An die Gefühlsblindheit, mit der wir Menschen naturgemäß, und allen Spiegelneuronen zum Trotze, im Kontakt mit einem fremden Menschen manchmal gesegnet sind, aber auch an die etwas martialisch anmutende Versuchs-anordnung dieses alten Kinderspiels, die ohne gewisse Momente des Triumphs, des Entlarvt- und Besiegtwerdens nicht auszukommen scheint, muss ich manchmal denken, wenn es darum geht, die Gefühle des Patienten zu verstehen. Was wären Patienten, Therapeuten und Therapien ohne die Gefühle? Immer unterwegs, um die wahren, die verdrängten, die verleugneten oder unterdrückten Gefühle zu finden, konzentrieren sich seit Jahrzehnten die Bemühungen der Beteiligten auf die Wahrnehmung, die Spiegelung, den Ausdruck und die sogenannte Integration der Gefühle. Was wird da nicht alles gefühlt. Das schönste dabei ist, auch der Therapeut darf fühlen! Das soll er sogar, allerdings „bewusst“, damit er nicht ein willenloses Opfer seiner unbewussten Gefühle wird. Erstes Gebot des Gefühleverstehens ist also das „Reflektieren“ und stellt eine wichtige Aufgabe des Therapeuten dar, erst Recht, wenn er methodenmäßig analytisch unterwegs ist; bei den Verhaltenstherapeuten ist es aber auch nicht grundfalsch, wenn man als Therapeut so ungefähr weiß, wo es gefühlsmäßig bei einem selbst langgeht. Denn es besteht unter anderem die Gefahr, dass man die eigenen Gefühle mit denjenigen des Patienten verwechselt. Nicht jeder ist ja zu Tode betrübt, wenn er eine Sechs im Matheexamen hatte, sondern manch einer freut sich, dass sich der Vater endlich mal so richtig ärgert und die Eltern weiter Kohle rüberschieben müssen, weil der Studienabschluss sich verzögert. Die wichtigste Therapeutenregel in diesem Zusammenhang lautet folglich: Schließe nie von dir auf den Patienten, außer wenn du damit richtig liegst.
Als die Beschäftigung mit dem Unbewussten wissenschaftliche Fahrt aufnahm, also zu FREUD´s Zeiten, war es ja noch ganz übersichtlich; da gab es Aggressionen und Depressionen, auf der Triebebene Todestrieb und Sexualtrieb und fertig. Seine Tochter Anna hat, vermutlich weil sie eine Frau war und Frauen haben ja dann doch den etwas subtileren Zugang, in diese zugegebenermaßen tendenziell grundprimitiven Theoriebausteine weibliche Verfeinerung und Finesse gebracht und hiermit entscheidend nachgebessert. Sie beschrieb fünf „unerträgliche Affekte“ (da haben wir schon mal eine größere Auswahl als bei den Schiffsarten) und wenn man sich ihre Beschreibung genüsslich reinzieht, muss ich sagen, diese Gefühle will eigentlich keiner haben, das braucht man nicht, aber jeder kennt es.
Nimmst du gedanklich alle Gefühle, die du dir vorstellen kannst, einmal zusammen, und versuchst darüberhinaus auch noch, die mal zu fühlen, dann stellst du fest, dass du damit energiemäßig locker einen BMW X5 füllen und antreiben könntest. Und dass ein Blatt Papier mit 10x10 Kästchen zum Ausfüllen bei weitem nicht ausreichen würde, um alle möglichen Gefühlsschattierungen zu notieren. Da hätten wir Scham, Angst, Schmerz, Abhängigkeit, Schuld; und im weiteren Stolz, Demut, Unterwürfigkeit, Arroganz, Unsicherheit, Besorgnis, Hoffnung, Zuneigung, Liebe, Hass, Neid, Groll, Ärger, Zorn, Mitleid, Trotz, Missgunst, Bewunderung, Überforderung, Langeweile, Leere, Sehnsucht, Trauer, Rivalität, Konkurrenz, Geborgenheit, Inbrunst, Fanatismus, Überlegenheit, Nachdenklichkeit, Bedrohung, Faszination, Verbitterung, Schreck, Ohnmacht, Freiheit, Solidarität, Sicherheit, Selbstzufriedenheit. Das war jetzt aber nur eine nichtrepräsentative Auswahl aus dem Angebot der Schiffsbauer.
Spätestens hier dämmert es einem: diese Riesenpalette macht einen ganz verrückt und man sehnt sich zurück zur Einfachheit. Vielleicht ist das der Grund, warum in entsprechenden Gesprächsrunden, Fort-bildungsgruppen und geschriebenen fachlichen Statements sich so verdächtig klassische Gefühlsevergreens herauszubilden scheinen, so dass manchmal schon eine kleiner Hinweis genügt, um die tapfer-eifrige Assoziationskette ablaufen zu lassen – und zwar immer dieselbe: ist jemand gestorben, dann muss er trauern, aber nicht länger als sechs Monate, sonst steckt er fest und er muss dann auch seine Wut auf den Verstorbenen wahrnehmen. Berichtet dagegen ein Patient, er liebe seine Ehepartnerin wie am ersten Tag, dann sollte er an seine versteckte Aggression auf die Mutter herangeführt werden. Erzählt dir ein junger Mann, er habe Stress mit seinem Vorgesetzten, dann dürfte es um die verdrängte Rivalität mit dem Vater gehen und entwickelt sich eine Supervisionsgruppe bei der Besprechung einer 50jährigen Patientin auffallend langweilig, dann taucht die Frage auf, was da eigentlich mit der Sexualität ist? Wenn viel gelacht wird, geht es offensichtlich um viel gehemmte Aggression, und wenn der Partner trinkt, dann ist das ein eindeutiges Indiz dafür, dass der Nichttrinkende abhängig ist und den anderen deswegen kontrollieren muss. Ähnlich wie beim Schiffe versenken, trabt man manchmal blind durch weite Meere, ballert aber trotzdem regelmäßig und unverdrossen, doch das Spiel ist mir ansonsten lieber, weil man da, Ehrlichkeit des Gegners vorausgesetzt, wenigstens gleich weiß, ob man richtig lag oder daneben gehauen hat. Außerdem kann man dabei mit Nachdenken einiges an Fehlballer-Aktionen vermeiden. In der Psychotherapie dagegen ist das anders mit dem feedback; sagt der Patient: „ja, genau!“, könnte es sich um bloße Anpassung handeln, sagt er „nein, überhaupt nicht!“, dann war ja vielleicht deine Deutung nur zu früh und konnte noch nicht angenommen werden.
Mittlerweile gibt es gottlob Objektivierungshelfer im weiten Ozean der Gefühle; an einigen Universitäten des Landes werden sie jedenfalls schon in der Forschung eingesetzt; da gibt es zum einen die optischen Techniken, die apparativ in Gesichtern lesen, und auch akustische Varianten des comptergesteuerten Gefühlelesens; am besten und elegantesten erscheint mir aber so eine Art Edel-EEG, das sind Hirnstrommessungen, bei denen du dich nicht wie üblich um irgendwelche steilen oder sonst wie verdächtigen Potentiale und Wellen interessierst, sondern das Augenmerk geht auf die Zuordnung dieser Messlinien zu den Gefühlen des verkabelten Opfers. Zwar räumen die habilitierten Versuchsleiter ein, die „ganze Komplexität“ des menschlichen Fühlens könne damit individuell „bisher nur annähernd“ abgebildet werden (ach!), aber flugs hat sich die Wirtschaftsbranche den Modus des transparenten Schiffeversenkens schon geschnappt. So fotografiert man also die Gesichter von Kunden, die in Super-Megastores an Hifi-Anlagen und Playmobilen vorbeilaufen, um herauszufinden, wo die wahren merkantilen Treffer im Regal liegen, und in call-centern zeichnen sie die Sprachmelodie des zumeist beiderseitig geplagten Diskurses auf, um die Kundenzufriedenheit zu messen.
Es steht zu befürchten, dass die Verkabelungstechniken auch in der Psychotherapieszene Einzug halten. Schon jetzt gibt es ja Sitzungen, die zu Ausbildungs- oder Forschungszwecken aufgezeichnet werden, und manch ein Therapeut wird sich ja wohl auch schon gefragt haben, ob das harmlos auf dem kleinen Beistelltisch abgelegte schwarze Handy des Patienten wirklich aus- oder auf Aufnahme geschaltet war. Die einzige Abhilfe gegen allzu viel Technik ist die Einfühlung. Aber dafür ist der ganze theoretische und Kabel - Wust im Wege und verstellt die Reste unserer Empathiefähigkeit. Vielleicht liebt der Kerl ja wirklich seine Frau und die Trauerreaktion ging doch einfach acht statt der erlaubten sechs Monate. Da hilft nur – noch mal genauer hinschauen. So manches Schiff lässt in kurzen Momenten am Horizont seine Umrisse erahnen. Vorausgesetzt, du guckst in dem Moment gerade in seine Richtung, anstatt deine Tabellen auszufüllen.
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