f Psychogeplauder: Tobende Bären

Donnerstag, 7. Mai 2015

Tobende Bären







Das ist zugegebenermaßen ein bisschen aus dem Nähkästchen geplaudert, aber schauen wir nicht alle gerne mal in fremden Nähkästchen herum?
Es berührt ja auch die ewig wiederkehrende Frage der Therapeuten in Ausbildung, gerichtet an die sogenannten Erfahrenen:  WAS MACHT IHR DENN NUN EIGENTLICH WIRKLICH??? Theorien gibt es ja zu Hauf, mehr oder weniger anstrengend geschriebene Bücher zu diesen Theorien, darüberhinaus gibt es noch Zusammenfassungen der Theorien in weiteren Büchern, das ist dann aber schon Sekundärliteratur und etwas peinlich; für die unterste Kaste finden sich Streifzüge durch verschiedene Theorien in Form von „Psychotherapie für dummies“ – Ratgebern für die Westentasche. Die finden sich nicht im offenen Regal, sondern, wie in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts die amerikanische Ausgabe des Playboy, unter der Ladentheke bzw. in der verschließbaren Schublade. Was aber wird in der Praxis gemacht ? Wenn sich die Tür schließt, ist der Therapeut mit dem Patienten allein, und betätigt er sich nicht zufällig als heroischer Datenlieferant in einem der extrem rar gesäten aufklärerischen Studiendesigns mit Tonband oder gar Video, dann ist seine eigentliche Kerntätigkeit, das Reden, nicht mehr hör-, sicht- oder kontrollierbar.
In der Ausbildung oder dann, wenn ein ehrgeiziger fertiger Therapeut in höhere Sphären aufsteigen und in seinem Heimatinstitut eine sogenannte Fallvorstellung darbieten will, werden Stundenprotokolle angefertigt. Wie soll das gehen, fragte ich mich schon vor dreißig Jahren, kann man tatsächlich jedes Wort einer 50 minütigen Unterhaltung korrekt aufschreiben ohne durchzudrehen oder aber ins Guinnessbuch der Erinnerungsrekorde zu gelangen? Es geht möglicherweise tatsächlich, und zwar dann, wenn es sich um sehr schweigsame Patienten handelt. Da ist der Gesprächsablauf dann so löchrig wie Schweizer Käse, wegen der Ruhepausen. Wenn sich Wortkargheit noch mit Zwanghaftigkeit kombiniert, so dass ein gewichtiger Teil der Zeit damit drauf geht, dass der Patient überlegt, wie er es formulieren soll, und dass er entscheidet, ob er dies oder jenes sagt oder lieber doch nicht, dann haben wir die komfortable Situation des mühelosen Mitschreibens im Eins- zu -Eins -Maßstab. 

Vorhang auf.



Sybille:  
(dreht zwei Minuten lang ihre Fingerkuppen hin und her, betrachtet dann ihre Fußspitzen und stellt – wortlos, durch Tasten - fest, dass sie einen Mückenstich am Knöchel hat. Fühlt sich offenbar noch in der Anwärmphase, knetet jetzt fester die Finger hin und her und blickt sich im Raum um, um nachzuprüfen, ob sich seit der letzten Woche eventuell die Wandfarbe oder die Quadratmeteranzahl geändert hat)
Ich :  
Fällt es schwer anzufangen ?
Sybille: 
Och, nöh.
Schweigen.
Sybille: 
(schaut auf die Uhr, beinahe etwas hektisch erschrocken, als wäre ihr gerade eingefallen, dass die Sitzung ja schon seit sechs Minuten läuft)
Ich: 
Sie schauen auf die Uhr ?
Sybille: 
Ja, wir wollten ja heute über die Therapieverlängerung reden. Nicht, dass dann wieder keine Zeit ist.
(Anmerkung: Sybille wollte bereits seit drei Sitzungen über die Therapieverlängerung reden, war aber noch nicht entschieden gewesen).
Ich: 
(ungläubig, aber eine Frage ist es wert): 
Schon eine Entscheidung getroffen ?
Sybille: 
Weiß nicht.
Pause.
Ich:
mmh.
Pause.
Sybille:
Das ist so schwierig.
Ich:
mmh
Sybille:
Blickt zur Decke (hat eine christlich angehauchte Mutter und von daher möglicherweise die Hoffnung, dass da oben die Lösung sich in züngelnden Flammen des heiligen Geistes auftut, zumal gerade die Pfingstwoche anrollt)
Pause.
Ich:
(beschließe, die Heiliger-Geist-These nicht in den Dialog einzuspeisen, da sie mir zu abenteuerlich erscheint, sondern stattdessen weiter zu warten)
Was war für sie schwierig ?
Sybille:
Ich weiss nicht.
Ich:
Sie wissen ja, sie können hier alles sagen, aber nicht: Ich weiss nicht. Denn wahrscheinlich wissen sie doch etwas.
Sybille:
(scheint innerlich Fahrt aufzunehmen, grübelt angestrengt, so dass über ihrem streng gescheitelten blonden Haar kleine Rauchwölkchen aufsteigen)
Pause.
Ich bin noch nicht entschieden.
Ich:
(überlege, ob ich meine stufenlos verstellbare Halogenlampe etwas höher einstelle, wegen der Rauchwölkchen, die unser beider Sicht zu verdunkeln drohen)
Was sind denn bisher ihre Argumente dafür und dagegen, die Therapie zu verlängern ?
Sybille:
(nach langem Nachdenken von der Sorte, ich weiß, was ich sagen will, aber ich weiß noch nicht, ob ich es sage)
Jedenfalls ist klar, ich mag keine Veränderungen.
Pause.
Ich:
(bin beeindruckt über diesen ganzen Satz und warte ab, ob noch was kommt).
(Es kommt nix.)
Pause.
Ich:
Ist das jetzt ein Argument für die Verlängerung oder gegen die Verlängerung.
Sybille:
(fasst es offenbar nicht, wie schwer ich von Begriff bin, und atmet tief ein und aus)
Also, für.
Ich:
Okay.


Den kleinen Rest der Sitzung können wir uns hier getrost noch dazu denken, aber ich wollte doch in aller Bescheidenheit darauf hinweisen, dass die Behandlung von Sybille eine ziemlich gut laufende Therapie zu sein schien; jedenfalls habe ich nicht das Gefühl, dass Wortzahl pro Sitzung geteilt durch Schweigedauer in Minuten korreliert ist mit Therapieerfolg. Solch quantitatives Denken ist uns Therapeuten nämlich viel zu primitiv. In der Ruhe liegt die Kraft. Und wenn du diesen Dialog nochmal ganz konzentriert durchliest und auf dich wirken lässt, wirst du feststellen, dass das wesentliche zwischen den Zeilen passiert. DA TOBT DER BÄR.

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