f Psychogeplauder: Massivitäten

Freitag, 10. Juli 2015

Massivitäten


Massiver  Eindruck  vom  Pragser  Wildsee / Tirol




Die Psychotherapeuten gehören nicht gerade zur wichtigsten Berufssparte der Menschheit. Und auch nicht zu den wichtigsten Charakteren im Medizinbetrieb.
Daher muss man einfach neidlos anerkennen, dass, müssten per Staats-, Kismet- oder Gottes-Dekret alle Berufe bis auf die 100 wichtigsten Tätigkeiten verschwinden, die Therapeuten vermutlich dabei wären; also, bei den Verschwindern. Obwohl so viel Essentielles, ja Existentielles, in psychotherapeutischen Sprechzimmern verhandelt wird, scheint es unumgänglich, den Altenpflegern, Müll-männern, IT-Spezialisten, Bäckern, Zeitungs-journalisten, Notärzten, Staatspräsidenten und Piloten, um nur ein paar vermutlich schon eher marginale Professionen beim Namen zu nennen, den Vortritt auf der Arche Noah der Berufe zu überlassen.
Aber selbst wenn wir, nach zwei Gläsern Chateau de Naciss, eines Freitag abends im trauten Kreise Gleichgesinnter der vorübergehenden Meinung anhängen sollten, wir gehörten zu den wirklichen wichtigen Personen in der Stadt … wie das regelmäßig beim sogenannten Therapeutenstammtisch beobachtbar ist, müssen wir uns spätestens Montag mittags eingestehen, dass wir zwar enorm wichtig, aber nicht übermäßig wirkungsvoll sind. Wir ernähren uns ja eher von den kleinen, mühsam in vielen Sitzungen errungenen Erfolgen, und mehr als die üblichen mittelmäßigen Besserungsquoten, die die Körpermedizin vorzuweisen hat, bringen wir halt auch nicht zustande. Gering ausgeprägtes Selbstwirksamkeitserleben, würde der moderne Psychologe mit schnalzender Zunge und besserwisserischem Blick sagen, und sich dann doch gelegentlich gerne in der Position der Chirurgen oder Kinderärzte wiederfinden, die wenigstens viel spektakulärere Fälle vorzuweisen haben; jedenfalls würde ich die Autorenschaft für die erreichte Heilung einer akuten Leukämie dann doch der  Heilung eines langjährigen seelisch bedingten Schmerz-syndroms vorziehen, bei der noch ein Heilpraktiker, OPTALIDON SPEZIAL®, der langjährig erhoffte positive Rentenbescheid und wiederholte Yogakurse ihre heilsamen Finger im Spiele hatten.

Wir Therapeuten haben natürlich gegen dieses chronische Selbstunwesentlichkeitsgefühl unsere Strategien entwickelt, um eigenes psychisches Überleben zu sichern. Wenn wir das nicht hinbekämen, wären wir ja wohl im falschen Beruf. Man kennt das ja; übergewichtige Ernährungsberater, von Glaubenszweifeln zerfressene Pfarrer, Friseurinnen mit zotteligem Haar. Nein, so einfach geben wir Therapeuten unser bis auf den blanken Knochen abgenagtes Selbstbewusstsein nicht her: mag sein, dass wir oft hinter verschlossenen Türen der Diskretion unser wichtiges Tagwerk verrichten müssen, von niemandem fotografiert, interviewt, gecastet, für die Genialität der heutigen Sitzung gelobt oder sonst irgendwie registriert werden; ebenfalls ist es unstrittig, dass die Arbeit mit seelischen Entwicklungsprozessen weniger effektiv daherkommt wie Tante Frieda, wenn sie in der Adventszeit pro Wochenende 20 Paar Socken bester Qualität strickt, oder ein Londoner Broker innerhalb 30 Minuten seiner üblichen Arbeitszeit. Aber eines ist sicher, und das kann uns keiner nehmen: wir behandeln fast immer Massivitäten.

Das Wort massiv ist mir in den letzten 25 Jahren so häufig untergekommen, dass ich beschlossen habe, diesen Begriff mit einem eigenen post zu ehren. Vor allem, wenn mehrere Therapeuten sich untereinander austauschen, ist häufig von etwas Massivem zu hören. Patientin X kam nicht wegen Schlafstörungen, sondern wegen massiver Schlafstörungen, und Patient Z hatte keine Partnerschafts-beziehungsstörungen, sondern eine massive Partnerschaftsproblematik. Manchmal, wenn bei den Falldarstellungen zugunsten der Darlegung von lebensumständlichen Problemen eines Patienten vergessen wurde, die Krankheitssymptome zu erwähnen (was nicht zwangsweise bedeuten muss, dass es gar keine Krankheitssymptome gab), fragte ich gezielt nach, und dann kamen sie, die Beschwerden, und zwar massiv. Patientin Y hatte zwar keine akute Suizidalität aufzuweisen, aber massive Lebensüberdrussgedanken, und wenn diese nicht vorlagen, dann war Y doch zumindest massiv depressiv. 

Mir persönlich geht dieser Massivismus ehrlich gesagt ein bisschen zu weit, um nicht zu sagen, massiv auf die Nerven. Offenbar haben wir Sorge, als Profession nicht gehört, in unserer gesamtgesellschaftlichen Relevanz unterschätzt oder in Anbetracht unserer durch die Solidargemeinschaft finanzierten, insgesamt doch ziemlich weitreichenden Krankenkassen-finanzierung nicht ausreichend existenz-gerechtfertigt zu sein. Woher kommt das bloß. Und wer legt fest, wo Krankheit beginnt, wann ein oft ausgeprägtes subjektives Leiden Sache der Versicherung ist, und wann es ein finanziell selbst zu verantwortendes Elend zu bleiben hat? Da bin ich ehrlich gesagt massiv erleichtert, nicht in der Position mancher professioneller Entscheider zu sein: die Gutachter, diese arroganten herzlosen Schreibtischtäter, die das Leiden nicht sehen, werden ja zuweilen von enttäuschten Patienten oder deren Therapeuten entsprechend kritisiert. Und zwar massiv. Zumindest der psychotherapeutische Gutmensch jedenfalls scheint mir ein Beruf zu sein, der doch bitte mit auf die Arche Noah kommen sollte – schon allein deswegen, weil diese Leichtgewichte sich im meteorologischen oder auch schiffsüberladungsbedingten Notfall massiv dünne machen können. 




















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