ziemlich plumpes Photo eines Objekts |
annähernd ausdifferenziertes Photo desselben Objekts |
Als interessierter Therapeut lernst du nicht nur Patienten kennen, sondern quasi pro Patient auch noch einen ganzen nach-, neben- oder vorgeschalteten Sozialkreis…
also grandiose, aber leider viel zu früh verstorbene Väter; depressive, die eigenen Kinder vernachlässigende Mütter, die nie in den Arm genommen haben; bigotte sadistische Omas, die mit der Hölle drohten, wenn der Patient in der Schule einen Bleistift mitgehen ließ; darüberhinaus Nachbarn mit verrotteten Zäunen, Mitmieter mit schlechtem Musik-geschmack, in ihrer Güte unerreicht bleibende „total verständnisvolle“ Ehepartner (cave!), Freundinnen, die dein Vornamengedächtnis strapazieren; dann gibt es noch uneinfühlsame Chefs, die keine Führungsqualitäten haben, sowie frühere Therapeuten, die zuwenig verstanden haben oder im Erstgespräch „überhaupt nichts gesagt“. Jedenfalls denkst du, du würdest den Sozialkreis deines Patienten kennen. In Wirklichkeit kennst du natürlich nur das Bild davon, das dir in mehr oder weniger glühenden Farben gemalt wurde. Wenn dir erste Zweifel kommen, ob diese Leute tatsächlich alle solch literarisch wertvolle Normvarianten sind, kannst du zwecks mutigem Realitätsabgleich zu nicht ganz stubenreinen Methodikerweiterungen greifen und dir ein Handyfoto von dem jähzornigen Ekel zeigen lassen oder du kannst mal die Mutter, die Ehefrau (Hunde sind bei mir nicht erlaubt) oder den Sohn mit einbestellen, um dir ein eigenes Bild zu machen, dessen Wahrheitsgehalt allerdings auch nicht bei 100 % liegen dürfte, da die genannten Personen nicht so blöd sein dürften, einem neugierigen ihnen völlig unbekannten Psychotherapeuten ihr wahres Gesicht zu zeigen.
Die Psychoanalytiker haben das Problem dieser bemerkenswerten Kluft zwischen tatsächlichem Sozialkreis und gefühltem Sozialkreis erkannt und mit allerlei schwierigen Begrifflichkeiten belegt. Die oben genannten Leute, also die mehr oder weniger üblen Subjekte im Umfeld des geplagten Patienten, nennt man in der Psychoanalyse Objekte. Damit beginnt schon ein gewisses terminologisches Unheil, denn über Objekte kann man cool und wissenschaftlich daherreden, und das würde man gar nicht schaffen, wenn es rein sprachlich gesehen Subjekte geblieben wären. Die Objekte jedenfalls wohnen nicht nur nebenan, sind ausgewandert, mobben einen oder sind vielleicht schon tot; nein, das Fiese ist, sie sitzen in den Patienten drin, so wie zum Beispiel der kleine Mann im Ohr, oder bewachen ihn, denn big brother is watching you; manche haben den Patienten noch im Griff, obwohl sie schon gestorben sind, das sind diejenigen, die sich seinetwegen im Grabe rumdrehen. Oder sie bilden seine bessere Hälfte und manchmal ist er dann ohne sie, im Falle des sogenannten Objektverlusts, nur noch ein halber Mensch. Anders als der Name nahelegt, und jetzt kommen wir zum noch komplizierteren Teil der Sache, treten die Objekte während einer psychotherapeutischen Behandlung nicht gerade objektiv in Aktion; im Gegenteil, die Frage, wie sie sich beim Patienten und nolens volens mit der Zeit auch beim Therapeuten einnisten, ist höchst subjektiv. Sie gehen sozusagen inkognito vor, und wer wirklich dahintersteckt … das weiß allenfalls Gott, aber der hat vermutlich ohnehin anderes zu tun. Therapeuten jedenfalls wissen es selten, allerdings vergessen sie manchmal, dass sie es nicht wissen, und dann können sie nur noch auf die Korrektur ihrer vorgefassten, vom Patienten geduldig und nichtsahnend in die Wege geleiteten Einschätzung durch das Schicksal hoffen.
Insofern taten KERNBERG & Konsorten schon gut daran, das Wortungetüm „Objekt-repräsentanzen“ zu erfinden, denn die ganzen Pferdchen, die da wie in einer Zirkusmanege nach und nach während einer Psychotherapie auftreten und sich deinem interessierten Therapeutenauge zeigen, sind doch nichts anderes als Vorstellungen von Pferdchen und nicht die Pferdchen selbst. Alles also nur fauler Zauber? Mitnichten. Die meisten Dinge beruhen auf Vorstellungen – denk´ nur an Eheschließungen (bis dass der Tod uns scheidet!), Immobilienkäufe (hier lässt sich´s leben!), die Entscheidung für eine bestimmte Ausbildung (ich würde so gerne was mit Menschen machen!) oder eine Urlaubsregion (einmal von einem jungen türkischen Masseur geknetet werden!). Eine meiner schrecklichsten Höllenphantasien ist es, mir ungekürzt, ohne Anwalt und ohne Werbepausen anhören zu müssen, wie andere Menschen mich wahrnehmen und einem Dritten beschreiben würden, die aus irgendwelchen Gründen mit mir zu tun haben - oder sogar wegen mir eine Therapie brauchen! In diesem Falle bräuchte ich vermutlich ein Beruhigungsmittel. Dieses würde dann als Objektersatz fungieren, für den Fall, dass keiner in meinem Umfeld mich trösten könnte, was wieder einmal beweist: mit den Objekten ist es wirklich nervig, aber ohne sie läuft es auch nicht gerade gut.
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