bemerkenswerte Paarung |
Ein Beitrag zur deutsch-französischen Freundschaft.
„Gouten Tack, isch binn Jean!“ So begrüßte er mich bei unserem ersten Termin, ein nicht allzu großgewachsener, zierlicher Franzose mit diesen dich fangnetzartig überwältigenden dunkelbraunen Augen zwischen Hundeliebe und Herzensglut. Es blieb sein ritueller Gruß zu jeden erneuten Termin, und ich fand das sofort herzig. Eigentlich hatte Jean ursprünglich gar nicht zu mir kommen sollen, sondern zu einem ihn nach kurzer Zeit zu mir bugsierenden Psychiater,
der Französisch sprach, aber dieser hatte schnell gemerkt, dass Jean, im Gegensatz zur Ansicht seiner hier in Deutschland ihn hypochondrisch beäugenden Schwiegerfamilie, nicht „durchgedreht“ war, dafür aber viel Redebedarf hatte.
der Französisch sprach, aber dieser hatte schnell gemerkt, dass Jean, im Gegensatz zur Ansicht seiner hier in Deutschland ihn hypochondrisch beäugenden Schwiegerfamilie, nicht „durchgedreht“ war, dafür aber viel Redebedarf hatte.
Jean kam wegen Schlafstörungen. Er betrachtete seit Monaten nachts den Mond, warf sich im Doppelbett hin und her und seufzte. Morgens kam er dann immer schwerer aus den Federn und seine junge blonde Ehefrau machte sich Sorgen, da er aus lauter Erschöpfung sich tagsüber beim Kochen unkonzentriert und beim Liebe machen wenig aktiv benahm, was sowohl das Geschäft als auch die Nachwuchsplanung zu bedrohen begann. Seit anderthalb Jahren kochte Jean im kleinen, dörflichen Nest im Hinterland unserer Stadt, und wo es vorher Schnitzel mit Champignonsoße, Bier, Wurstsalat mit oder ohne Emmentaler Käse sowie – als letzte Neuerung - Tomaten mit Mozzarella gegeben hatte, war er eingekehrt wie ein Kochlöffelmessias; bald hatte er im Dorf, da sein Nachname schwer auszusprechen war, nur noch „der Franzose“ geheißen, und wenn man en vogue sein wollte, feiern gehen oder einfach nur so das Leben genießen, ging man hin zum Franzosen in die Wirtschaft, die zwar immer noch „Zum schwarzen Adler“ hieß, aber sich neuerdings mittels mutiger Investition in ein neues Schild Restaurant nannte und die Preise anhob. Der Laden flutschte und am Wochenende war ohne Reservierung schon seit Monaten nix mehr zu machen.
Doch der Reihe nach. Jean, aus einem einfachen Elternhaus nahe Lyon stammend, hatte es als vierter Sohn eines ihn links liegen lassenden Bahnbediensteten immer schwer gehabt, sich dessen Respekt sowie die Liebe seiner erschöpften und traurigen Mutter zu erkämpfen, und so war er schon seit seiner Vorpubertät auf die geniale Idee gekommen, beide zu bekochen. Das hatte, bis auf den Vater, der weiterhin sans intérêt blieb, wenigstens mutterliebemäßig perfekt funktioniert und ihm auch später zu seiner Berufswahl verholfen; er wurde ein gesuchter Koch, was ja in Frankreich was heißen mag, mit ausgezeichneten Referenzen und Ausbildungen bei verschiedenen Köchen in diversen Regionen der Grande Nation. Jean war es enorm wichtig, mir als Ich-nix-verstehen-Deutscher begreiflich zu machen, dass er nicht nur Cuisinier, sondern außerdem auch Patissier war, eine zusätzliche, sehr aufwändige Ausbildung, für die, wie ich aus seinen mannesstolzen Ausführungen schloss, sein Herz am meisten schlug. Apropos Herz. Er hatte sich an der Côte d´Azur in Nizza in eine blonde, damals noch schlanke, seit seiner Sicherstellung qua Heirat langsam sich verbreiternde deutsche Blondine verliebt, die dort mit ihren Eltern eine Ferienwoche verbrachte. Alle waren von ihm entzückt gewesen und er natürlich von ihnen, dann kam aus tiefenpsychologischen Gründen sein alter Wunsch nach Heimat und Ersatzfamilie um die Ecke, und sowohl die Mutter der Blondine, durch die Gegenwart des knackigen Franzosen noch einmal erotisch späterblüht, als auch der Vater, Gastwirt in dritter Generation, dessen unerfüllter Wunsch nach einem geschäftsführenden Stammhalter seit Jahren eine Lebervergrößerung nach sich gezogen hatte, wurden zu Jean-Fans. Sie luden ihn ein, und nach einigem Geplänkel, das man sich aus Sicht der deutschen Familie hätte auch sparen können, kam Jean schließlich ein halbes Jahr später mit Sack´ und Pack´ nach Deutschland; er zog ein in das einen Meter hoch geklinkerte, darüber mittelbeige verputzte Zweifamilienhaus mit Satteldach ohne Balkon, unten drin die Gastwirtschaft, mittelbraune Tische mit mittelbraunen Stühlen und ein paar Geweihe, ebenfalls mittelbraun, an den Wänden. Den Wein schenkten sie hier in eigenartige wuchtige Gläser ein und machten diese voll bis zum Rand, und eine carte des desserts schien es nicht zu geben; er kochte, dass man sich im Dorf und bald auch in den Nachbarortschaften die Augen rieb, und seine Enttäuschung, dass es hier weder eine sieste noch charmante Kellnerinnen noch das blaue Meer oder guten Wein gab, konnte er eine ganze Weile lang gut kompensieren, weil er überall gelobt und geliebt wurde. Der Schwiegervater in spe war stolz auf ihn und nannte ihn seinen Sohn, das ganze Dorf redete andächtig über ihn, als sei Jean der Papst persönlich, der aus Versehen statt in der Kathedrale von Reims in einer Kapelle von Hinterwaldlingen gelandet sei, und dass man nicht knickste vor der neuen Attraktion, war alles. Sie schlugen sich Samstag abends die Bäuche voll, tranken zu viel, wollten kein Brot, sondern lieber noch ein bisschen mehr Fleisch und von der guten Soße, Jean schuftete in der Küche, er kam kaum nach mit seinen Aufgaben, bald wurde er beraten vom Schwiegervater, „nimm´ nicht soviel frische Kräuter, das kostet nur Geld und die Leute werden sie sowieso auf dem Teller lassen“. Und zu seiner geliebten Patisserie fand die Kundschaft zu wenig Zugang, weil der Magen schon zu voll war am Ende, und bloß keine Kalorien, so dass der Schwiegervater sich marketingmäßig einen Ruck gab und Jean´s Spezialität, pastellgefärbte biscuits in Herzform, „die halten sich ja eine Weile“, für Gäste, die öfters kamen, und für den Kaffeemaschinen-wartungsdienst als give-away herabwürdigte. An seinem Ruhetag hatte Jean sich angewöhnt, im Internet zu surfen, und durch meine neugierige Fragerei war schnell klar, dass er sich in andere Regionen träumte, die auffällig oft mit Frankreich zu tun hatten. Der Mondbetrachtungszwang hatte da ebenfalls seinen Ursprung, weil Jean sich in seinen schlaflosen Nächten angestrengt vorstellte, ob der Mond am Meer auch so aussähe wie in Hinterwaldlingen, oder ob man von Frankreich aus einen anderen Ausschnitt der Mondansicht ergattern könne. Die Blondine wollte ein Kind, und ehrlich gesagt, sah sie bereits so aus, als sei sie kurz vor der Niederkunft; der Schwiegervater entpuppte sich als übler eitler Kasernenvorsteher und die Schwiegermutter als böse enkelfixierte Hex´, die ihm schließlich den Psychiatertermin eingefädelt hatte.
Irgendwie dämmerte Jean und mir nach einiger Zeit, dass es sich bei seiner Krankheit um Heimweh handeln musste; in der Anfangszeit, noch vor seiner Heirat und dem damit verbundenen Entzug seines Rederechts, war einer seiner arbeitslosen Brüder mit einem vollgestopften Lieferwagen alle drei, vier Wochen aus der Bretagne rübergebrettert und hatte französische Lebensmittel gebracht, all das, was hier schwer zu kriegen, überteuert oder von schlechterer Qualität war; der Bruder hatte dann jedes Mal eine Nacht im Gästezimmer, das schon vorsorglich mit einer Babykommode zum Wickeln ausgestattet gewesen war, übernachtet und war frühmorgens wieder mit leeren Auto zurückgefahren. Jean hatte dem zerbeulten, verdreckten Vehikel mit dem ewig kaputten linken Rücklicht und dem in der Sonne verblichenen ehemals bordeauxroten Lack jedes Mal sehnsüchtiger nachgeblickt und sich dabei ertappt, für diesen Moment sogar früher aufzustehen.
Das Therapieende ist schnell erzählt. Eines Tages zu unserem Termin fand ich vor der Praxistüre statt Jean ein Päckchen. Darin wunderschöne pastellfarbene biscuits in Herzform und ein kurzer handschriftlicher Brief, für den er einen karierten Zettel aus dem Gasthaus benutzt haben muss, denn ein gelblicher Bierdeckelrand drückte sich ab. Ich schloss aus dieser etwas uneleganten Wahl der papeterie, dass es hatte schnell gehen müssen. Er sei zurückgefahren, merci für alles, und wolle nicht, dass ich mit irgendjemandem aus seiner Schwiegerfamilie spräche, die würden mich sicher anrufen, avec sûreté. So war es dann auch, aber ich hatte die Zurückgelassenen sowieso nicht sehen wollen, ich kannte sie ja alle schon. Seine biscuits dagegen waren göttlich und absolut frisch. Ich glaube, Liebe geht wirklich durch den Magen, allerdings nicht durch jeden.
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