Bewohnbarer Garten |
Sie hieß Patrizia und war der erste Fall, bei dem ich Zweifel hegte, ob irgendetwas anderes wirkte als das zufällige Ineinandergreifen unserer beider Wesen.
Eigentlich hatte sie zunächst ein Erstgespräch bei einer anderen Therapeutin gehabt, dort aber aus Kapazitätsgründen nicht weiter machen können. Die Therapeutin hatte sie dann an mich weiterverwiesen, vielleicht hat sie ja damit bewusst uns verkuppelt, vielleicht war es auch eine eher unbewusste, instinktgeleitete Zuweisung. Obwohl sie völlig anders aussah und über fünfzehn Jahre jünger war als ich, verstanden wir uns blind in einer Weise, als seien wir Zwillingsschwestern. Sie brauchte nur ansetzen zu erzählen und ich wusste, was sie meinte. Ein bisschen unheimlich war das.
Eigentlich hatte sie zunächst ein Erstgespräch bei einer anderen Therapeutin gehabt, dort aber aus Kapazitätsgründen nicht weiter machen können. Die Therapeutin hatte sie dann an mich weiterverwiesen, vielleicht hat sie ja damit bewusst uns verkuppelt, vielleicht war es auch eine eher unbewusste, instinktgeleitete Zuweisung. Obwohl sie völlig anders aussah und über fünfzehn Jahre jünger war als ich, verstanden wir uns blind in einer Weise, als seien wir Zwillingsschwestern. Sie brauchte nur ansetzen zu erzählen und ich wusste, was sie meinte. Ein bisschen unheimlich war das.
Patrizia hatte die Eigenart, aus heiterem Himmel mitten in der Sitzung leise zu weinen. Ihr liefen dann die Tränen herunter, ohne dass sie oder ich den Eindruck hatten, etwas tun oder formulieren zu müssen. Sie sagte mir mal, das Weinen sei bloß Rührung, weil sie sich verstanden fühle, und ich solle es nicht weiter beachten. Schon seltsam, ist das dennoch Psychotherapie gewesen ?
Ja, hätte KOHOUT gesagt, ein pianistisch und humanistisch begabter Arzt aus Wien, dessen Vater unglücklicherweise Jude war, so dass er in die USA emigrieren musste; eine Weile mühte er sich ziemlich ab wegen der englischen Sprache; aber schließlich schaffte er es bis zum Amt des Vizepräsidenten einer wichtigen psychoanalytischen Vereinigung. Seine Idee war, dass manche Patienten eine Zwillingsphantasie gegenüber ihrem Behandler ausspinnen, der ihnen dadurch nicht mehr fremd erscheint, zugleich ihnen erspart, sich völlig zu verlieren, weil das, was sie im Therapeuten vorfinden, ja im Grunde ein Teil von ihnen selbst ist. Auch so etwas kann heilsam sein. Wenngleich es eine Weile brauchte, bis die traditionellen Psycho-analytiker den Gedanken akzeptieren konnten. Da ging es ihnen nicht anders als mir; ich überlegte hin und her, was Patrizia und ich da eigentlich machten; natürlich redeten wir auch, legten Gefühle frei, scannten die Männer ihrer Umgebung ab nach für sie und ihren Wunsch nach Zweisamkeit brauchbaren Seelen-verwandtschaften. Aber bei Lichte betrachtet, hatte ich den Verdacht, dass dieser erzähl- und herleitbare Dialog zwischen uns nicht das Entscheidende war, sondern eher eine Art Trägermasse darstellte, wie der Biskuit beim Tiramisu. Der Charakter der Begegnung war geprägt durch die beiden sich Begegnenden, und dazu hatte ich nichts beizusteuern gehabt als einfach dort anwesend zu sein, wo Patrizia etwa ein Jahr lang wöchentlich auftauchte. Ihre Magenbeschwerden waren verschwunden und sie verliess die Therapie ohne große Geste, ohne Abschiedsschmerz und ohne Fragen.
Etwa anderthalb Jahre nach Ende der Behandlung schickte sie mir zu Weihnachten eine Karte. Darauf hatte sie handschriftlich einen kleinen Text von GOETHE geschrieben. So gelangte ich zu später, aber evidenter Einsicht über einen Wirkfaktor mancher Behandlung, der sich jeder Systematisierung, Manualisierung und Standardisierung entzieht. Und dennoch … scheint er mir großartig und tröstlich zu sein!
Die Welt ist so leer,
wenn man nur Berge,
Flüsse und Städte darin denkt -
aber hier und da jemand zu wissen,
der mit uns übereinstimmt,
mit dem wir auch stillschweigend fortleben,
das macht uns diesen Erdenrund
erst zu einem bewohnbaren Garten.*
* Quelle: Wilhelm Meisters Lehrjahre VII, 5
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