f Psychogeplauder: Matrjoschka psiccoschista

Donnerstag, 15. Oktober 2015

Matrjoschka psiccoschista



Mütterchen  Russland
liebt  alle  seine  Kinder



Mit den Beziehungen der verschiedenen Seelenheilkundemethoden untereinander ist das so wie bei den russischen Matrjoschka-Puppen;
das sind diese aus leichtem hellem Birkenholz gedrechselten und bunt angemalten Puppen, die du in der Mitte, also ungefähr da, wo die aus Altersgründen nicht mehr vorhandene Taille des symbolisierten alten Mütterchens verläuft, in zwei Teile zerlegen kannst, woraufhin du da drinnen im Mütterchenbauch wieder eine Puppe findest, die du in zwei Teile zerlegen kannst und so fort.
Es geht ja im Grunde schon los bei der Frage, wie man seelische Störungen behandeln soll. Ganz dem Matrjoschka-Prinzip entsprechend gibt es zwei Ebenen, nämlich neben der psychotherapeutischen im weiteren die medikamentöse Schiene, die irgendwann inmitten des vergangenen Jahrhunderts, wenn wir mal von genialischen kräuteraffinen Versuchen der heiligen Hildegard von Bingen absehen dürfen, begann und uns zunächst mit so herrlichen Möglichkeiten wie dem Kindervalium beglückte (damit die Kleinen mal für ein paar Stunden Ruhe geben, wenn Mami und Papi sich den neuesten Humphrey Bogart - Film anschauen gehen). Die Psychopharmaka bargen jedoch die Gefahr, als süchtig machende Klagehemmer zu fungieren, die der Leistungsgesellschaft angepasste Roboter-menschen produzieren, und die Psychotherapie war dazu die demokratische, aufklärerische und menschlich einzig wahrhaftige Alternative. Im argwöhnischen Nachkriegsdeutschland jeden-falls waren die genannten „Luminalettchen“ ziemlich schnell in informierten Kreisen in Verruf geraten, da sie doch eher die bösen vergnügungssüchtigen Eltern als die lieben zuwendungsbedürftigen Schrei-Babies beglückten, so begann also schon in den 50er Jahren die große Ära der Behandlung mit seelischen Methoden, und die erste Klinik für Psychotherapie öffnete in Lübeck ihre vielversprechenden Türen.
Bei den psychotherapeutischen Methoden schieden sich aber auch wieder rasch die sich zahlreich herausbildenden akademischen Experten, denn es gab nun mit der Zeit einerseits Ärzte, die behandelten, und andererseits Psychologen. Das hat sich bis heute als ein gewisser schmelztieglerischer Farbklecks in der heimischen Psycho-therapielandschaft, man könnte auch etwas genauer sagen, als Hoheitsgebiete scharf umkämpfendes Politikum erhalten. Außerdem gab es, wenn du die Ärztepuppe aufmachtest, das Oberteil der internistischen Schule und das Unterteil der psychiatrischen Schule und beide mochten sich aus historischen Gründen draht- und schwingungsmäßig gar nicht und ließen sich, untermauert durch die Gründung eigener sich abschottender Fachgesellschaften, bis heute nur noch äußerst notdürftig zusammenhalten. 
Manche besonders kunstfertig hergestellten Matrjoschkas haben übrigens oft mehr als zehn, in einzelnen Fällen sogar bis zu zwanzig Innenpuppen! Es nahm ja dann auch noch die Lerntheorie mit der Verhaltenspsychologie Fahrt auf und machte der Monopolstellung der Psychoanalyse, von Berlin aus über´s verwöhnte Wirtschaftswunderland der Krankenscheine entsandt, erst noch als „Ausnahmeregelung“, und ab den 80er Jahren hochoffiziell den Garaus. Nun hatte man also zwei höchstrichterlich und wissenschaftlich anerkannte Richtungen der Psychotherapie zu bewundern. Es lagen Welten dazwischen, im Vergleich zu denen die Kluft zwischen Matrjoschkas Unter- und Oberteil, welche man bei der Puppe ja wenigstens passgenau wieder aufeinandersetzen kann, als sei diese aus einem Guss und habe von Teilung nie gehört, leicht überwindbar erscheint. Die wahren, von FREUD und seinen geistigen Kindern und Enkeln geschulten Repräsentanten der Psychotherapie (man sprach gerne, in sich selbst erhöhender Anlehnung an die Genogramme im Biologieunterricht, von der Generation F 1, F2 und so weiter, also ich bin übrigens F 4) bekamen somit Konkurrenz. Eine Weile lang versuchte man, als „Psychotherapeuten“ sich selbst zu bezeichnen und als „Verhaltenstherapeuten“ die anderen, als seien die letzteren gar keine Psychotherapeuten, aber diese hochmütige Wortwahl, gemischt mit moralinsaurer Haltung gegenüber ihrem Entstehungsland des Bösen, den USA, hatte nicht lange Bestand, zumal in der fortschrittlichen, auf breite Versorgung des seelenkranken Bürgers zugeschnittenen Komfortpsychoszene Deutschlands die Verhaltenstherapeuten – aus Sicht der wahren Therapeuten – emporschossen wie diese an sich nicht giftigen, aber im Grunde wertlosen kleinen dürren Pilze, die sich in Massen nach längeren Regenperioden auf wenig gepflegten Grasflächen einfachster Anwesen bilden (Prädikat: genießbar ohne körperliche Schäden). Heutzutage ist das Kräfteverhältnis, schnörkellos berechnet anhand der Zahl der kassenfinanzierten Behandlungen, gerade mal noch eins zu eins, mit Kippgefahr Richtung Verhaltenstherapie, was – aus Sicht der Verhaltenstherapeuten – die längst überfällige Manifestation des Sterbens eines überschätzten alten Mannes und der mit ihm verknüpften absurden Heldenverehrung sowie aller anachronistischen Therapiechaiseslongue dieser Welt darstellt. Apropos Chaiseslongue: vom Oberteil der analytischen Couchtherapeuten und der - na klar - unteren minderwertigen Hälfte der tiefenpsycho-logischen Nichtcouchtherapeuten, die sich beide auf die Lehre vom Unterbewusstsein und den oben genannten alten Mann berufen, möchte ich an dieser Stelle zwecks Vermeiden von Ausuferung nur schweigen.

Als Kind liebte ich Matrjoschka-Puppen, seit ich mal eine von einem Arbeitskollegen meines Vaters geschenkt bekam; oft malte ich mir aus, wie es wäre, wenn in Wirklichkeit die mir geschenkte Puppe gar nicht das intakte Original darstellte, sondern ursprünglich noch eine größere Puppe, die die anderen als Überpuppe beschirmte, existierte, die während ihres langen interkulturellen Transportes durch russische Steppen und den undurchsichtigen DDR-Osten irgendwann abhanden gekommen sei, zumal ich bezweifelte, ob die Leute im fernen Osten beim Versenden von Paketen, also auch von Matrjoschkas, überhaupt so genau wie westdeutsche kleine Mädchen hinguckten, da sie ja, laut meiner kindlichen Phantasie, vielleicht nicht mal Rechenschieber besaßen; ich träumte davon, dass ich diese imaginäre Überpuppe, die alle anderen schutzbedürftigen Puppen umschloss, die ich in meinem Kinderzimmerregal hütete, eines Tages finden könnte. In unserem Falle wäre es leicht, dieser zumindest einen Namen zu geben, es wäre die Behandlungspuppe, die, als ganze, noch nicht unterscheiden würde zwischen Körper- und Seelenbehandlung oder unterschiedlichen konkurrierenden Therapieansätzen, eine Art allumfassender Medizinmann, bei dem Wort fällt mir ein, dass ich die gerade sehr moderne Geschlechterspezifität völlig vergessen habe, es gibt auch Therapiepraxen nur für Frauen und nur für Männer; wir würden mit so einer Behandlungspuppe gedanklich mühelos PLATONs philosophische Gefilde der Seele-Geist-Antithetik durchmessen, und wenn der Blinddarm wüten würde und das Bauchfell schon halb durchlöchert hätte, wüsste die große Urpuppe genauso wie bei einem akuten Beeinflussungswahn durch kosmische Strahlungen sofort, welche ihrer kleinen innewohenden Dienstgeister sie ausschwärmen lassen würde. Es ginge bei der Auswahl strikt um Eignung der Methode und nicht um Eignung des Patienten!

Ich würde die dann ja ziemlich dicke Überpuppe "Matrjoschka terapoticca" nennen in Anlehnung an KLIMTs Hygieìa – Gemälde mit jener etwas rundlichen stattlichen Übermutter-Dame in vollem Ornament und wer was mit welcher Therapieform behandeln würde, wäre der weise abwägenden, zur individuellen Betrachtung fähigen und willigen Beurteilung des Einzelfalles überlassen. Es mag ja ganz menschlich und vielleicht sogar dem notwendigen Schwung der für die Weiterentwicklung erforderlichen Forschungs-arbeit geschuldet sein, dass sich die Behandler unterschiedlicher Provenienzen üblicherweise gegenseitig abwerten, um nicht zu sagen verbal abschlachten, aber so richtig unterhaltsam ist das eigentlich nur im historischen Rückblick, denn wenn du mitten drin steckst wie die vierte von zehn Holzfiguren, ist das meistens doch nur ein beengtes Puppenleben.



Die Göttin Hygieìa  in  vollem Ornament,
jedoch  weise  voraussehend  in  einen  schwarzen  Trauerrahmen  gesetzt,
bewacht  standhaft  die  neuzeitliche  
Medizin-als-Ware-Kultur



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