Ist nicht jeden Tag ein bisschen Halloween ? |
Auch der Therapeut, sonst als hobbyphilosophierender irrelevanter Schwachmat der medizinischen Versorgungs-kette verschrien, hat durchaus Möglichkeiten machtvoller Einflussnahme,
wenn er den richtigen Augenblick erkennt und sich bewusst macht, wie angsterregend die Phantasie entlarvter psychischer Normvarianz für den Bürger von nebenan sein kann.
wenn er den richtigen Augenblick erkennt und sich bewusst macht, wie angsterregend die Phantasie entlarvter psychischer Normvarianz für den Bürger von nebenan sein kann.
Auf die Idee gebracht, mal meine psychoanalytischen Muskeln spielen zu lassen, hat mich ein Architekt. Es fing eigentlich völlig harmlos an, ein Makler hatte mir nach längerer Suche geeigneter Praxisräume schließlich das Souterrain einer ehemaligen Zigarrenfabrik angeboten; Souterrains sind eigentlich nicht so meine größte Leidenschaft, andererseits hatte das Objekt so einen gewissen morbiden Charme und im Untergeschoss das Unterbewusstsein freizulegen, schien mir eine symbolträchtige Idee zu sein. Um eine fundierte Entscheidung fällen zu können, wandte ich mich an einen jungen Architekten, wenn ich es richtig erinnere, war ich an seine Adresse zufällig geraten durch einen Kollegen. Er war blond, blauäugig und wirkte irgendwie ein bisschen verpennt, erst dachte ich, Künstlertyp halt, frühstückt nachmittags um zwei und hat dann, ooops, keinen Kaffee im Haus, aber ich merkte bei den zwei oder drei späteren Gesprächen, die wir führten, dass er weniger künstlerisch als vielmehr melancholisch wirkte. Wahrscheinlich hatte er auch nicht soviele Aufträge, in unserer Kreisstadt baute man für´s Leben und nicht für teure Architekten. Jedenfalls empfand ich mein Anliegen, zu schauen, ob sich aus dem großen Raum zwei Räume und eine Teeküche zaubern lassen könnten, ohne dass zuviel Licht verloren gehen würde, eher als beschämenden Kleinauftrag. Als dann seine Zeichnungen kamen, war ich ziemlich schnell entschieden, die Souterrain-Sache nicht weiter zu verfolgen. Also, sagen wir´s mal so, nur ihm zuliebe einen Umbauauftrag zu geben, schien mir doch ein bisschen zu weit gegriffen in Sachen Deutschland hilft mittellosen Architekten e.V.
Das Problem war: er schickte keine Rechnung. Naja dachte ich, der wartet halt, ob ich nicht doch das Objekt mieten und umbauen will. Ich schob es immer wieder hinaus, ihm zu signalisieren, dass ich die Sache mit der Zigarrenfabrikzweckentfremdung längst abgeblasen hatte, naja, denn dann wäre klar gewesen, mehr als die Entwürfe konnte er an mir nicht verdienen. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus. Ich rang mich zu einem ihn, davon war ich überzeugt, enttäuschenden Schreiben durch (emails gab´s damals leider noch nicht; sie gelten ja als sozialphobische Variante des klassischen Briefs und hätten mir damals hervorragende Dienste geleistet). Ich dachte, den blond-wuscheligen Melancholiker müsse ich, wenn schon nicht durch einen größeren Auftrag, doch wenigstens durch einen netten kleinen Joke erheitern, und so schrieb ich doch tatsächlich, sehr geehrter Herr Blondwuschel, wenn Sie mir nicht bald eine Rechnung schicken, dann muss ich Ihnen eine kostenlose Stunde auf der Analysecouch anbieten! Als Scherz gemeint war´s , aber er hat das wohl als Drohung verstanden. Jedenfalls war umgehend seine Rechnung da, übrigens saftig und gar nicht melancholisch. Allein die Aussicht auf die Couch hatte ihn offenbar in Nullkommanix mobilisiert.
Viele Jahre später, die Praxisräume waren längst gefunden und in der Zwischenzeit sogar schon einmal gewechselt worden, musste ich an dieses Ereignis denken: es war mittags, Viertel nach Eins, und ich hatte gerade meine Pause. Da klingelte es. An der Sprechanlage waren zwei eher mädchenhaft klingende Fiepsstimmen, die verkündeten, „Ist ein Arzt da ?“ – Ich gab zu bedenken, dass ich nur so etwas ähnliches wie ein Arzt sei, ließ die beiden aber reinkommen: eine ca 17 jährige dunkelblonde, stark belidstrichte Schülerin und ihre ca 17 jährige dunkelblonde, stark belidstrichte Freundin. Noch im Stehen unter der Türe fingen sie an, ihr Anliegen zu formulieren, wobei stets eine den begonnenen Satz der anderen japsend zu Ende führte. Ziemlich schnell schälte sich der Fokus ihrer Spontanaktion heraus: die eine wollte ein Attest, weil ihr Mathelehrer Scheisse war und sie die morgige Scheissklassenarbeit nicht mitschreiben wollte, und die andere war dabei für den Fall, dass ihre Freundin von einem Scheissärzteungeheuer aufgefressen würde. Man wusste ja nie. Irgendwie hatte ich mich kurz geärgert, von den beiden auserkoren, um nicht zu sagen, vergackeiert zu werden, aber dann kam mir die Architektenwuschelsache in den Sinn und die böse Hexe in mir bat mit strengem Blick die eine der beiden in mein Sprechzimmer. Die andere solle, bitte, im Wartebereich Platz nehmen. Ich merkte schon, dass der höhere Gang, den ich gerade eingelegt hatte, die beiden kessen Gymnasiastinnen leicht verschüchterte, aber ich hatte längst sadomasochistisches Blut geleckt. Ich fragte dann die Attestsucherin ein bisschen aus, also wie es ihr gehe, ob sie Schlafstörungen, Alpträume, Selbstmordgedanken und so weiter habe; sie beeilte sich, zu allen erfragten Beschwerden sofort energisch mit „nein“ zu antworten. Dann legte ich mit einem strengen Vortrag los. Nur weil meine Praxis gegenüber einer Schule liege, könne man nicht einfach mal klingeln, weil da ein Schild mit „Psychoirgendwas“ hänge, und mal eben ein Attest absahnen. Wenn es ihr schlecht gehe, würde ich sie aber gerne an einen bösen richtigen Arzt weiterverweisen, der sie beobachten werde, ha, und beurteilen, ob die Scheissmathearbeit nur die Spitze eines endlosen Psycho-Eisbergs sei. In dem Moment klopfte der optische Zwilling an die Tür, ihr war offensichtlich mulmig geworden, da sie die Urheberin dieser genialen Wir - klingeln – mal – beim – Psychomann – Idee gewesen war und sie ihre Freundin schon als mit Äther betäubtes Psychiatrieopfer angeschnallt auf irgendeiner Pritsche stöhnend wähnte. Die beiden trotteten, mir versichernd, dass es ihnen gut gehe und die Scheissmathearbeit vielleicht ja doch nicht so schwer sei, wieder ab. Unten gackerten sie im Treppenhaus, wo, offenbar zum allgemeinen Was-geht-ab-entertainment, noch zwei weitere Lidstrichträgerinnen die ganze Zeit gewartet hatten. Zwar hatte mir die Sache meine Mittagspause gekostet, doch hatte ich endlich mal wieder das Gefühl, die Zähne fletschen zu können anstatt selbige nur zusammen zu beißen. Wunderbar! Von Schülerinnen des Gymnasiums schräg gegenüber wurde ich übrigens seit diesem Vorfall nie mehr heimgesucht.
Mein letztes Opfer habe ich, im Gegensatz zum Architekten und zu den Schülerinnen, aktiv ausgespäht und systematisch geknebelt. Es ist der Paketbote. Seine Angewohnheit, sich irgendwie ins Haus zu schleichen und dann bei mir ohne Umschweife ins Therapiezimmer einzufallen, habe ich ihm mit Hilfe einer einzigen trockenen Begrüßung abgewöhnt: Kommen Sie herein, sind Sie der neue Patient? Der Mann setzt seither Päckchen und Pakete mit bebenden Händen an der Innenseite der Eingangstüre ab und begibt sich nicht weiter als 25 Zentimeter ins Innere meiner therapeutischen Gemächer.
Süsses oder Saures ! |
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