f Psychogeplauder: Breffkast

Dienstag, 19. Januar 2016

Breffkast


Melancholische  Frühstücksvariante  im  Stehen,
mit  Blick  auf  Juwelen *


Bei der Ernährungsberatung wie auch in der Psychotherapie sollte verdeutlicht werden, dass dem Frühstück etwas Besonderes anhaftet. An einem noch leicht kühlen Spätfrühlingstag landete ich mal ohne Vorbuchung auf dem Flughafen der griechischen Insel Santorini,
und da die Saison eigentlich noch gar nicht richtig begonnen hatte, umgaben mich gleich mehrere griechische Taxifahrer. Sie warben nichtsprachlich mit Farbphotos geeigneter Unterkünfte und sprachlich, basierend auf gebrochenem Englisch, mit einem mehr oder weniger frei phantasierten Festpreis für die Taxifahrt; es ging um die Kriterien Preis pro Nacht, wieviele Betten pro Unterkunft und – mit oder ohne Breffkast. Die Sache mit dem Breffkast habe ich übrigens erst einen Tag später, als die erste Unterkunft längst gewählt war, verstanden. Das war das Frühstück, bestehend aus Margarine in fettstoffwechsel-ankurbelnden Mengen, männerdaumendicken Weißbrot-scheiben mit Aprikosenmarmelade sowie aus einem hinsichtlich seines Grundbestandteils gerade eben nicht mehr sicher definierbaren Kaffees. 

Dem Frühstück wohnt ein Zauber inne; das zeigen allein schon solche Werke wie Frühstück bei Tiffany (eine 1961 legendär verfilmte Liebesgeschichte zwischen Holly, Paul und einer regennassen Katze), Frühstück zu zweit (eine Apologie der klassischen Geschlechterschemata, noch heute zu genießen als kleines Video, dargeboten von der bayerischen Kult-Comedytruppe „Die Feuchtgrubers“, die jahrelang auf Antenne Bayern zu hören war) oder auch Die Unfähigkeit gemeinsam zu frühstücken (ein psychoanalytischer Wachrüttler zur Frage weiblicher Beziehungsstörungen, geschrieben 1989 von Mathias Hirsch).  Und wenn du dir einmal die Mühe machst, über die Phänomenologie und Psychopathologie des Frühstücks nachzudenken, anstatt es bloß zu verspeisen, wirst du feststellen, dass es für einen Psychotherapeuten ein – pardon! – gefundenes Fressen darstellt. Es ist aus psychologischer Sicht nicht nur deshalb so interessant, weil es anschauliche diagnostische Schlüsselmomente zum Verständnis individueller Psychopathologien birgt; sondern es eignet sich darüber hinaus auch als stabilisierendes Therapeutikum für quasi sämtliche Ichfunktionen des gesunden wie des kranken Menschen, die den Gesamtvorgang des Frühstücks von daher als wesentliche Alltagsressource erscheinen lassen. 

Das Frühstück ist, zu allererst, ein zuverlässiger identitätsstiftender Faktor; so könnte man mühelos jene Fernsehsendungen mit einer Breffkast-Folge anreichern, bei denen Ehepartner erraten müssen, was der andere zuvor ohne ihr Wissen dem hochamusierten Publikum bekundet hat („ich nehme nie mehr als ein Brötchen, und das muss ohne Mohn und ohne Sesam sein, allenfalls Kürbiskerne gehen, und das innere wird rausgewurschtelt und am Schluss mit der Restmilch getränkt der Katze gegeben“). Es würde hierfür auf der Showbühne ein All-you-can-eat-Buffet auf Vier-Sterne-Plus-Niveau aufgebaut werden und der geplagte Ratende würde befragt, was denn nun sein langjähriger Partner davon ausgewählt hätte. Dabei gibt es ja gerade bei den Frühstücksbuffets in Hotels oft wahnwitzige Überraschungen. Dies für den Frühstückenden selbst, der plötzlich seine Marotten durchbricht und astronautengleich orientierungslos zu früher Stunde durchs Frühstücksraumall schwebt, als auch für seinen erstaunten Begleiter, der seinen Liebsten plötzlich Rühreier mit komischen englischen Würstchen verspeisen sieht und hinterher noch zwei Nougatcroissants. Hat man da etwas bei ihm übersehen? Und wenn ja, was noch alles? Das Frühstück erleichtert jedoch nicht nur die Identitätsfindung, sondern ist auch ein nahe dem Hausbau anzusiedelndes archaisches Symbol für Stabilität und Geborgenheit, also das, was die Psychoanalyse mit Begrifflichkeiten wie Objektkonstanz und sicherer Bindung benennt; nicht umsonst sprechen wir im Zusammenhang mit unseren Frühstücksgewohnheiten oft von „ausgiebig“, „gemütlich“ (jedenfalls am Wochenende) sowie in auffälliger Anhäufung von Possessivpronomen von „meiner Zeitung“, „meinem Kaffee“ und „meinem Müsli“, letzteres gibt´s neuerdings als internetgängige Lebensgestaltungs-hilfe zur Zusammenstellung des eigenen Getreidebreis. Jeden Ersten des Monats kommen dann 30 Packungen à 37,5 g mit oder ohne böses Gluten und in den Monaten mit 31 Tagen Dauer kannst du als Abonnent dann 24 Stunden lang sehen, wo du bleibst. Ein weiteres Motiv blitzt auf, das wir als Impulssteuerung und Kontrolle bezeichnen können (man entscheidet sich für Menge, Art und Anbieter und zieht das dann auch gewohnheitsmäßig durch, unter Umständen mehrere Jahre oder Jahrzehnte). Die Fähigkeit des Verzichtes ist in der Bereitschaft zur Entscheidung (darüber, was man alles nicht frühstückt) unschwer erkennbar und deutet in der Regel daraufhin, dass das Individuum, hier und im weiteren als Frühstücker tituliert, die depressive Position erreicht hat und trauern kann (sogenannte Affekttoleranz). Wie gesagt, ist diese letztere Fähigkeit nur in der Regel abrufbar und kann unter Belastung, beispielsweise bei Exposition in die Nähe eines bereits pauschal bezahlten Buffets, dahinschmelzen wie Butter in der Sonne. 

Dass man Schüler höherer Klassen und Studenten, die diesbezüglich offenbar über mehr finanzielle Möglichkeiten verfügen als Berufstätige, häufiger in Bäckereien als zuhause bei Mutti oder in der WG-Küche frühstücken sieht, hat wohl seinen Ursprung in der klassischen Entwicklungsdynamik und im Konfliktthema der adoleszentären Ablösung (Hänsel-und-Gretel-Motiv). Man will nicht mehr von der genetischen Mutter bekocht werden, andererseits noch eine Übergangsmama in Form einer netten dauergewellten Bäckereifachverkäuferin als Aufstehhilfe für den feindlichen Tag nutzen und dann gefragt werden, „hallo, guten Morgen, wie immer?“. Fortgeschrittenen des out-of-home-Frühstücks fällt nach einiger Zeit dann die Enge und Miefigkeit der von ihnen erkorenen Bäckerei auf, alte Mutter- beziehungsweise Küchenübertragungen kommen wieder hoch, und sie gehen dann mehr und mehr zur to-go-Variante über, dem adoleszentären Pendant des Mütterherzen schändenden Kurzdialogs von der Sorte „nee, du, danke, kein Appetit, kannst ja den Hefezopf einfrieren, ich muss los“, wobei sie sich dann im Stehen zu einem Schluck Heissgetränk zwischen Küchentür und letztem Blick in den Flurspiegel (Gelfrisur) herablassen. An dieser Stelle soll nicht veschwiegen werden, dass im Zuge einer ubiquitären problematischen Entwicklungsverzögerung die adoleszentäre Phase häufig nicht mehr überwunden wird, was erklärt, dass wir in westlichen Industriegesellschaften auch 40-, 50- oder 60-jährige Frühstücker zu Hauf am Tresen angelehnt oder auf raumsparenden Metallstühlen sitzend den ganzen Tag über in Bäckereien vorfinden können.

Das eigentliche Substrat des Frühstücks, sagen wir, die hardcore, verkörpert ein entscheidendes Entree´ in den Tag mit weichenstellenden Potenzen. Ist der Tee zu zu dünn, der Kaffee zu kalt oder fälschlicherweise mit, fälschlicherweise ohne oder mit der verkehrten Milch (Kaffeesahne statt Büchsenmilch!) versehen, kann´s eng werden mit der seelischen Ausgeglichenheit. Wenigstens morgens um sieben soll die Welt noch in Ordnung sein. Ich kenne einen Mann, der frühstückt eigentlich nicht, sondern trinkt ein aus sechs Zutaten zusammengestelltes Mischmaschgetränk, das mir irgendwo angesiedelt scheint zwischen Amaretto und Muttermilch. Dieses Frühstück („es muss sämig sein“) kriegt er morgens unaufgefordert ans Bett gebracht. So wie früher die Queen Mum den early morning – tea.  Es ist mir nie klar geworden, ob es ihm eigentlich um das Getränk geht oder um den Akt des Anreichens. Er behauptet, um das Getränk. Wahrscheinlich ist seine Antwort ehrlich, ich habe beobachtet, dass an den äußerst seltenen Tagen, an denen ich noch tief schlafe oder morgens fiebrig erkältet aufwache, er offenbar in die Küche schlurft, um sich sein sämiges Urgebräu selbst zuzubereiten (archaische pränatale Dimension, vorsprachlich und in diesem Rahmen nicht weiter erörterbar). 

Hochschwierig, aber auch überaus reizvoll aus voyeuristischer, also auch psychoanalytischer, Sicht, sind meines Erachtens diejenigen Frühstücke einzuschätzen, die sich an gemeinsame Erstnächte anschließen. Wer sagt zuerst, was er will? Ist das, was er will, überhaupt verfügbar? Und wenn ja, schmeckt´s, von fremder Hand zubereitet statt von der eigenen, nun besser oder schlechter? Um die erotische Doppelbödigkeit des Danach-Mahles nun vollends auszukosten, muss auch gefragt werden, ob man eigentlich als lover bestens abschneiden und wenige Stunden später als Frühstücker nochmal alles verderben kann. Und soll man dabei reden? Wenn ja, was? Wie man heißt, wo man wohnt, ob man Veganer ist, bittere Konfitüre mag oder Zucker im Kaffee? Eine Freundin erzählte von einem one-night-stand mit einem Fernsehmoderator, der es offenbar nicht fertigbrachte, ihr ausreichend verdaulich mitzuteilen, dass es das mit ihr für ihn jetzt doch nicht sei. Abgesehen davon, dass manche Menschen auffallend häufig für diese Beurteilung erst noch ein Horizontalerlebnis einschalten müssen, so wie die Probefahrt beim Gebrauchtwagenkauf, stellt sich doch die Frage, ob es nicht eleganter gegangen wäre als mit der trockenen Feststellung, sich vom Laptop aus Richtung Bett drehend, wenn du noch frühstücken willst, in der Küche ist Kaffee und im Kühlschrank alles, was du sonst noch brauchst (eben nicht, du Idiot!). Ich muss arbeiten und hab´ keine Zeit mehr. Anhand dieses unsäglichen und, ich muss es so sagen, menschlich kargen Beziehungsgesprächs (schizoide oder gar promiskuitive Entwicklung?) lässt sich nach alldem, was ich über das Frühstück bereits darzulegen versuchte, unschwer ableiten, dass sich bei jenem telegenen Manne das seltene, aber wachsende Phänomen des Alpha-Tierchen-Frühstücks beobachten ließ. Dieses setzt sich zusammen aus zwei Tässchen Espresso, die einer chromglänzenden 1800 bar - Hochdruck - Edel-Siebträgermaschine entweichen, sowie einer Kapsel eines Multivitaminpräparates mit dem kampferprobten Namen daily vitamin energy power support shot. Derlei Pillen gibt es übrigens in männer- und in frauenadaptierter Zusammensetzung. Können also im engeren traditionellen Sinne gar nicht mehr „gemeinsam“ verfrühstückt werden. Spätestens hier beschreiten wir eine tief existenzielle Ebene, deren weitere Auslotung wir lieber der Chemie überlassen.



*  Filmszene mit der Hauptdarstellerin Audrey Hepburn aus: „Frühstück bei Tiffany“, Regie Blake Edwards, Autor Truman Capote, 1961

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