f Psychogeplauder: Love me tender (Schmerzensschreie III)

Sonntag, 6. März 2016

Love me tender (Schmerzensschreie III)



Der  Patientenratgeber
"Mein  Schmerz - mein  Leben"
erklärt  die  tender  points.
(Eigenverlag,  mit  heraustrennbarer  Kopiervorlage).

Die Schmerztherapie ist ein extrem holperiges Gelände. Nach den Beiträgen "Schmerzensschreie" (Juni 2015) und "Fokusfindung" (Feb. 2016) hatte ich eigentlich vor, Kreide zu fressen
und stumm meine Arbeit zu machen. Aber der weitere Verlauf bei Frau W., die du ja schon kennst, zwingt mich, erneut apodiktisch Stellung zu beziehen. Der dritte Beitrag zum Thema, und das auch noch widerwillig. Habe überlegt, um diesen abwechslungsreichen Psychoblog nicht ständig mit dem Thema Schmerzen zu beschweren, hier einen Zweitblog zum Thema Schmerztherapie aufzumachen. Andererseits, den Zweitblog würden ja eh genau die Falschen lesen. Die wahren Adressaten kämen ungeschoren davon und würden weiter anderswo ihre Wolle verkaufen.

Die Protagonisten sind wenigstens gleich geblieben, so dass du dich beim Lesen nicht weiter umstellen musst: Wikiwaki, die Powerfrau, die es schafft, das Medizinsystem anzukurbeln, und ihre behandelnde Nervenärztin B. Um das Pfui-Wort nicht aussprechen zu müssen, nennen Schmerzpatienten ihren Psychiater gerne Neurologe, immerhin sagt Wikiwaki: "Nervenärztin", da sind wir bei der Problemformulierung doch schon einen Schritt weiter. Wikiwaki war ja jetzt beim Rheumatologen, ewig auf den Termin gewartet, dieser beschreibende Hinweis fällt bei jedem Bericht zur Verkapptes-Rheuma - Aktion zuverlässig wie der Qualitätshinweis brut auf der Schampusflasche. Die Verkapptes-Rheuma-Aktion war von Nervenärztin B geheimtippmässig eingeleitet worden. Wikiwaki hatte sich vorher im Internet schlau gemacht, weil für solche sich selbstinformierenden Patienten sollen zukünftig bei der Krankenkasse Beitragsabschläge bis zu 0,03 Prozent herausspringen. Und was sie da gelesen hatte, ließ ihr pumperlgesundes Herz eine Oktave höher schlagen. Da standen nämlich die Beschwerden im Internet, unter denen sie litt! Und zwar genau. Haargenau! Müdigkeit, Schmerzen am ganzen Körper, so ein Ziehen, manchmal auch mehr ein Drücken. Und dann ... stieß Wikiwaki auf die tender points, und die tender points schlugen bei ihr ein wie der Blitz. Ein coup de foudre nach monatelangem Wüstenmarsch durch die Steppe der ärztlichen Nicht-Erkenner.

Der tender points-Entdecker Frederick Wolfe, ein vor 25 Jahren zu Berühmtheit gelangtes Mitglied der amerikanischen Rheumaliga, hatte rausgekriegt, dass es den Patienten wehtut, wenn man da draufdrückt (auf die tender points) und dass das Phänomen die neue Diagnose „Fibromyalgie“ erhärten helfe. Es tauchten in exorbitanter Häufung Fibromyalgie-Diagnosen auf und in ebenfalls exorbitanter Häufung wurden Selbsthilfegruppen gegründet von betroffenen schmerzgeplagten Patienten, die – genau wie Wikiwaki – ihrer Odyssee durchs Medizinreich nun endlich einen Heimathafen entgegensetzen konnten. Wolfe erreichte Kultstatus, und alle waren dankbar, dass er die Schmerzen als Körperkrankheit betrachtete. Die Patienten dankten es ihm, weil ihnen nichts unangenehmer war, als auf etwaige seelische Zusammenhänge angesprochen zu werden, und die Orthopäden, Rheumatologen und Hausärzte dankten es ihm auch, denn nun konnte medizinisch endlich mal was geschehen! Selbst die Psychotherapeuten waren erleichtert, hatten sie doch eine Rechtfertigung, die Fibromyalgiepatienten, die Opfertierchen ohne Ende waren und bei vorsichtiger Formulierung etwaiger seelischer Konflikte wie angeschossene Rehe aus der Praxis hinkten, nunmehr den somatischen Behandlern übergeben zu können wie potentielle Briefbomben im Kuvert.

Ich hatte Wikiwaki dezent vorgewarnt; der Rheumatologe würde möglicherweise keine Fibromyalgie diagnostizieren. Auch wenn sie sich jetzt schon darauf eingestellt habe. Der ganze Fibromyalgieboom ist nämlich längst abgeflaut. Frederick Wolfe, der Kultdoktor, hatte sich öffentlich 2003 entschuldigt für seine tender points- Theorie, und eingeräumt, dass es den Schmerzpatienten überall wehtue und diese Druckpunkte für eine Krankheitsdiagnose soviel taugten wie ein Rasenmäher zum Staubsaugen. Heutzutage sehen die Psychos unter den Medizinmännern die Sache eher als seelische bedingte Schmerzstörung an und nicht als besondere Muskel- und Sehnenerkrankung besonderer Menschen mit besonderen Msukelspindeln. Das habe ich Wikiwaki allerdings erst mal nicht gesagt, ich dachte, soll´s doch der Rheumatologe 35 Kilometer weiter erst mal richten. Denn die Enttäuschung ist schon riesig manchmal, wenn der Fibromyalgiker – hier gibt es eine bewaffnete und eine unbewaffnete Untergruppe – mit möglichen seelischen Aspekten seiner Schmerzen  konfrontiert wird. Bei den Bewaffneten ist Wolfe weiterhin ein Kultdoktor. So wie Heino; eigentlich etwas veraltet, aber wer´s mag, geht weiter zu seinen Konzerten. Ich muss sagen, Heinos Stimme ist immer noch warm und sonor und man kann sich in sie verlieben. Die Bewaffneten sitzen zum Beispiel heimlich in den hinteren Reihen bei Ärztefortbildungen und haben einen alternativen Patientenratgeber in der Hosentasche, für den Fall, dass einer der Diskutanten oder, schlimmer noch, der Hauptvortragende was von Psycho erzählt. Dann stehen sie sogar manchmal auf, ganze Stuhlreihen, und mischen sich empört ein. Ob es schon mal Verletzte gegeben hat, weiß ich nicht mit Sicherheit zu sagen, es wird aber so allerhand getuschelt. Es gibt viele IGEL-Leistungen für die Alt-Fibromyalgiker, angeboten von Ärzten, die diese Patienten gnädiger- und einfühlsamerweise da abholen, wo sie stehen, nämlich bei einer rein somatischen Krankheitstheorie. Da kannst du als Fibromyalgiker in Kältekammern oder Wärmekammern gehen, das sind so Kabinen in den Praxen, und kriegst Ernährungstipps, Nahrungsergänzungsmitteltipps und Zeit. Diese Ärzte gehen nämlich wirklich ein auf den Patienten. Und in seinen Geldbeutel.

Am coolsten finde ich die Ratschläge eines Fibromyalgiespezialisten aus der nahegelegenen Universitätsstadt, wo ich mal einer Fortbildung für Therapeuten lauschen durfte. Neben der Patientenabholungs-empfehlung hatte er einen wertvollen Tipp für den Umgang der Patienten mit ihren Ehepartnern. Denn an schlechten Tagen stünden sie schon morgens auf mit Schmerzen und es sei eine zu große Belastung, da noch verbal mit dem Angetrauten zu kommunizieren. Hier böte sich die Anschaffung je eines kleinen grünen und roten Halstüchleins an. Zumeist seien ja Frauen befallen, und von daher sei es naheliegend, durch Kleidungsaccessoires zu signalisieren, ob heut ein guter Tag (grün) oder ein schlechter Tag (rot) zu erwarten sei. So werde der Partner ohne Worte sekundenschnell ins Bild gesetzt und könne sich darauf einstellen, den Kranken entsprechend zu unterstützen und ggf. zu schonen.


Ich selbst habe mich in den letzten Jahren von einer drohenden Spezialisierung für Fibromyalgiker innerlich befreit, da ich zunehmend unter drückenden Muskel-schmerzen litt; ich behandle jetzt bevorzugt die geplagten Partner bewaffneter Fibromyalgiker und ich muss sagen, ich habe gute Erfolge, weil ich ihnen vermittle, dass sie sich nicht schämen müssen, wenn sie die Situation gelegentlich so empfinden, dass Partner mit Schmerzkrankheiten in vereinzelten Fällen ein bisschen nerven.



4 Kommentare:

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