Neulich ist Wikiwaki wieder bei mir aufgetaucht. Über Frau Wikiwaki hatte ich im Juni 2015 in meinem post „Schmerzensschreie“ berichtet. Da klang ich ja wohl etwas arg optimistisch,
wenn ich das heute nochmal so durchlese, diesen brutalen Rundumschlag gegen die Simpel der medizinischen Versorgungskette. Denn letzten Juni hatte ich noch gedacht, jetzt ginge es richtig los mit Wikiwaki und mir, ich sei ihre Rettung, und hatte einen Antrag auf Kostenübernahme gestellt und einen langen Bericht an den Gutachter geschrieben, und der war auch ganz meiner Meinung, dass die schmerzgequälte Frau nix braucht außer Psychotherapie. Und zwar dringend. Aber kaum hatten wir euphorisch begonnen, stellte sich Wikiwaki auf stur und gar-nicht-lieb und sagte mir, meine Fragen zu ihrem Exmann, die seien problematisch für sie, sie merke genau, dass ich das nicht gut fände, dass er so oft in ihrer Küche rumhänge, aber das brauche sie, dass sie da so ein gutes Verhältnis hätten seit ihrer Scheidung, und überhaupt, ich hätte das zwar nicht direkt gesagt, aber sie wisse, dass ich es denke, dass da zu wenig Abstand drin ist, aber sie wolle daran jetzt nix ändern. Sie habe schon genug mit ihren Schmerzen zu tun. Ich meinte, woran wollen sie denn etwas ändern, und Wikiwaki fing an zu schwimmen, weil sie genau wusste, wenn sie jetzt sagen würde, sie wolle ihren Schmerz ändern, würden wir im Kreis gehen. Ich seufzte dann, na gut, dann suchen wir einen neuen Auftrag, ein Ziel für die Behandlung. Ich scheue Fremdwörter und Fachjargon bei Patienten wie der Teufel das Weihwasser, aber ich kann´s jetzt nicht wirklich ausschließen, dass ich auch das Wort Fokus mal hab´ fallen lassen in diesem State-of-the-art-Gespräch. Aus Versehen halt, oder weil mein Therapeutenego von hundert auf 15 abrutschte und wenigstens den passageren irdischen Glanz eines Fachworts brauchte, weil offensichtlich war, dass Wikiwaki ihren eigenen Kopf hatte. Da wir uns auf die Schnelle nicht auf ein neues Therapieziel einigen konnten, bat mich Wikiwaki, erstmal eine Pause machen zu dürfen (wovon?), da sie überlegen müsse, was sie denn nun eigentlich von mir wolle. Das fand ich ernüchternd, aber auch irgendwie gut.
Und kurz vor der Adventszeit tauchte sie dann wieder auf. Ja, sie habe länger gebraucht. Es gehe ja um ihren Fokus. Ich tat erstaunt, konnte nicht glauben, dass sie mir mit diesem Fremdwort daherkommt, das passte nicht zu ihr; andererseits gibt es ja gerade diese Werbung mit dem Bayern-Torwart und dem schnellsten Autofokus der Welt, also ich kann mir schon vorstellen, dass Wikiwaki da jeden Tag an einem Elektromarkt vorbeiläuft und irgendwann dachte, was der Neuer kann, das kann ich auch. Ehrgeizig ist sie, ohne Frage. Eine Frau, die am Ball bleibt sozusagen. Sie habe über den Fokus hin- und herüberlegt. Sie sei sich sicher, es gäbe einen. Aber sie wolle das nochmal mit mir durchsprechen, bevor sie sich festlege. Sie erkenne ihn einfach nicht.
Wikiwaki gab mir dann erstmal eine Kurzinfo zum zwischenzeitlichen Stand; sie habe zweimal Spritzen bekommen, das sei grauenhaft gewesen, und habe einmal ein neues Schmerzmittel erhalten, das sie überhaupt nicht vertrug, bei einem Klinikspezialisten, wohin sie die Nervenärztin B, du kennst sie schon, geschickt habe, weil die in der Schmerzambulanz in der Nacharstadt nicht mehr weiter wussten. Nervenärztin B habe ihr außerdem einen Termin bei einem wirklich guten Rheumatologen gemacht, weil es könne ja sein, dass das Ganze ein verkapptes Rheuma sei, allerdings sei der Termin erst in dreieinhalb Monaten, man müsse ja solange auf die Facharzttermine warten, es sei schlimm. sie müsse sich dorthin fahren lassen, das seien immerhin 35 Kilometer, und jetzt rate mal, von wem. Ich fragte, wann sie wieder bei der genialischen Frau Doktor B einen Termin habe. In zehn Tagen sei es soweit, sagte Wikiwaki und klang wie Marie-Antoinette in den Tagen vorm Schafott.
Ich fragte, wie man so fragt, absichtlos-absichtsvoll Gibt´s Probleme? und Wikiwaki sagte mir, sie wolle auf keinen Fall nocheinmal in die psychiatrische Tagesklinik, und genau das habe Doktor B bei ihrem letzten Sprechstundentermin schon angedeutet. Warum nicht? fragte ich betont desinteressiert und erfuhr, das sei ja alles ganz gut gewesen damals in der Tagesklinik, aber sie wisse genau, eine Wiederholung bringe sie nicht weiter, und die Körperübungen, die sie dort gelernt habe, mache sie jeden Morgen selber. Sie habe schon richtig Angst vor dem Termin Frau Doktor B. Die erwarte nämlich, dass sie wieder in die Tagesklinik gehe, und habe schon vorgefühlt, weil sie dort einen Kollegen vom Studium her kenne. Warum sagen Sie Ihr nicht, dass Sie das nicht wollen? Wikiwaki guckte mich an, als hätte ich ihr einen gemeinsamen Geldtransfer nach Luxemburg vorgeschlagen und es brach ein Wildbach aus ihr hervor: das sei es, genau das. Wie jetzt, kapier´ ich nicht! warf ich ein, um die sich anbahnende Selbsterkenntnis auszukosten bis zum letzten. Naja, dass sie so oft Sachen machen würde, die sie gar nicht wolle. Und jetzt falle es ihr siedend heiß ein: das sei er, der Fokus.
Wir vereinbarten, dass unser Therapieziel nicht sei, den Schmerz auszurotten und auch nicht, die Ursache der Schmerzen dingfest zu machen. Ebenfalls nicht, wie sie mit den Schmerzen leben könne. Das könne sie ja schon. Sondern unser Therapieziel sei es, wie sie am besten mit den Behandlern leben könne. Supergenial. Noch genialer als Frau Doktor B mit der Rheumaverkappungstheorie! Wikiwaki war völlig beschwingt und zog von dannen. Ich fürchte, ich werde weiter berichten.
Ich will unbedingt wissen, wie das weitergeht!!!
AntwortenLöschenIch habe ähnliche Fälle, bei denen ich mich auch mit so einem "Dr. B." und der ganzen Palette der Besserwisser in unserem Medizinsumpf rumschlagen muss.
Und meine Kolleginnen sind auch schon ganz gespannt. Es tut so gut, mal von der nackten Realität zu hören und nicht nur die aalglatten Superverläufe in Vorzeige-Therapien.
Mit einem ermutigenden Weiterso und dankbaren Grüßen von Deiner Fan-Group aus Stuttgart.
Liebe Fan-Group aus Stuttgart! Es tut so gut, mal von Leuten aus der wahren Realität zu hören, wie sie meine Erfahrungen so einschätzen! Die Fortsetzung zu den "Schmerzensschreien" kommt - versprochen, und wie ich die Sache sehe, wird´s wieder spannend mit Wikiwaki. Bis dahin wünsche ich Euch alles Gute im tiefen Dschungel des Therapeutendaseins.
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