f Psychogeplauder: Selbstversuch

Freitag, 10. Juni 2016

Selbstversuch





Die Psychotherapeuten gehören zu denjenigen aufopferungsvollen Leistungserbringern unseres Gesundheitswesens, die sich erst selbst ihrer angepriesenen Methode unterziehen
müssen, bevor man sie auf die neurosengeplagte Menschheit loslässt. Das ist ziemlich revolutionär und im Grunde ausgesprochen verbraucherfreundlich; das dahinterstehende Prinzip kannst du dir in etwa so vorstellen wie die Tierversuche bei Kosmetika, also, nur wenn der Hamster oder die Maus die neue Sonnencreme nicht mit schrecklichen Todeszuckungen beantwortet und sich auch nicht, zwar lebendig bleibend, unangenehm blau–türkis verfärbt, hat die Tube mit dem Namen golden sun eternity überhaupt eine Chance, in den Verkaufsregalen zu landen. Als älteres Schulkind las ich einmal mit Begeisterung die Autobiographie eines Chirurgen, die hieß „Selbstversuch“ und da schildert der begnadete heroische Doktor, wie er sich selbst einen Herzkatheter schob. Aber insgesamt ist so etwas in der Medizin die Ausnahme geblieben, sehen wir heutzutage mal ab von irgendwelchen schnüffelnden Anästhesisten mit Suchtproblemen; wer will auch schon an sich selbst lernen, wie ein künstlichen Darmausgang angelegt wird – oder sich eine neue Augenlinse einsetzen, irgendwann reicht´s ja auch mal mit dem praktischen Anforderungsprofil des Studiums. Es halten für Linsen zum Beispiel oft Schweine her. Apropos Schwein. Bei der Psychotherapeutenausbildung muss, wie oben angedeutet, das arme letztere Tier seine Therapiemethode zwar nicht am eigenen Leibe, dafür an der eigenen Seele durchlaufen, immerhin muss es sich nicht selber therapieren, sondern das macht der sogenannte Lehrtherapeut. Man liegt oder sitzt also in der Patientenrolle und begegnet seinen dunklen Ecken, die einen einmal in früheren Lebensphasen, an die man sich nicht mehr gerne erinnern mag, bewogen haben, die Sache mit der Psychologie „ganz interessant“ zu finden, und irgendwann später hatte man sich darauf eingelassen und da findet man dann so schnell nicht mehr raus. Tatsächlich gibt es wenige Abbrecher, wenn du das mal mit Lehramtsstudenten der Pädagogischen Hochschule („das Studium fand ich toll, aber am Ende wurde mir klar, dass das mit den Schülern nicht so mein Ding ist“) oder mit so manchem den Wünschen seines erfolgreichen Vaters ergebenen BWL-Studenten einer Elite-Uni vergleichst. 

Bei der Bewertung der Lehrtherapie streiten sich die Geister; die einen meinen, sie sei ungeheuer wichtig, damit der sich später in seine Arbeit stürzende Therapeut zum Juwel poliert worden ist und quasi in Bestform sein Lebenswerk antritt. Die anderen meinen, das Ganze sei ein bisschen übertrieben und wenn jemand 1000stündige Lehrtherapie hinter sich habe, bezeuge das eher, dass er durchhaltefähig, ein großzügiges Erbe erhalten und/oder knackneurotisch sei, als dass er jetzt einem seelengereiften Fünfkaräter gleich-komme.  Noch umstrittener ist die Frage, worauf es technisch bei der Durchführung eigentlich ankomme; soll der Therapeut lernen, wie seine Methode praktisch funktioniert (also das Experiment wagen, ob er nun einen Sonnenbrand bekommt oder nicht) oder soll er vor allem lernen, wie er selber tickt (sich in die Einzelteile zerlegen wie der Chemiker den Tubeninhalt)? Jedenfalls wird einem Angst und bange, wenn man sich vor Augen führt, dass beides beim angehenden Therapeuten in eine Pflichtveranstaltung während der Ausbildung hinein-gedrückt wird wie die angetrocknete Gurkenscheibe ins Sandwich, wo wir doch bei den echten Patienten immer so viel Wert darauf legen, dass sie wirklich motiviert sind und wir während der Ausbildung  gelernt haben, uns die Frage stellen, warum der Patient gerade jetzt kommt. Der Teilnehmer der Selbsterfahrungs-veranstaltung kommt natürlich gerade jetzt, weil er seine Ausbildung machen möchte und die Richtlinien hierfür den Zeitpunkt und die Stundenzahl seiner Selbsterfahrung vorschreiben. Hoffentlich ist wenigstens der Lehrtherapeut vom armen Schwein gut ausgewählt. Es sollte nicht gerade die Zahl verfügbarer Parkplätze in seiner Nähe entscheiden und auch nicht unbedingt, ob er bei Vortragsveranstaltungen immer so nett lächelt. Andererseits ist hier der freien Therapeutenwahl, anders als im richtigen Patientenleben, ein gewisser Riegel vorgeschoben, denn der Lehrtherapeut muss auf einer – nein, nicht schwarzen - Liste auftauchen, die ihn zu seiner erhabenen Funktion berechtigt und vom Heer normaler Feld-Wald-Wiesen-Therapeuten unterscheidet.

Irgendwie stimmt es nachdenklich, dass die Sache mit der Lehrtherapie bei FREUD schon anfing und wichtig-wichtig war, aber bis heute keiner weiß, ob sie im Endeffekt bessere Therapeuten hervorbringt. In der Anfangszeit meiner Ausbildung habe ich mal ein privates Essen für ein paar Kollegen veranstaltet, und ich erinnere mich an das Gesprächsthema beim Dessert (Therapeutenregel: beim Dessert reden sie über das, was sie wirklich beschäftigt – eine Folge des bis dahin genossenen Weins, nicht des Zuckers). Es ging darum, dass einige ihre zweite und einer sogar seine dritte Lehrtherapie planten; eine wirkliche, weil außerhalb der Ausbildung gelegen und daher bei den tatsächlichen selbsterwählten Meistern absolvierbar und jenseits von Abhängigkeiten
Doch allzu sarkastisch wollen wir jetzt nicht sein. Denn eins ist klar: wären all die Behandler in ihren weißen Kitteln in ihrem Leben schon mal Patienten gewesen … würde es ziemlich menscheln beim Behandeln. Auch nicht schlecht, wo wir es doch so oft mit Göttergleichen zu tun haben.







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