Magda schaut auf dem Weg
zum Friedhof bei ihrer Therapeutin vorbei |
Da früher alles besser war, ging auch das Trauern einfacher vonstatten.
Heutzutage hat es sich stattdessen zu einer Wissenschaft gemausert, die nur wenigen Eingeweihten zugänglich ist; man spricht deshalb auch gerne von „Trauerarbeit“, um zum Ausdruck zu bringen, dass es nichts schadet, auch hier, ähnlich wie bei defekten Waschmaschinentrommeln, Problemen beim Ausführen der Kobrahaltung, Schimmelpilzbeseitigung im Kinderzimmer oder Prostatavergrößerung einen Spezialisten hinzuziehen. Da die Vereinsamung und mit ihr der Verlust familiärer, geschweige denn großfamiliärer Kultur voranschreitet, zumal auch die massenhaft vorhandenen Freunde sich eher virtuell als physisch blicken lassen, scheinen uns zunehmend Möglichkeiten zu fehlen, uns gegenseitig, quasi als Trauerlaien, beim Trauern zu helfen. Und in einer von Funktionalität und Effizienz dominierten Leistungsgesellschaft ist es naheliegend und als Zeichen profunder aktiver Lebensbewältigung zu werten, wenn man professionelle Begleitung beim Leisten von Trauerarbeit in Anspruch nimmt. Das ist modern und zeugt davon, dass man nicht alles wissen muss, aber wissen sollte, wen man fragen kann (um mal meinen früheren Statistikprofessor zu zitieren). Wie der Begriff den sprachsensiblen Exemplaren unter den Rezipienten bereits nahelegt, handelt es sich beim Trauern um eine Arbeit. Und diese Maloche wird abgeliefert im Rahmen einer sogenannten „therapeutischen Arbeits-beziehung“, um gleich noch einen anderen Professor zu zitieren, der über letztere ein ganzes Buch geschrieben hat.
Beim Trauern arbeitet man an den Gefühlen. Bei den Japanern gilt es zum Beispiel kniggemäßig als ziemlich uncool, auf dem Friedhof zu weinen, und außerdem tragen sie weiß. Und nicht jeder leistet es sich, den Kummer durch Zerreißen von Hemd und Hose kathartisch rauszulassen, so wie es die Juden machen, so dass sie sich´s schon mal herausnehmen können, nach jedem Todesfall neue Klamotten zu kaufen. Apropos Klamotten: im 19. Jahrhundert dauerte die Trauerzeit zweieinhalb Jahre, das erste Jahr und einen Tag trugen die Witwen völlig schwarz, und danach erst gingen sie für ein weiteres Jahr über zu Schwarz kombiniert mit gedämpften Grau- oder Lavendeltönen. In eher bäuerlichen und dörflichen Regionen unseres Landes siehst du gelegentlich heute noch anhand schwarzer Kleidung, dass jemand sich im Trauerjahr befindet, das spart blöde Fragen („wie geht´s ihrer Frau, die habe ich ja schon lange nicht mehr geseh´n“) und gibt den Trägern einen Schutzraum, weil es farbpsychologisch das Licht und mit dazu all den Tand und Dauerfrohsinn von außen absorbiert. Als ich klein war, gab es, wie vor zwei Jahrhunderten, in meiner Heimatregion noch ein Jahr dazu, ein Schwarz-Weiß-Grau-Jahr, und manche Alte, vor allem die Frauen, blieben gleich schwarz bis zu ihrem eigenen Tode, das waren während meiner Schulzeit die, die in der Kirchenbank hinten saßen und die man immer in der Kirche sah, wenn man selber da war. Das gibt es heutzutage vermutlich nur noch auf Santorin oder in Oberammergau. Es war eine Art Vorbereitung auf das Ende, und bedeutete nicht, dass diese alten faltigen Gesichter dir kein Lächeln mehr schenken konnten. Der erste November, der Allerheiligentag, wird in vielen Gegenden genutzt, um mal wieder richtig zu shoppen zu gehen, weil er in einigen Bundesländern als Feiertag zählt und in anderen nicht. Das beschert den grenznahen Innenstädten und deren Geschäftsleuten satte Gewinne und fühlt sich vitaler an als alljährlich auf den Friedhof zu gehen und, der dortigen Kälte trotzend, anschließend bei Kaffee und traditionell trockenem Kuchen ein wenig zusammenzusitzen und über die jetzt schon sieben Jahre tote Oma oder den noch immer schwer verwindbaren viel zu frühen Krebstod des Bruders zu reden. Doch wer über scheinbar altmodische Regeln wie Schwarztragen, Nicht-zum-Fasching-Gehen, das Bestellen des Seelenamts in der Kirche oder das unter lautem Wehklagen vonstatten gehende Zerreißen des Button-down-Hemdes lästert, sollte sich der Gerechtigkeit willen einmal vor Augen führen, in welch´ ein lückenloses Netz an Vorschriften wir heute eingepfercht sind: es fängt schon damit an, dass man in immer kürzer werdenden Abständen nachlesen muss, wieviel Trauer noch normal ist. 1980 war es noch ein ganzes Jahr, 2000 nur noch zwei Monate, und neuerdings plant die APA, die American Psychiatric Association, eine Ansammlung von durch Pharmafirmen bestochenen Altpsychiatern und -innen, die Sache nach mehr als 14-tägiger Dauer als medizinisches Problem zu betrachten. Man sollte also wachsam sein und, angesichts heutiger Wartezeiten bei Psychiatern und Therapeuten, am besten in einem Aufwasch mit dem Gespräch beim Bestatter, sich schon mal prophylaktisch anmelden zur therapeutischen Begleitung bei Objektverlust. Sollte man innerhalb zwei Wochen wieder fit werden und dem Arbeitsmarkt, den alterstypischen Freizeitbeschäftigungen sowie der Partnerbörse wieder in altgewohnter naiver Frische zur Verfügung stehen, dann kann man ja absagen und den Behandlungsplatz einem anderen Trauernden anbieten. So wird der Todesfall als störendes Agens mit Krankheitspotential für die Lebenden umetikettiert. Hätte man eigentlich wissen sollen. Und wenn schon Spezialistentum angemahnt wird: ist hier wirklich, lassen wir mal die Kostenübernahmefrage keck beiseite, ein Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer der beste Ansprechpartner?
Grundsätzlich unterscheiden wir bei der Trauerarbeit die Medikamenteneinnahme, psychotherapeutische Gespräche, um die Wut, die Schuld und den Schmerz tiefergehend zu erkunden, sowie last but not least die Psychoedukation. Letzteres heißt, dass du als Trauernder Ansatzpunkte zu eigener Aktivität finden, dich nicht sozial zurückziehen und auf keinen Fall Chantré Cream oder irgendwelchen Erbstreitigkeiten verfallen solltest. All das muss dir durch eine professionelle Person, die durch Ausbildung weiß, wie´s geht, nahegebracht werden, und wenn du die Trauer nach maximal 25 Sitzungen überwunden hast, reichen viertel- bis halbjährliche Kontrollen aus, um sicher zu gehen, dass da nichts verschleppt wird.
Offenbar steuern wir in Sachen Lebens- und Tragödienbewältigung immer mehr auf einen infantilen Ohnmachtsstatus zu. Aber um einen Menschen zu weinen, war bisher doch noch eine Aufgabe, der zu stellen sich viele Menschen wagten – bis ihnen verdeutlicht wurde, dass sie das doch gar nicht brauchen. Na dann, keep smiling!
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